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Getöteter iranischer General
"Damit gipfelt eine Eskalationsspirale"

Das US-Militär hat den iranischen General Ghassem Soleimani getötet. Viele hätten eine amerikanische Reaktion auf die Provokationen des Iran erwartet, sagte der Sicherheitsexperte Markus Kaim im Dlf. Soleimani stehe für alles, was die USA als "destabilisierende Aktivitäten" des Iran immer wieder kritisiert hätten.

Markus Kaim im Gespräch mit Tobias Armbrüster |
Ghassem Soleimani, der Kommandeur der iranischen Al-Kuds-Brigaden.
Der getötete iranische General Ghassem Soleimani. (AFP Photo / HO / IRIB)
Ghassem Soleimani war seit 1997 der Kommandeur der iranischen Al-Kuds-Brigaden. Diese werden als Einheit der Iranischen Revolutionsgarde im Ausland betrachtet. Die Al-Kuds-Brigaden sind im Syrienkonflikt ein relevanter Akteur und helfen unter anderem dabei, den dortigen Machthaber Assad an der Macht zu halten. Westliche Regierungen sehen in Soleimani einen Terroristen – Kanadas früherer Außenminister Baird nannte ihn 2014 einen "Agenten des Terrors, der sich als Held verkleidet". Wenn es um die iranische Einmischung in der Region geht, galt Soleimani als das militärische Gesicht.
Urheberschaft und Opfer sind klar
Markus Kaim, Sicherheitsexperte beim German Marshall Fund, sagte im Dlf, man könne davon ausgehen, dass es sich um eine gezielte Tötung gehandelt habe.

Das komplette Interview zum Nachlesen:
Tobias Armbrüster: Herr Kaim, können wir hier von einer gezielten Tötung sprechen?
Kaim: Ich glaube, da gibt es eine gute Grundlage für. Der Befund, wer getötet worden ist, ist klar, er ist sowohl von amerikanischer Seite als auch von iranischer Seite bestätigt worden. Es handelt sich um Ghassem Soleimani, eben den Führer oder Oberbefehlshaber der revolutionären Garden, und die amerikanische Regierung hat in ihrer Pressemitteilung von heute Nacht deutlich gemacht, dass das eben auf expliziten Befehl des amerikanischen Präsidenten geschehen ist. Von daher ist Urheberschaft und Opfer ganz klar.
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Armbrüster: Welche Gründe haben die USA für so einen Schritt?
Kaim: Also, damit gipfelt eine Eskalationsspirale, die in den letzten Tagen Ausmaß genommen hat und die ja gerade im Vorbericht auch angesprochen worden ist, deren Ausmaß jetzt noch gar nicht abzusehen ist. Es hat angefangen in den letzten Wochen mit einem Angriff auf eine amerikanische Basis in Kirkuk, wo ein amerikanischer Zivilbediensteter getötet worden ist. Darauf haben die USA reagiert mit Luftschlägen auf pro-iranische Milizen im Irak. Dann ist im Irak die amerikanische Botschaft angegriffen worden, und jetzt ist offensichtlich die amerikanische Regierung zu der Annahme gekommen, dass eine Politik des maximalen Drucks, die sie verfolgt, eben auch Ausdruck finden müsse in einem Schritt, den obersten Befehlshaber derjenigen Gruppe zu töten, der diese hybriden Aktivitäten zugeschrieben werden. Hybride Aktivitäten in dem Sinne, dass es sich nicht um offizielles Regierungshandeln handelt.
Armbrüster: Wenn wir uns dann mal die Figur dieses Generals angucken, Ghassem Soleimani, welche Rolle hat er gespielt in diesem ganzen Konflikt? Können Sie dazu etwas sagen?
Markus Kaim
Der Sicherheitsexperte Markus Kaim (foto-swp)
Kaim: Er steht letztlich für das, was die USA eben als destabilisierende Aktivitäten des Iran in den letzten Jahren immer wieder kritisiert haben. Man muss in Erinnerung rufen, dass ja die Felder des Konfliktes oder die Felder des Dissenses zwischen den USA und dem Iran sehr vielfältig sind. In den letzten Jahren haben wir vor allen Dingen auf das iranische Nuklearprogramm geschaut, aber daneben gibt es eben dieses Feld terroristische Aktivitäten, destabilisierende Aktivitäten, wie es immer heißt, das bezieht sich insbesondere auf Länder wie den Libanon, den Irak und Syrien, wo der Iran nicht mit offiziellem Regierungshandeln, das habe ich versucht zu unterstreichen, sondern eben durch Revolutionsgarden, durch das Unterstützen von pro-iranischen Milizen, durch Waffenlieferung, durch Finanzierung, durch Unterstützung von terroristischen Aktivitäten seinen Einfluss geltend machen will. Und für diese Aktivitäten steht Ghassem Soleimani in besonderer Art und Weise.
Mögliche Folgen für das iranische Nuklearabkommen
Armbrüster: Herr Kaim, ich kann mir vorstellen, dass viele Leute, die diese Nachricht jetzt heute hören, sich denken: Moment mal. Da reist also ein ranghoher iranischer General einfach so durch diese Länder. Ist das generelle Praxis, dass die Iraner auch solche hohen Militärs für solche Operationen ins Ausland schicken, in die Nachbarländer?
Kaim: Das ist gängige Praxis, zahlreiche Bilder von Ghassem Soleimani aus den eben genannten Ländern, aus dem Libanon, aus Syrien und aus dem Irak – und wenn die Berichte von heute zutreffen, dann traf er gerade mit einem Flugzeug aus Syrien ein, sozusagen als ein international regierender Repräsentant des iranischen Regimes. Interessant ist eben noch die Frage, wieso die irakischen Behörden, die ja doch unter sehr starkem Einfluss der USA stehen, eher inoffiziell als offiziell, tatsächlich so etwas hingenommen haben. Aber der Punkt, der hier zu machen ist, ist eben die starke Stellung von pro-schiitischen oder pro-iranischen Gruppen innerhalb des irakischen Regierungssystems.
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Armbrüster: Was heißt das jetzt alles für diesen Konflikt zwischen den USA und dem Iran, der ja schon seit längerer Zeit schwelt?
Kaim: Die Regierung Trump hat ja über den vergangenen Sommer trotz ihrer Politik des maximalen Drucks, wie es immer heißt, sehr verhalten reagiert. Es hat ja einige Schritte des Iran gegeben, die eine Eskalation eigentlich hervorrufen hätten können. Ich darf erinnern an die bis heute etwas ungeklärten Angriffe auf Öltanker im Persischen Golf, die dem Iran zugeschrieben worden sind, auf die bis heute ungeklärten Angriffe auf saudische Ölanlagen, die dem Iran zugeschrieben worden sind, da haben ja viele bereits eine Eskalation erwartet oder eine stärkere amerikanische Reaktion erwartet, beziehungsweise hier in Washington ist sie auch gefordert worden. Und die Regierung Trump ist sehr heftig dafür kritisiert worden, dass sie nicht entsprechend reagiert hat, keine rote Linie gezogen hat. Und jetzt offensichtlich, so kann man das lesen, sah sie sich in einer Art Übersprungreaktion genötigt, die jüngste Eskalation – und der Angriff auf die amerikanische Botschaft in Bagdad war wirklich eine Zuspitzung der Lage, zu beantworten mit einem eskalatorischen Schritt. Welche Antwort jetzt der Iran darauf geben wird, das ist die entscheidende Frage, da traue ich mir heute Morgen kein Urteil zu. Vorstellbar ist, dass der Iran sich in die Grenzen gewiesen fühlt, oder es wäre genauso vorstellbar eine Reaktion der Hardliner innerhalb des politischen Systems, die sich jetzt ermutigt fühlen, jeden Kontakt mit dem Westen abzubrechen, jede Konzession an den Westen zurückzuweisen, was dann auch Folgen haben könnte für das iranische Nuklearabkommen, was ja formell noch hält.
"Zuspitzung einer bereits existierenden Situation"
Armbrüster: Das wäre eine mögliche Verhärtung der iranischen Position auch gegenüber dem Westen, möglichweise auch gegenüber Europa. Was sind denn die Konsequenzen für den Irak, also für das Land, in dem jetzt dieser Luftschlag geschehen ist, in dem dieser ranghohe iranische General ums Leben gekommen ist?
Kaim: Auch hier erleben wir eine Zuspitzung einer bereits existierenden Situation, weil der Irak ist der Leidtragende dieses Konfliktes, weil beide Seiten, die USA wie gleichermaßen der Iran, zerren am politischen System, zerren am politischen Establishment des Landes und versuchen mit großen militärischen, finanziellen und politischen Engagement den Irak auf ihre jeweilige Seite zu ziehen. Die Folge ist ja eine Verschärfung der innerirakischen Spannungen, die wir in den letzten Jahren zu verzeichnen haben. Und gerade bei einem Land wie dem Irak, was unter den ethnischen und religiösen Spannungen gelitten hat und auch bis heute leidet, ist das besonders bedauerlich, weil wenn wir doch eines gelernt haben nach dem irakischen Bürgerkrieg der letzten Jahre 2003 bis 2015, 2016, dann ist es doch, dass die Aufgabe der internationalen Gemeinschaft eigentlich diejenige ist, den Irak dabei zu unterstützen, die ethnischen und religiösen Spannungen zuzuflicken und zu überbrücken. Und genau das sehen wir, passiert gerade nicht. Diese Brücken werden abgerissen und diese Gräben werden vertieft.
Armbrüster: Herr Kaim, vielen Dank für Ihre Zeit!
Kaim: Sehr gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.