Sonntag, 28. April 2024

Bis hin zum Femizid
Warum es so schwer ist, Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen

Fast jeden dritten Tag stirbt eine Frau infolge von Gewalt des Partners oder Ex-Partners. Die Zahl der angezeigten Delikte von Partnerschaftsgewalt stieg im Jahr 2022 um mehr als neun Prozent gegenüber dem Vorjahr. Was lässt sich dagegen tun?

25.11.2023
    Schuh-Aktion zum Thema Femizide zum Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen am 25.11.2021 in Tübingen: Rote Schuhpaare stehen zusammen mit Grablichtern und weißen Rosen auf dem Tübinger Marktplatz.
    Aufmerksam machen auf Femizide und andere Straftaten: mit roten Schuhen, Grablichtern und weißen Rosen auf dem Tübinger Marktplatz am Internationalen Tag zur Beseitigung der Gewalt gegen Frauen. (imago / ULMER Pressebildagentur)
    Knapp 160.000 Fälle von Gewalt in Partnerschaften wurden 2022 angezeigt, 133 Frauen starben. Doch diese Zahlen sind lediglich ein Teil der tatsächlichen Fälle. Die Dunkelziffer ist hoch. Wie lassen sich die Opfer besser schützen?

    Inhalt

    Wie ist die Situation in Bezug auf Gewalt gegen Frauen in Deutschland?

    Im Jahr 2022 wurden laut Bundeskriminalamt 157.550 Fälle von Gewalt in Partnerschaften angezeigt. Das sind 9,4 Prozent mehr als im Jahr 2021 – also noch mehr als während der Coronapandemie. Rund 80 Prozent der Opfer waren Frauen, 20 Prozent Männer. Beinahe jeden Tag versucht ein Partner oder Ex-Partner, eine Frau zu töten, statistisch gesehen jeden dritten Tag gelingt das. Insgesamt 133 Frauen in Deutschland wurden im Jahr 2022 von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet.

    Ich habe meine erste Gewalterfahrung gemacht, da war ich drei oder vier Jahre. Es war mein eigener Vater, der meine Mutter misshandelt hat, ihr ein Messer an die Kehle gehalten hat, sie geschlagen hat. Später, mit elf habe ich selber Gewalt erfahren, am eigenen Körper.

    Allerdings wird in der Kriminalstatistik lediglich das sogenannte Hellfeld von Partnerschaftsgewalt abgebildet. Das sind die Taten, die der Polizei bekannt geworden sind – beispielsweise durch eine Anzeige der Betroffenen. Dieses Hellfeld sei im Bereich der häuslichen Gewalt, der sexuellen Gewalt und der Partnerschaftsgewalt jedoch der geringere Anteil, sagt Deborah Hellmann, Psychologin und Professorin an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung in Nordrhein-Westfalen. Denn aus der Forschung sei bekannt, dass die Anzeigebereitschaft sehr niedrig und damit das sogenannte Dunkelfeld relativ groß ist - also die Delikte, von denen die Polizei nichts erfährt.
    Das gilt allerdings nicht für Femizide. Denn davon bekomme die Polizei häufiger etwas mit, so Hellmann. Definieren könne man sie als "Extremform geschlechtsbezogener Gewalt gegen Frauen".
    Ob der Anstieg der registrierten Fälle von Partnerschaftsgewalt auch auf eine Zunahme der Gewalt in Partnerschaften verweist - oder möglicherweise nur mit einer gestiegenen Anzeigebereitschaft zu tun hat - das müsse analysiert werden, sagt Hellmann.
    Um mehr über das Dunkelfeld zu erfahren, führte die Hochschule Merseburg eine 2023 veröffentlichte Studie zu geschlechtsspezifischer Gewalt durch. Grundlage sind Befragungen, die der Sexualwissenschaftler Heinz-Jürgen Voß in Sachsen durchführte. Seiner Ansicht nach sind die Ergebnisse auch auf andere Regionen Deutschlands übertragbar.

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    Neun von zehn Frauen gaben bei den Befragungen an, Vorfälle wie Hinterherpfeifen, aufdringliche Blicke oder unangemessene Sprüche erlebt zu haben. 30 Prozent hatten bereits sexualisierte Gewalt erfahren, wurden also zu sexuellen Handlungen gezwungen - 15 Prozent sogar mehrfach. Den Versuch dazu haben mehr als die Hälfte der Befragten erlebt. Fast immer fanden die Taten im eigenen Wohnumfeld statt. Diese Erfahrungen betreffen alle Bevölkerungsgruppen – Gutverdienende genauso wie Geringverdienende, Gebildete fast genauso häufig wie geringer Gebildete.
    Ein überraschendes Ergebnis für Voß: Nicht unbedingt der körperliche Übergriff sei entscheidend für einen hohen Leidensdruck, sondern die Begleitumstände wie Bedrohungen oder Erpressungen.

    Welche Faktoren erhöhen das Risiko für einen Femizid?

    Für Femizide gibt es Risikofaktoren - beispielsweise, "wenn im Vorfeld häusliche Gewalt ausgeübt wurde oder ein Trennungswunsch bestand", sagt die Psychologin Deborah Hellmann. Auch ein "subjektiv wahrgenommener Kontrollverlust beim Partner oder Ex-Partner wegen vermeintlicher Untreue der Frau" zähle dazu.
    Das Bewusstsein für diese Risikofaktoren sei in der deutschen Gesellschaft noch zu schwach ausgeprägt. Zudem herrsche häufig die falsche Überzeugung, Femizide seien etwas sehr Seltenes.

    Wo finden Betroffene Hilfe und was kann das Umfeld tun?

    Für Frauen, die Gewalt erleben, gibt es zahlreiche Hilfsangebote. Sie reichen von Informationsangeboten im Internet über Beratungsstellen bis hin zu Einrichtungen wie Frauenhäusern. Das Bundesjustizministerium gibt einen Überblick zu entsprechenden Angeboten und der rechtlichen Situation.
    Das bundesweite Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ bietet vertraulich, kostenfrei und jederzeit unter der Nummer 08000 116 016 oder per Onlineberatung Hilfe und Unterstützung – in Deutsch und 18 weiteren Sprachen.

    Ich möchte den Frauen, die in so einer Situation sind, Mut machen und sagen: Auch wenn es im Moment so scheint, als ob es keinen Ausweg gibt. Es gibt ein Leben danach, ohne Gewalt - und das müsst ihr euch wert sein, euch das zu erkämpfen.

    Sollten Nachbarn, Bekannte oder Freunde Dinge wie laute Schreie oder ein ungewöhnlich wirkendes Verhalten mitbekommen, rät die Psychologin Deborah Hellmann diesen: „Lieber einmal häufiger die Polizei rufen, als einmal zu wenig.“ Außerdem könne man versuchen, die möglicherweise betroffene Frau alleine zu erreichen und sie an Hilfsangebote zu verweisen.

    Was hindert Frauen daran, Gewalttaten anzuzeigen?

    Die meisten Fälle von Gewalt gegen Frauen kommen nicht zur Anzeige. Viele Betroffene melden ihre Gewalterfahrungen aus Angst oder aus Scham nicht der Polizei. Das belegt unter anderem die Merseburger Dunkelfeld-Studie zu Sachsen.
    Auch die Studie „Sicherheit und Kriminalität in Deutschland“ (SKiD) aus dem Jahr 2020 zeigt: Die Anzeigequote im Bereich partnerschaftliche Gewalt ist insgesamt vergleichsweise niedrig. Sie variiere „zwischen 0,6 Prozent im Bereich sexueller Gewalt und 17 Prozent im Bereich von Körperverletzungen mit Waffeneinsatz“, sagt Psychologin Deborah Hellmann von Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung in Nordrhein-Westfalen.

    Egal, wie lange das her ist, es war jemand an deinem Körper, du hast Gewalt gespürt und das geht nicht einfach weg.

    Die Gründe hierfür seien vielfältig, so Hellmann. Beispielsweise könne es keine Beweise geben oder die Betroffene habe Angst, dass sich ihre Situation noch verschlimmere. In den allermeisten Fällen helfe es aber, Anzeige zu erstatten, sagt Jürgen Voß von der Hochschule Merseburg – unabhängig vom Erfolg vor Gericht.

    Was tut der Staat gegen Gewalt gegen Frauen und was muss besser werden?

    Deutschland hat sich mit dem Ratifizieren der Istanbul-Konvention – des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt – dazu verpflichtet, die dort festgeschriebenen Maßnahmen umzusetzen. Dazu gehören Opferschutz, Prävention und Strafverfolgung sowie die rechtliche Gleichstellung der Geschlechter in den Verfassungen und Rechtssystemen.
    Die Konvention ist seit 2018 geltendes Recht in Deutschland. Daraus leiten sich zahlreiche politische Maßnahmen auf Bundes- und Länderebene in Deutschland ab. Darunter Informations- und Beratungsangebote und Einrichtungen wie Frauenhäuser.
    Es gebe aber vielfältigen Verbesserungsbedarf, mahnt Psychologie-Professorin Deborah Hellmann. So müssten etwa die existierenden Programme daraufhin analysiert werden, inwieweit sie langfristig häusliche Gewalt und infolgedessen Femizide verhindern helfen. Außerdem brauche es flächendeckend mehr Frauenhäuser.

    Mein Wunsch ist, dass jede Frau es sich wert ist, für sich zu kämpfen, sich das nicht gefallen zu lassen.

    Zudem sei es wichtig, präventiv schon in jungen Jahren anzusetzen: Bei schwierigen Familienkonstellationen müsse sehr früh Hilfe bereitgestellt werden, damit Kinder erst gar nicht lernten, dass Gewalt ein probates Mittel zur Durchsetzung von Zielen sein kann. Auch die Weiterbildung von Lehrern sei zentral: 92 Prozent wüssten nicht, wie sie mit sexueller Gewalt umgehen sollen.
    Würden höhere Strafen vor Femiziden abschrecken? Deborah Hellmann von der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung in Nordrhein-Westfalen ist skeptisch. Laute das Motiv beispielsweise "Wenn ich dich nicht haben kann, soll dich niemand haben“, so sei die Höhe der Strafe nachrangig.

    abr