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Gewalt gegen Frauen
Ein Mord, der Großbritannien erschüttert

Im Frühjahr wurde die Britin Sarah Everard auf dem Nachhauseweg entführt und später ermordet. Ein Londoner Polizist steht als mutmaßlicher Täter vor Gericht. Aber die Debatte um Gewalt gegen Frauen geht weiter – viele haben immer noch Angst.

Von Christine Heuer |
Demonstranten vor dem Londoner Parlament mit einem Schild "She was walking home"; Übersetzung: "Sie ging nach Hause".
Proteste im Frühjahr dieses Jahres in London: Nach der Ermordung der Britin Sarah Everard kochen die Gemüter in Großbritannien hoch (dpa / Matt Dunham)
Es ist eine Tragödie in zahlreichen Akten. Im jüngsten davon wird der 48-jährige Wayne Couzens heute vor Gericht wohl die Frage beantworten müssen, wie genau er die 33-jährige Sarah Everard am 3. März dieses Jahres davon überzeugte, in sein Auto zu steigen.
Lebendig wurde die junge Frau danach nicht mehr gesehen. Tagelang durchkämmten Beamte auf der Suche nach Beweisstücken im Zusammenhang mit ihrem Verschwinden einen Park im Londoner Stadtteil Clapham.

Schwierige Ermittlung der Todesursache

Sarahs Leiche fand die Polizei schließlich in einem Waldstück in der südostenglischen Grafschaft Kent. Um die Todesursache zu ermitteln, benötigten die Gerichtsmediziner drei lange Monate. Dann stand fest: Die junge Frau wurde erwürgt. Darüber wurde auch im Fernsehsender Sky News berichtet:
"Zur Erinnerung: Die Marketing-Managerin Sarah Everard verschwand spurlos in Südlondon, als sie von einer Freundin zu Fuß nach Hause ging. Der Polizist Wayne Couzens wurde wegen Mordes verhaftet."
Der Angeklagte: ausgerechnet ein Beamter der Londoner Metropolitan Police, zuständig für den Schutz von Diplomaten und Mitgliedern des Königshauses.

Debatte über Gewalt gegen Frauen könnte schärfer werden

Bei seiner ersten Anhörung gestand er, Sarah Everard gekidnappt und vergewaltigt zu haben. Auch, dass er für ihren Tod verantwortlich sei. Des Mordes aber bekannte er sich nicht schuldig. Will Couzens auf Totschlag plädieren?
Es wird ein schwerer Tag für die Familie des Opfers. Möglicherweise wird er auch die gesellschaftliche Debatte über Gewalt gegen Frauen weiter aufheizen.
"Frauen und Mädchen werden weltweit gehandelt. Nicht-weiße Frauen werden verkauft, gekauft, jung verheiratet. Es passiert so viel mehr als Sarah. Diskriminierung gegen Frauen jeden einzelnen Tag."
Internationaler Tag gegen Gewalt an Frauen am 25. November. Plakat in der Fußgängerzone Königstraße in Stuttgart weist darauf hin, dass an jedem dritten Tag in Deutschland eine Frau von ihrem (Ex-)Partner getötet wird.
Frauenmorde: Wenn das Geschlecht Gefahr bedeutet
Wenn Frauen ermordet werden, weil sie Frauen sind, heißt das Femizid. Gewalt gegen Frauen gehört auch in Deutschland und Europa zum traurigen Alltag. Häufig geht sie vom Partner oder von Familienangehörigen aus. Das hat auch mit der gesellschaftlichen Stellung von Frauen zu tun.

Mahnwachen im ganzen Land

Nach Sarahs Verschwinden versammelten sich Tausende Frauen wie diese zu Mahnwachen. Im Gedenken an ihre 33-jährige Geschlechtsgenossin, der ein Spaziergang am frühen Abend mitten in London zum Verhängnis wurde. Und um dagegen zu protestieren, dass jede von ihnen jeden Tag mit Gewalt, An- und Übergriffen von Männern rechnen muss.
In Clapham, da wo Sarah verschwand, legten sie Blumen nieder und entzündeten Kerzen. Sogar Katherine, die Herzogin von Cambridge, kam vorbei, um Sarah Everards zu gedenken. Kurz darauf löste die Polizei den Protest gewaltsam auf.

Hat die Polizei zu hart reagiert?

Am nächsten Tag machten die Zeitungen mit verstörenden Bildern auf: Wie zwei schwere männliche Beamte auf der zierlichen Demonstrantin Patsy knien. Die junge Frau liegt bäuchlings am Boden, ihre Hände halten die Polizisten auf ihrem Rücken zusammen. Patsys Blick: eine einzige Anklage.
"Ich wurde festgenommen, nur, weil ich dort gestanden habe. Ich habe nichts getan. Sie haben mich zu Boden geworfen. Ich bin 1,60 Meter groß und wiege praktisch nichts. Sie haben mir Handschellen angelegt und mich zu zehnt abgeführt."
Die Metropolitan Police berief sich darauf, sie habe die Lockdown-Regeln durchsetzen müssen. Eine Untersuchung kam zum Schluss, die Beamten hätten angemessen gehandelt. Was viele Frauen genauso fassungslos macht wie der polizeilich erteilte Ratschlag, im Dunkeln oder unsicheren Gegenden besser nicht allein auf die Straße zu gehen.

Gewalt gegen Frauen ein großes Problem

"An jedem Laternenmast in meiner Gegend hingen Fotos von einer vermissten jungen Frau. Und gleichzeitig klopfte die Polizei an jede Tür und sagte Frauen, sie sollten zu ihrer eigenen Sicherheit besser zu Hause bleiben. Die Verantwortung, mit Gewalt gegen Frauen umzugehen, wurde also wieder mal den Frauen gegeben. Dabei sind nicht Frauen das Problem. Nicht wir müssen unser Verhalten ändern, das müssen die tun, die Gewalt gegen Frauen verüben."
Damit ist die Gesellschaft in den letzten Monaten jedoch keinen Schritt weitergekommen. Die Londoner Polizei hat erst einmal 25 weibliche Beamtinnen losgeschickt, das Problem vor Ort zu erforschen. Sie sprechen mit Frauen und hören sich an, wie die sich darüber beklagen, dass sie besser nicht allein, auf keinen Fall mit Kopfhörern auf den Ohren und schon gar nicht nachts durch London laufen können. Aus Angst vor Anmache, Vergewaltigung und Mord.