Nachdem vier Polizisten in der Hauptstadt eine Jugendliche vergewaltigten und ihr Chef sie daraufhin nicht mal vom Dienst suspendieren wollte, brach in Mexiko eine Protestwelle von Frauen los. Vor allem junge Frauen demonstrieren gegen Gewalt und Straflosigkeit. Viele Medien in dem Macho-Land weiden sich an kleineren Ausschreitungen, anstatt über die Gründe für den Protest zu berichten. Täglich werden im Mexiko zehn Frauen ermordet.
Täter bleiben fast immer straffrei
Mexikanerinnen wehren sich: Zehn Frauen werden jeden Tag ermordet, und die Täter bleiben fast immer straffrei. "Nicht eine mehr", skandieren die Demonstrantinnen. Als im Sommer eine Jugendliche in der Hauptstadt von Polizisten vergewaltigt wurde und die nicht einmal vom Dienst suspendiert werden sollten, begann der Protest. Immer wieder erhält er neue Nahrung: Ein prominenter Regierungsfunktionär aus dem Bundesstaat Michoacán benutzte extrem herabwürdigende Begriffe für Frauen, erntete einen Shitstorm, aber die einzige Konsequenz war eine Rüge der staatlichen Antidiskriminierungsstelle Conapred. Dort versprach der Politiker, ein Verhaltensseminar zu absolvieren. Adelina González, die das Gespräch mit ihm führte, kann nachvollziehen, warum er im Amt blieb.
"Wenn man ihn entlassen würde, müsste man das auch mit vielen anderen Männern tun. Dann würden wir Frauen bald allein arbeiten. Seine Worte waren total daneben und beleidigend. Das heißt nicht, dass wir damit leben müssen, sondern dass wir dieses Verhalten ändern müssen. Für den kulturellen Wandel, den wir brauchen, kann das effektiver sein, weil es anderen Politikern die Nachricht sendet, dass sie sich so nicht ausdrücken dürfen."
Kein Schutz vom Staat für Frauen
Kurse erklären den Machos, warum sie sich überlegen fühlen, zeigen die überkommenen Rollenbilder, die zur Gewalt gegen Frauen führen können - verbal oder körperlich. Im laufenden Jahr wurden bereits 10.000 Vergewaltigungen angezeigt. Die Zahl der Frauenmorde ist in den letzten vier Jahren um 150 Prozent gestiegen.
Dass der Staat sie nicht beschützt, treibt vor allem junge Frauen auf die Straßen. Symbolstark setzen sie sich zur Wehr: Werfen mit rosa Glitter um sich, sprühen ihre Forderungen an Monumente der Hauptstadt, einige Türen und Scheiben sind zu Bruch gegangen. Das bedeute aber nicht, dass der Feminismus in Mexiko radikaler geworden sei, meint Alejandra Haas, die Direktorin der Antidiskriminierungsstelle:
"Auf die Straße zu gehen, weil du dich bedroht fühlst - das ist radikal! Radikal ist, dass du Angst haben musst, dass deine Schwester verschwindet oder deine Nachbarin. Radikal ist, dass du ständig ein Risiko spürst, wenn du abends ausgehst oder öffentliche Verkehrsmittel benutzt. Die jungen Frauen zeigen uns, dass die Forderung nach Gleichberechtigung keine Kompromisse zulässt. Dass man sich nicht auf Verhaltensmuster einlassen darf, um das System dann von innen zu ändern. Sie wollen sich nicht an runde Tische setzen und auf Veränderungen warten. Sie wollen den Wandel sofort. Die gute Nachricht ist, dass die neuen Generationen dagegen rebellieren, dass die Gewalt hingenommen wird. Sie fordern eine wirklich funktionierende Justiz."
Tief verwurzelter Machismo und Ignoranz
Mexiko tut sich schwer im Umgang mit dem neuen Frauenprotest. Tief verwurzelter Machismo und Ignoranz äußern sich auch in der Berichterstattung vieler Medien, wie Lucia Lagunes beobachtet hat. Sie ist Direktorin der Frauen-Nachrichtenagentur Cimac:
"Viele Medien hatten überhaupt nicht vor, über die Proteste zu berichten. Erst als es zu Ausschreitungen kam, gelangte das Thema in die Nachrichten. Aber nicht etwa, dass die Frauen für Gerechtigkeit auf die Straße gingen, sondern die zerbrochenen Scheiben schafften es auf die Titelseiten. Unsere Medien funktionieren nach dieser Logik: Gewalt lässt sich verkaufen. Die Anliegen der Frauen dagegen wurden erst einmal kleingeredet."
"Ja, wir sind wütend, sprühen Wände an und treten Türen ein", schrieb eine renommierte Kommentatorin: Weil jeden Tag Frauen ermordet werden, vergewaltigt, belästigt und diskriminiert. Wir marschieren und schreien in einem Land, dass die Hälfte seiner Bevölkerung mit Füßen tritt.