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Gewalt und Religion
Der Mensch ist schuld

Ob Religionen zur Gewalt anstacheln, wird derzeit auf vielen Podien erörtert. In der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften traf sich eine besonders illustre Expertenrunde zur Diskussion. Auch die fand zu keiner einfachen Antwort. Aber immerhin erfuhren die Zuhörer, warum das Geld für Sozialprogramme besser in die Spree gekippt werden sollte.

Von Cornelius Wüllenkemper | 28.04.2016
    Ein Bewohner der Provinz Al-Hasake in Syrien betet in einer Kirche, die vom Islamischen Staat zerstört wurde.
    Was ist angesichts der Gewaltexzesse im Namen einer Religion zu tun? Religionen, so könnte eine vorläufiges Ergebnis der Debatte lauten, sind so anfällig für Gewalt wie es der Mensch ist. (dpa/picture alliance/Valeriy Melnikov)
    Ist Brutalität ein Wesensmerkmal des Monotheismus, und nicht nur eine extremistische Entgleisung fanatischer Glaubensanhänger? Mit dieser These hatte der Heidelberger Ägyptologe und Religionswissenschaftler Jan Assmann für Aufsehen gesorgt. Dem Theologen und Kirchenhistoriker Christoph Markschies, Vizepräsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, widerspricht: Religion könne grundsätzlich Gewalt ebenso entfachen wie eindämmen. Sie spiegle nur den Umgang mit Gewalt in einer Epoche. Assmanns steile Thesen in der Debatte über "Religion und Gewalt" sind für Markschies einzig der Beweis dafür, wie Religion heute diffamiert werde.
    "Das, meine Damen und Herrn, ist ein klassisches Beispiel von Simplifizierung durch Diffamierung von Religion. Neben solchen simplifizierenden, stellenweise hochgelehrten Denunziationen gibt es natürlich auch die simplifizierende Exkulpation, Entschuldung: das Terrorattentat x, y, z hat gar nicht mit dem Christentum, dem Islam, dem Monotheismus an sich zu tun. Es ist politisch, sozial, psychologisch oder wie auch immer zu erklären."
    Mit Markschies' Worten war der Ring eröffnet für die nächste Runde in einer Debatte, in der man mit dem einen großen Erklärungsansatz nicht weiterzukommt. Die Entstehung von Gewalt ist vielfach herleitbar – eben auch religiös. Welche Rolle der Glauben an den einen, wahren Gott bei der Verfolgung und Tötung bestimmter Menschengruppen spielt, darüber gingen die Meinungen auseinander. Jörg Baberowski, Professor für Osteuropäische Geschichte an der Berliner Humboldt-Universität, zog den Vergleich zur Gewalt in den totalitaristischen Systemen des 20. Jahrhunderts.
    "Ideologien an sich töten nicht, das tun Menschen. Und sie können den Tätergruppen Kohärenz verleihen, indem sie sich auf Religionen, auf andere Ideologien – welche auch immer – berufen. Das erleichtert es, Gewalt zu rechtfertigen, vor sich selbst, vor der Gruppe, aber auch vor anderen. Aber es erklärt überhaupt nicht, warum es Gewalt gibt. Deshalb halte ich diese Diskussion, die jetzt in der Öffentlichkeit geführt wird – ist der Islam oder das Christentum an sich gewalttätig oder eher friedlich – für völlig verfehlt, weil es an der Frage vorbei geht, was zur menschlichen Möglichkeit gehört. Und das ist Gewalt."
    Gewalt brauche die Religion nicht, aber Religion könne zur Legitimierung von Gewalt instrumentalisiert werden, so Baberowski. Gegen diese Analyse wehrte sich die Paderborner Koranwissenschaftlerin Hamideh Mohagheghi. Die abrahamitischen Religionen böten durchaus eine Grundlage zur Gewaltanwendung im Dienste des Glaubens. Was Baberowski als Instrumentalisierung bezeichnet, sieht Mohagheghi daher eher...
    "... als Fehldeutung der Religion und auch als Fehldeutung davon, was der Glaube eigentlich sein sollte. Das ist es, was ich als religiöse Gewalt verstehen würde. Ich finde übrigens, dass mit Religion begründete Gewalt viel brutaler sein kann als andere Formen von Gewalt, weil meistens die Menschen, die die Religion als Legitimation für ihre Untaten nehmen, sich an die Stelle Gottes stellen. Das ist Gott, der handelt, durch diese Personen. Und mit dieser Idee, mit diesem Muster kann man die Menschen auch sehr manipulieren, gefährlich manipulieren."
    Für die äußerste Brutalität, mit der vermeintlich religiös legitimierte Gewalt ausgeübt wird, sieht die Berliner Kulturwissenschaftlerin Christina von Braun weitere Gründe. Braun spricht von der "sekundären Religion", einem Glauben, dessen ursprünglich unmittelbar erfahrbare Inhalte durch die Alphabetisierung zu leblosen Texten geworden seien.
    "Eines der Charakteristika dieser sekundären Religionen ist es, dass sie alle Intellektualität, alle Ambivalenzfähigkeit, alle Fragen, die nicht auf Eindeutigkeit verweisen, auszuschließen versucht, und stattdessen nach Eindeutigkeit, aber auch nach einem Bauchgefühl fragt. Die Bilder, Fotografie, Film und andere visuelle Techniken, wurden erfunden, um die Texte wieder magisch zu laden, also den Texten wieder eine Leiblichkeit zu geben, die sie eigentlich dem Körper entrissen hatten. Weshalb spielen bei ISIS Videos eine so große Rolle? Weshalb werden alle Hinrichtungen gefilmt und ins Netz gestellt?"
    Was ist angesichts der Gewaltexzesse im Namen einer Religion zu tun? Jörg Baberowski will das Geld für alle Sozialprogramme am liebsten "in die Spree kippen" und dafür den Staat besser für die Aufrechterhaltung des Gewaltmonopols ausstatten. Christiane von Braun und Hamideh Mohagheghi zählen dagegen auf religiöse Bildung und Aufklärung, die zur Selbstreflexion einlade und somit Gewalt verhindere. Damit war die Berliner Diskussion in der Niederungen der Politik angelangt. Die Buchreligionen bieten ebenso Legitimationen für Gewalt wie für Gewaltlosigkeit. Religionen, so könnte eine vorläufiges Ergebnis der Debatte lauten, sind so anfällig für Gewalt wie es der Mensch ist.