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Gewalt von rechts

Müller: Die Wirtschaft fürchtet um das Ansehen Deutschlands als Investitionsstandort. Die CSU fordert ein Verbot der NPD. Die Justizministerin ruft zu mehr Zivilcourage auf, zugleich will die Bundesregierung den Kampf gegen rechtsextremistische Gewalttaten verstärken, und die Gewerkschaft der Polizei fordert mehr Beamte und schnellere Verurteilungen. Wie umgehen mit der Gefahr von rechts? Seit Tagen bestimmt diese Frage die innenpolitische Diskussion. Wir wollen sie nun erörtern mit Siegmar Gabriel, sozialdemokratischer Ministerpräsident von Niedersachsen. Guten Morgen nach Hannover.

    Gabriel: Guten Morgen.

    Müller: Herr Gabriel, wissen Sie, wie man Rechtsextremismus effektiv bekämpfen kann?

    Gabriel: Ich weiß nicht, ob ich das weiß und ob ich das Problem lösen kann. Ich glaube, seit Beginn der 20er Jahre forscht die Sozialpsychologie über die Frage: Wie kommt es zu rechtsradikalem Denken und Handeln? Und immer wieder hat es in der Gesellschaft solche Probleme gegeben. Aber einige Ideen hatten wir in Niedersachsen schon.

    Müller: Wie weit sind Sie denn mit Ihrer Lösungskompetenz gekommen?

    Gabriel: Also, wir haben hier vor allen Dingen eines getan: Seit Beginn der 90er Jahre haben wir überall dort, wo organisierter Rechtsradikalismus aufgetaucht ist, von Anfang an diese Organisationen verboten, um keinerlei Verfestigungen vorkommen zu lassen. Wir haben 92 so eine Kameradschaft in Wilhelmshaven verboten, wir haben die Wiking-Jugend über das Bundesinnenministerium verbieten lassen. Das gleiche gilt für die FHP; der Antrag damals kam auch von uns - und eine Reihe anderer Aktivitäten. Wir hatten Ende der 80er - Anfang der 90er auch solche Truppen hier bei uns, und wir haben im Ergebnis bereits bei diesen schrecklichen Brandanschlägen auf Asylbewerberheime Mitte und Anfang der 90er Jahre ein deutlich geringeres Aufkommen gehabt an rechtsradikalen Straftaten. Ich glaube, ein Ergebnis ist jedenfalls - das ist vermutlich nicht ausreichend -, dass Sie solchen Organisationen keinen Spielraum geben dürfen, weil jeden Spielraum, den Sie ihnen lassen, der wird versucht, zu erweitern - und am Ende eben bis hin zu massiver Gewalt. Wir haben also beispielsweise vor 14 Tagen hier ein 400-Personen-Skinhead-Konzert auch aufgelöst. Wir gehen bis an die Grenze des rechtlich Möglichen, um solche Organisationsformen gar nicht erst entstehen zu lassen oder sich verfestigen zu lassen. Das - glaube ich - ist eines der Probleme, zumindest dort, wo - wie ich höre und lese - in bestimmten Stadtvierteln Ostdeutschlands eben Rechtsradikale nach Einbruch der Dunkelheit die Herrschaft übernommen haben.

    Müller: Unterstützen Sie, Herr Gabriel, die Forderung nach einem Verbot rechtsradikaler Parteien?

    Gabriel: Auf jeden Fall. Ob man die NPD verbieten kann, das wird man sehen, denn das Verbot muss das Bundesverfassungsgericht aussprechen. Das Parteienprivileg ist ein hohes Gut in Deutschland. Von daher wird das Bundesverfassungsgericht hohe Hürden anlegen. Jedenfalls bin ich schon der Auffassung, dass man prüfen muss, ob die NPD und vor allem die Jungen Nationaldemokraten inzwischen Organisationen sind, die weit über das hinaus, was sie in der Vergangenheit getan haben, jetzt auch Gewalttäter rund um die Skinhead-Szene sammelt. Und was ich überhaupt nicht verstehe, ist, dass immer wieder Demonstrationen genehmigt werden, bei denen menschenverachtende Parolen gebrüllt werden. Ich begreife, dass die Versammlungsfreiheit ein hohes Gut ist, aber ich kann nicht begreifen, dass Leute, die offensichtlich nichts anderes im Kopf haben als andere Menschen zu bedrohen, dass die sich unter dem Schutz unseres Staates versammeln dürfen.

    Müller: Parteienverbote, Herr Gabriel, gegen links- oder rechtsradikale Parteien - das stand ja auch schon mal in den 50er Jahren in der Bundesrepublik auf der Agenda. Man hat das dann auch getan; es hat nicht viel gebracht. Warum?

    Gabriel: Das ist ganz interessant. Natürlich muss man zur Kenntnis nehmen, dass in einem Staat wie der Bundesrepublik Deutschland - einem Industriestaat - so viele Brüche in den Biographien - auch viele soziale Probleme - existieren, die dann rechtsradikale Ideologien fördern. Ich habe vorhin schon einmal darauf verwiesen: Es gibt diese Forschung in der Sozialpsychologie seit den 20er Jahren. 1980 hat der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt eine Studie herausgegeben, die das Ergebnis hatte: 5 Millionen Deutsche wollen wieder einen Führer, und 13 Prozent rechtsradikales Wählerpotential in Deutschland - in der alten Bundesrepublik - existiert. Insofern muss man wohl zur Kenntnis nehmen, dass solche Ideologien und solche Strukturen immer wieder entstehen. Der Unterschied damals war nur, dass es sich eben um Potential gehandelt hat. Das Ergebnis der Studie war, dass diejenigen, die rechtsradikale Ideologien im Kopf haben, sich aber gleichzeitig bei demokratischen beheimatet gefühlt haben. Die haben SPD, CDU, damals auch schon Grüne und F.D.P. gewählt. Sie hatten sich selbst als Demokraten verstanden, hatten aber rechtsradikale Ideologien im Kopf. Die frage ist also: Unter welchen gesellschaftlichen Bedingungen und unter welchem gesellschaftlichen Klima wird aus so einem Potential tatsächlich rechtsradikales Wählerverhalten oder sogar rechtsradikale Gewalt gegen andere Menschen? Und das ist offensichtlich zur Zeit in Deutschland ein anderes Klima.

    Müller: Denken Sie denn auch über die Ursachenbekämpfung nach?

    Gabriel: Die Ursachenbekämpfung versuchen wir bei uns in unserem Bundesland dadurch zu betreiben, indem wir uns anschauen, in welchen Regionen und in welchen Sozialstrukturen das besonders auftritt - wo gibt es besonders auffällige Konfliktpotentiale? Und dort versuchen wir durch Veränderungen der Stadtstrukturen - Entwicklungen der Stadt durch Integrationsprogramme - zusätzlich einzugreifen. Der Staat muss immer auf beiden Seiten präsent sein. Er muss natürlich mit den Möglichkeiten von Polizei und Justiz vorgehen, also repressiv. Aber er muss auch präventiv und integrativ vorgehen, das heißt: Wir müssen Angebote an die Kommunen schaffen. Da scheint mir beispielsweise in den neuen Bundesländern eine Menge Hilfe nötig zu sein, wo die Kommunen das alleine nicht können, wo auch die Länder das alleine nicht können. Und deswegen muss es auf Bundesebene - denke ich - mehr geben, als ein Bündnis von Menschen, die - sozusagen - aus den Eliten kommen und öffentlich erklären, man müsse aber gegen Rechtsradikalismus sein. Das ist sicher wichtig und ist auch in Ordnung, aber ich glaube, dass es eine ganze Reihe von Städten in Ostdeutschland gibt, die wesentlich mehr Hilfe brauchen.

    Müller: Werden die Rechtsradikalen - aus Ihrer Sicht - in Ostdeutschland denn so weit bekämpft, dass man alle rechtlichen Mittel tatsächlich ausnutzt?

    Gabriel: Ich hoffe das zumindest. Manches, was wir an Berichten im Fernsehen gesehen haben oder in Zeitungen lesen, wo die Polizei daneben steht, wenn solche Parolen gebrüllt werden, lassen darauf schließen, dass nicht alles getan wird. Ich möchte aber aus der Ferne da keine endgültigen Urteile abgeben . . .

    Müller: . . . auch ein Problem der Polizei? . . .

    Gabriel: . . . offenbar. Ich muss immer unterstellen, dass das, was man liest und hört, oder was an Berichten vorhanden ist, dass das alles wahr ist. Und dann - in der Tat - gibt es da ein Problem.

    Müller: Der Verfassungsschutz, Herr Gabriel, warnt ja seit Jahren vor einem Aufkommen des Rechtsterrorismus. Das hat er auch in seinem jüngsten Verfassungsschutzbericht getan. Hat die Politik das nicht zur Kenntnis genommen?

    Gabriel: Also, ich kann für mein Bundesland jedenfalls sagen, dass gerade, weil wir auf den Verfassungsschutz gehört haben und weil wir die Ergebnisse zur Kenntnis genommen haben, wir eben diese Repression gegenüber solchen Organisationen nie nachgelassen haben. Ich kann nicht beurteilen, ob das in anderen Teilen der Republik anders gehändelt worden ist. Aber ich sage Ihnen: Niemand ist davor gefeit, dass es Leute gibt, die gelegentlich ihre Glatze offenbar auch nach innen tragen und die dann losgehen, und solche Aktivitäten entfalten. Was ich allerdings nicht verstehe, ist: Wenn es solche Clubs gibt wie in Neumünster, diesen berühmten 'Club 88' - 8 steht für den 8. Buchstaben des Alphabetes, also für das 'H', das Symbol für 'Heil Hitler' -, wie so etwas sich da verfestigen darf. Das ist sicher etwas, wogegen man massiv angehen muss. Aber das geht nicht nur mit Polizei, sondern da müssen Bürgerinnen und Bürger auch die Zivilcourage haben, zu sagen: 'Solche Leute wollen wir in unserer Umgebung nicht dulden'.

    Müller: Was soll die Bundesregierung jetzt - letzte Frage - konkret tun?

    Gabriel: Die Bundesregierung muss sicher dort mit den Ländern und den Regionen und Städten, in denen besondere Schwierigkeiten herrschen, reden über die Frage: Wie können wir dort einerseits mit Polizei helfen - auch mit der Polizei des Bundes, dem BGS; andererseits durch Hilfen bei der Veränderung der Wohnstruktur, soziale Stadtteilentwicklung - all das, was man nutzen muss und kann, um jedenfalls zu verhindern, dass weiterer Zuwachs hineingerät - also auf der anderen Seite eben dafür Sorge tragen, dass auch nach Einbruch der Dunkelheit in solchen Stadtteilen Recht und Gesetz der Bundesrepublik gilt, und nicht solche Typen da die Gewaltherrschaft übernehmen. Aber es gibt etwas, was darüber hinaus notwendig ist: Was immer die Politik macht - es hilft nichts, wenn in der Gesellschaft selber nichts passiert. Es ist viel wichtiger als das Handeln einzelner Politiker, wenn beispielsweise der Trainer im Sportverein, der merkt, da ist ein Jugendlicher, der nicht nur gut Fußball spielt, sondern auch rechtsradikale Gedanken im Kopf hat, mit dem redet. Oder dass der Ausbildungsleiter im Betrieb den Lehrling anspricht - dass Leute, die mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu tun haben, nicht aus der Verantwortung entlassen werden und nicht wegschauen. Das ist viel entscheidender für den Umgang mit Rechtsradikalismus, insbesondere unter Jugendlichen, als das, was Politik leisten kann.

    Müller: Siegmar Gabriel war das, Ministerpräsident von Niedersachsen. Vielen Dank für das Gespräch. Auf Wiederhören nach Hannover.

    Link: Interview als RealAudio