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Gewaltsame Blockupy-Demonstranten
"Die tun der Bewegung einen Bärendienst"

Viele Organisatoren der Blockupy-Demos in Frankfurt seien überrascht über die gewaltsamen Ausschreitungen, sagte der Wirtschaftssoziologe Oliver Nachtwey im DLF. Er bezweifle gleichzeitig, dass sich diese Leute mit den Zielen der Bewegung identifizierten. Dennoch trage auch die Polizei eine gewisse Mitschuld an der Eskalation.

Oliver Nachtwey im Gespräch mit Christiane Kaess | 18.03.2015
    An vielen Stellen gab es fantasievollere Arten des Protests zu sehen
    An vielen Stellen gab es fantasievollere Arten des Protests zu sehen (dpa / picture-alliance / Arne Dedert)
    Christiane Kaess: Schillernd steht der neue Turm der Europäischen Zentralbank in Frankfurt am Main und EZB-Chef Mario Draghi hält eine eindringliche Rede zur Eröffnung mit historischen Bezügen. Aber die Einweihungsfeier wird überschattet von massiven Protesten. Die Demos der Kapitalismuskritiker des Bündnisses Blockupy, die waren zwar angekündigt und erwartet. Dass sie aber gleich heute Vormittag eskalieren würden, das kam dann doch überraschend.
    Darüber sprechen wollen wir jetzt mit Oliver Nachtwey. Er ist Wirtschaftssoziologe an der TU Darmstadt. Guten Tag, Herr Nachtwey.
    Oliver Nachtwey: Hallo, Frau Kaess.
    Kaess: Laut, bunt und friedlich, so sollte der Protest sein. Dass er nicht friedlich geblieben ist, war das vorherzusehen?
    Nachtwey: Ich glaube, das hat auch viele der Organisatoren überrascht. Ich habe mir in der letzten Woche und gestern Abend noch mal die Veranstaltungen auch angeschaut, ich beobachte die Bewegung ja seit Langem, im Grunde seit ihrem Beginn, und allein gestern Abend auf dem Plenum im Gewerkschaftshaus, das war sehr bunt, sehr fröhlich, und man hat genau das artikuliert. Man hat gesagt, man möchte friedlich, aber eben lautstark demonstrieren.
    Und ich denke, dass bei vielen der Organisatoren erst mal jetzt die Frage steht, woher kommt das, und sie sind selbst davon überrascht, obwohl man wusste, die Polizei hat das größte Polizeiaufgebot der Geschichte Frankfurts aufgebracht. Man hat fast alle Wasserwerfer Deutschlands zusammengezogen. Die Polizei hat auch dazu mit beigetragen, dass diese emotionale und gewalttätige Stimmung in der Stadt vorhanden war.
    Kaess: Das ist jetzt Ihre Sicht auf die Dinge. Wie schwer haben es denn diejenigen innerhalb der Bewegung Blockupy, die sich von der Gewalt distanzieren wollen? Wie schwer ist das für die?
    Nachtwey: Ich glaube, das ist tatsächlich nicht einfach, denn die Mehrheit der Demonstranten ist ja sehr, sehr friedlich. Gerade ist, glaube ich, eine DGB-Demonstration losgegangen, heute Nachmittag soll es noch eine Großdemonstration geben, und die Leute, die da Gewalt anwenden, ich weiß gar nicht, ob die sich tatsächlich mit den Zielen der Bewegung identifizieren. Die tun jedenfalls der Bewegung einen Bärendienst an, nämlich das Bild wird erst mal bleiben: Blockupy, dort hat es Gewalt gegeben. Ein schöneres und produktiveres Bild wäre ja gewesen, was macht die EZB in Europa, was kann man daran kritisieren, und deshalb haben es die Leute jetzt schwer, weil diese Bilder der Gewalt so hängen bleiben.
    Kaess: Darauf können wir gleich noch näher eingehen. Ich möchte aber trotzdem noch mal fragen: Wer genau sind aus Ihrer Sicht diese Anhänger? Von außen sieht es ja so aus, das reicht von den Extremisten bis zu den normalen Bürgern. Stimmt dieses Bild?
    "Friedlicher Zusammenstoß" zwischen der Polizei und einem Demonstranten
    "Friedlicher Zusammenstoß" zwischen der Polizei und einem Demonstranten (dpa / picture-alliance / Arne Dedert)
    "Junge Leute mit starker Kapitalismuskritik"
    Nachtwey: Meinen Sie jetzt die Anhänger von Blockupy?
    Kaess: Ja, die Anhänger von Blockupy.
    Nachtwey: Ach so. - Ich habe mit einem Team eine Studie zu Occupy, der Vorgängerbewegung von Blockupy, durchgeführt, und die Anhänger von Occupy, das waren im Wesentlichen junge Menschen mit einer guten Ausbildung und in der Regel einer prekären Beschäftigung. Dieses Bild habe ich gestern Abend auf dem Plenum, wo tausend Leute waren, auch wiedergefunden. Das heißt, es waren vornehmlich junge Menschen, viele Frauen dabei, die eine sehr, sehr starke Kapitalismuskritik haben. Die sagen, wir sind enttäuscht von diesem System, das uns weder sozialen Aufstieg, noch Gerechtigkeit, noch Solidarität bietet. Das ist, denke ich, der typische Blockupy-Anhänger.
    Kaess: Und das aus einer Motivation heraus, weil die Leute selber betroffen sind?
    Nachtwey: Ja man muss gar nicht selber betroffen sein, sondern man kann sehen, in anderen Ländern, aber auch in Deutschland steigt die Ungleichheit. Wir haben die größte Wirtschaftskrise seit 1929 und die Politik hat im Wesentlichen nur die großen Banken gerettet. Der DAX war gestern auf dem höchsten Stand aller Zeiten. Gleichzeitig hat Deutschland einen sehr, sehr starken Niedriglohnsektor und die gesamte Vermögensungleichheit ist auch gestiegen. Also viele Gründe gibt es auch jenseits der eigenen Betroffenheit.

    "EZB ist eine widersprüchliche Organisation"
    Das Eurozeichen vor der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt/Main mit Protestplakat
    Das Eurozeichen vor der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt/Main mit Protestplakat (imago / Hannelore Förster)
    Kaess: Das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite weist die EZB, gegen die ja heute vor allem demonstriert wird, darauf hin, dass sie viel getan habe, die Lage der Menschen gerade in den Krisenländern zu verbessern. Warum kommt das bei Blockupy nicht an?
    Nachtwey: Ja, die EZB ist tatsächlich eine widersprüchliche Organisation, weil dort sehr viel vernunftbegabte Banker sind, die tatsächlich es geschafft haben, den Zusammenbruch des Euroraums zu verhindern. Und hätte man da einige der bundesbanker aus Deutschland herangelassen, dann hätte das noch ganz anders ausgesehen. Aber es ist ja auch so, dass die EZB vor allen Dingen die Finanzmärkte stabilisiert hat und mittelfristig die Regierungen in den südlichen Ländern gestützt hat. Aber sie hat ihnen auch auferzwungen, dass dort die Sozialausgaben massiv gekürzt wurden, dass dort die Löhne gesunken sind, dass die Renten angegangen werden. Das heißt, die EZB hat gleichzeitig stabilisiert, aber auch mehr Ungleichheit mitproduziert.
    Kaess: Es gibt aber offenbar auch keine Einsicht auf Seiten der Blockupy-Anhänger, dass die Schuldenstaaten selbst, zum Beispiel Griechenland steht ja im Moment an vorderster Front, dass diese Länder selbst Mitverantwortung tragen. Woher kommt diese einseitige Sicht auf die Dinge?
    Nachtwey: Ich weiß gar nicht, ob diese Sicht so einseitig ist. Viele Leute würden ja sagen, in Griechenland - das sagt ja auch die Syriza-Regierung selbst - gibt es durchaus Probleme in der Regierung, vor allen Dingen bei den Vorgängerregierungen, die als Gruppe tatsächlich sehr, sehr unverantwortlich gehandelt hat, und gerade in Griechenland hat man ja das Problem, dass dort die Steuern nicht vernünftig eingezogen wurden etc. Das sieht man schon als Problem an und das wird auch, glaube ich, bei Blockupy geteilt. Man sagt nur, die Schulden, wie sie jetzt existieren, die kann man gar nicht zurückzahlen, und man würde diese Länder wirklich in eine Schuldknechtschaft bringen, und das schadet auch Europa und der Demokratie insgesamt.
    Zwei Demonstranten, im Hintergrund ein Plakat mit der Aufschrift: "No more austerity, we demand jobs and growth"
    "Wir fordern Jobs und Wachstum" - in Nikosia gingen Tausende Demonstranten gegen die Sparpolitik auf die Straße. (dpa/picture alliance/Katia Christodoulou)
    "Länder gefangen im Schuldendienst"
    Kaess: Gibt es denn, Herr Nachtwey, konstruktive Ansätze zur Lösung der Schuldenkrise aus den Reihen der Blockupy-Anhänger?
    Nachtwey: Ich denke, es gibt viele Ansätze, die sich berühren. Ob sie konstruktiv sind, das müssten dann tatsächlich die politischen Akteure miteinander verhandeln. Aber die Idee eines Schuldenschnittes, wie sie jetzt auch die Syriza-Regierung vorbringt, die ist ja viel älter. Das ist ja eine biblische Idee, die auch der bekannte Anthropologe David Graeber mit seinem auch in Deutschland sehr, sehr bekannten Buch "Schulden" hervorgebracht hat. Man könnte tatsächlich einen Schuldenschnitt vollziehen und Griechenland und den anderen Schuldnerländern auch ermöglichen, wieder in die Wirtschaft zu investieren, in Arbeitsplätze, in Sozialsysteme oder in das Gesundheitswesen zu investieren.
    So sind die Länder ja vollständig gefangen darin, die Schulden zu bedienen, und wenn man das so weitermacht, dann werden diese Länder nie wieder in eine Lage kommen, tatsächlich auch mit den anderen europäischen Ländern zusammenzuarbeiten und zumindest die Restschulden zu bezahlen.
    Kaess: Die Meinung von Oliver Nachtwey. Er ist Wirtschaftssoziologe an der TU Darmstadt. Danke für das Interview.
    Nachtwey: Ich danke auch, Frau Kaess. Schönen Tag noch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.