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Gewaltspirale in Mazedonien

Heinlein: Ein EU-Sonderbeauftragter und wirtschaftlicher Druck auf die Regierung in Skopje, beide Mittel sollen helfen, die Verhandlungen in Mazedonien wieder auf das Gleis zu bringen. Ob beides ausreicht, um den Frieden wieder herzustellen, dazu gab es gestern in Luxemburg bei den europäischen Außenministern unterschiedliche Stellungnahmen. Zu den Optimisten gehört der EU-Koordinator für den Balkan-Stabilitätspakt, Bodo Hombach. Ihn begrüße ich jetzt am Telefon. Guten Morgen!

    Hombach: Guten Morgen.

    Heinlein: Herr Hombach, gestern Abend der Sturm des Parlamentes in Skopje. Welche Chancen hat denn in dieser aufgeheizten Stimmung eine friedliche Lösung?

    Hombach: Die Situation hat sich tatsächlich zugespitzt. Das was wir alle von Anfang an vermeiden wollten, dass nämlich die Brandfackel zwischen die Menschen geworfen wird, dass Nachbarn aufeinander losgehen, das zeichnet sich tatsächlich als Gefahr ab. Es gibt eine Gewaltspirale, eine Eskalation. Das hat die Menschen erreicht. Man ist wütend aufeinander. Jetzt sind es noch Demonstrationen. Hoffentlich wird es nicht Gewalt.

    Heinlein: In Luxemburg gab es gestern die Warnung vor der Möglichkeit eines Bürgerkrieges. Wie groß ist denn aus Ihrer Sicht diese Gefahr?

    Hombach: Ich habe natürlich viele, fast tägliche Kontakte nach Mazedonien und bin ständig in der Region. Ich war erst Anfang der letzten Woche im Kosovo und war dann auch in anderen Nachbarländern. Die Situation heizt sich auch psychologisch auf. Die Rolle der mazedonischen Medien ist auch zuspitzend. Sie haben das in Ihrem Bericht selber zitiert. Die Schlagzeilen sind nicht so, dass man Ausgleich und Frieden sucht, sondern dass man eine gewaltsame Lösung als möglich darstellt, und das ist Quatsch. Es gibt in einem Kampf gegen Terroristen, die nach dem Prinzip "zuschlagen und verschwinden" agieren, keine militärische Lösung. Das wissen wir im alten Europa von den verschiedensten Brandherden. Ein Rezept gegen Terroristen, gegen Leute, die nicht reden wollen, die nicht verhandeln wollen, die sich nicht in einen demokratischen Prozess integrieren wollen, ist noch nirgendwo gefunden worden. Das allerwichtigste ist, dass man diese isoliert, dass man sie daran hindert, sich quasi wie Fische im Wasser zu bewegen und Gefolgschaft zu finden. Das ist der Kern der politischen Bemühungen, die Basis, auf der Terrorismus gedeihen kann, zu beseitigen. Das war die Forderung der EU an die mazedonische Regierung, der albanischen Minderheit, die so klein ja gar nicht ist, vollen Rechtsstatus zu geben und umgekehrt die Terroristen zu entwaffnen und wieder aufzufordern, das Land schleunigst zu verlassen. Dieser Prozess - so wird mir berichtet - ist ja im Gange.

    Heinlein: Herr Hombach, kein Ministerpräsident, keine Reformen, kein Friedensplan. Was die mazedonische Delegation gestern in Luxemburg zum Vortrag brachte empfanden viele als sehr mager. Wie groß war denn die Enttäuschung der EU-Außenminister über den Vortrag Ihrer mazedonischen Amtskollegin?

    Hombach: Es gab Enttäuschungen, dass es überhaupt nicht so läuft, und die gab es auch bei mir. Der Stabilitätspakt umfasst übrigens nicht nur die Länder der EU, sondern wir koordinieren im Stabilitätspakt auch die Amerikaner, die Russen, die Japaner, die Kanadier, das heißt die G8-Staaten und andere Länder wie zum Beispiel die Schweiz, die selber in der Region sehr aktiv sind. Das heißt ich kann schon ausdrücken, dass diese Enttäuschung, die dort erlebt wurde, breit ist. Nur wissen Sie, wir stehen jetzt vor einigen Ereignissen in Brüssel, die heute Abend beginnen und sich in den nächsten Tagen fortsetzen werden. Da wird die ganze Region zum erstenmal - das hätte man vor einem Jahr nicht für möglich gehalten - ein Freihandelsabkommen unterzeichnen, acht Länder der Region, oder ein Flüchtlingsrückkehrprogramm in einer Größenordnung, die den 1,1 Millionen Flüchtlingen, die es in der Region noch gibt, endlich Zuversicht und Perspektive zwischen Kroatien, Bosnien-Herzegowina und Serbien geben kann. Es gibt gleichzeitig zu diesen eskalierenden Prozessen Dinge auf dem Balkan, die die Situation sehr beruhigen. Kein Nachbar zum Beispiel - das ist neu - heizt diesen Konflikt in Mazedonien von außen an. Das kann man ganz deutlich sehen. Das sind Entwicklungen, die aus meiner Sicht selbstheilende Kräfte freisetzen. Weshalb nun dieser erkennbare Prozess der Deeskalation, wo die Rebellen sogar angeboten haben, sich zu entwaffnen, in der politischen Öffentlichkeit Mazedoniens offenbar so schwer zu vermitteln ist, das müssen wir uns jetzt alle fragen.

    Heinlein: In der Tat, Herr

    Hombach: In Mazedonien - Sie sprachen selbst davon - steht eine Eskalation vor der Tür. Wurde denn gestern hinter verschlossener Tür in Luxemburg Klartext geredet und der mazedonischen Delegation deutlich gemacht, dass es nicht so weitergehen kann wie bisher?

    Hombach: Es wurde natürlich Klartext geredet. Daran mangelt es überhaupt nicht. Aber ich muss Ihnen ganz offen sagen, das hilft ja wenig. Wenn man verschiedene Politiker beobachtet, die erkennbar die Massen, die wir alle haben in den Berichten sehen können und über die Sie ja auch in Ihrem Beitrag berichtet haben, nicht beherrschen können, die ihrerseits ihrer Öffentlichkeit einen deeskalierenden Prozess nicht vermitteln können, dann nutzt Klartext wenig. Da muss man sich mit der Frage befassen, wie können wir es schaffen, dass bei den aufkeimenden neuen nationalistischen Bewegungen nicht der Eindruck entsteht, dass Gewalt oder Gegengewalt die Rezepte von morgen sind.

    Heinlein: Herr Hombach, unternimmt denn die mazedonische Regierung genug, um diese Massen unter Kontrolle zu halten?

    Hombach: Ich konnte gestern keine politischen Aktivitäten sehen. Offenkundig verfügt die mazedonische Regierung nicht über die Medien, verfügt nicht über die Möglichkeiten, sich in einer solchen Situation auch nur zu Wort zu melden. Sie haben ja selber aus den Schlagzeilen berichtet. Wir haben natürlich einen Überblick über die mazedonische Medienlage. Dort gibt es zur Zeit keine Stimme der Besinnung, keine Stimme der Vernunft. Hier sind zum Teil auch Ihre Kollegen aktiv anheizend tätig in einem eskalierenden Sinne. Hier wird zum Beispiel der Abzug von Terroristen als ein Erfolg gefeiert, damit die Kämpfe abflackern, sondern da ist genau die Sprache "Konvoi der Schande", dass man diese Menschen dort überhaupt abziehen lässt, als wenn es eine militärische Lösung hätte geben können.

    Heinlein: Das hört sich nach Hilflosigkeit von europäischer Seite an?

    Hombach: Das kann ich nicht sagen. In all den politischen Strängen, die wir beeinflussen können, sehe ich ganz deutliche Fortschritte. Ich sagte es schon einmal. Diese Konflikte, die wir aus dem Balkan kennen, haben eine andere Dynamik. Wir stehen vor einer Balkan-Woche in Brüssel, die uns erkennbare handfeste Vorteile bieten wird. Aber was wir von Brüssel aus nicht können, was überhaupt niemand von außen kann, ist die Beeinflussung von Volksmeinung. Das wäre ja noch schöner, wenn das ein internationales Mandat wäre. Um die Köpfe der Menschen müssen schon die politischen Kräfte selber ringen.

    Heinlein: Dennoch, Herr Hombach, ist die Entsendung eines ständigen Vermittlers nicht auch ein Eingeständnis, dass die Reisen von Solana als Feuerlöscher alleine nicht ausreichen, um eine Lösung für Mazedonien zu erreichen?

    Hombach: Herr Solana hat diplomatisch wie ich finde großartige Arbeit geleistet. Er hat den Prozess auf eine politische Verhandlungsebene, von der militärischen Ebene weg auf eine politische Ebene gebracht. Es war sehr früh auch unser Vorschlag, den wir den Außenministern vorgetragen haben, den All-Parteien-Dialog in Mazedonien aufzunehmen, ihn jetzt konkret zu füllen, das heißt den Parteien Aufbauarbeit als Ziel zu setzen und nicht Destruktion und dann gleichzeitig jemanden vor Ort zu haben, der das kontinuierlich und ständig beobachten kann. Diesen Vorschlag hatten wir vor einiger Zeit gemacht. Ich bin froh, dass das umgesetzt wird. Was ich natürlich auf keinen Fall akzeptieren kann ist, dass die staatlichen Organe mitwirken an der Destruktion dessen, was so mühselig aufgebaut worden ist. Wenn ich höre, dass Militär Straßen oder Infrastruktureinrichtungen beschießt, dann denke ich nicht daran, dass wir zur selben Zeit Geld in die Hand nehmen, um solche Dinge einzurichten.

    Heinlein: Herr Hombach, ein Satz noch zu einem anderen Thema auf dem Balkan. Die jugoslawische Regierung hat den Weg frei gemacht für die Auslieferung von Milosevic nach Den Haag. Wie wichtig ist dieser Schritt?

    Hombach: Das ist wichtig. Wer die internationalen Institutionen will, muss ihre Spielregeln kennen und akzeptieren. Das bestärkt mich darin, dass man sowohl Herrn Kostunica, ganz gewiss Herrn Djindjic, dass man den jugoslawischen Politikern vertrauen kann. Das waren Menschen, die haben unter Lebensgefahr gegen Milosevic gekämpft. Die haben alles getan, um sein politisches Wirken zu beenden. Denen braucht man nicht zu misstrauen. Die versuchen was sie können, um einen Schlussstrich zu ziehen. Ich hoffe, dass sie es diesmal schaffen, aber ich bin ganz sicher, Milosevic gehört nicht nur nach Den Haag, er wird auch dort landen. Wann das genau sein wird, das weiß ich nicht, aber ich vertraue den Kräften dort völlig.

    Heinlein: Im Deutschlandfunk heute Morgen der EU-Koordinator für den Balkan-Stabilitätspakt, Bodo Hombach. - Danke für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Hombach: Ich danke Ihnen für das Interesse. Auf Wiederhören!

    Link: Interview als RealAudio