Dienstag, 19. März 2024

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Gewalttaten in Bayern
Polizeigewerkschaft sieht Anstieg von "Gewalt ohne Sinn und Zweck"

Scheinbar sinnlose Gewalttaten haben nach Einschätzung der Gewerkschaft der Polizei (GdP) zugenommen. Das Grundproblem liege eigentlich in der Gesellschaft, sagte der bayerische GdP-Landesvorsitzende Peter Schall im Dlf. Erziehung finde anscheinend kaum oder gar nicht mehr statt.

Peter Schall im Gespräch mit Claudia Hennen | 10.12.2019
"Augsburg lässt sich Nicht Verhetzen" steht auf dem Plakat eines Mannes der am Königsplatz bei der Kranzniederlegung eines AfD-Abgeordneten gegen politische Instrumentalisierung demonstriert.
Trauer und Gedenken in Augsburg (dpa-Bildfunk / Karl-Josef Hildenbrand )
Claudia Hennen: Am Freitagabend wurde auf dem Augsburger Weihnachtsmarkt ein Feuerwehrmann getötet, weil er mit einer Gruppe Jugendlicher in Streit geriet. Gestern wurde ein Münchner Polizist mit einem Messer niedergestochen. Der Polizist war im Dienst, der Feuerwehrmann war privat unterwegs. Auf den ersten Blick haben die beiden Ereignisse also nur bedingt miteinander zu tun, und doch schlägt die bayerische Gewerkschaft der Polizei Alarm.
Was beunruhigt die Polizei an diesen Vorfällen? Frage an Peter Schall, Vorsitzender der GdP Bayern.
Peter Schall: Das ist das Problem einer allgemein zu beobachtenden Gewaltbereitschaft, vor allen Dingen auch einer Gewaltbereitschaft oft ohne Sinn und Zweck. Wenn man sieht, in Augsburg, das war eine verbale Auseinandersetzung, da ist es nicht notwendig, einen anderen Menschen niederzuschlagen. Und in München ist ja völlig offen, was jetzt das Motiv des Täters war, er war ja selber von der Kontrolle gar nicht betroffen, sondern hat den Kollegen, so wie es ausschaut, ohne Grund angetroffen. Ich meine, er selbst wird irgendeinen Grund haben, vielleicht Hass auf die Polizei oder was auch immer, aber es ist halt für einen Außenstehenden völlig unerklärlich, was das soll.
Hennen: Ist diese Gewalt, diese grundlose Gewalt neu in dieser Dimension?
Schall: Nach den Beobachtungen aus dem gewerkschaftlichen Rechtsschutz und aus der Auswertung der Dienstunfälle scheint es tatsächlich so zu sein, dass gerade diese sinnlose Gewalt oder die auch oft außer Verhältnis steht, zunimmt. Die Körperverletzungsdelikte insgesamt haben in Bayern seit 2009 die letzten Jahre immer zugenommen - von 72.000 auf jetzt 73.000, wobei wir den Höchststand hatten mit 79.000 im Jahr 2016. Das sind rein die statistischen Zahlen, aber ich glaube, es geht auch darum, dass die Gewalt oft so sinnlos erscheint.
"Eindruck, dass Erziehung kaum oder wenig bis gar nicht stattfindet"
Hennen: Sie sind ja seit mehr als 40 Jahren Polizist - wie würden Sie diese Entwicklung beschreiben, was erleben Sie da auf der Straße?
Schall: Früher war es halt so, da hat, sag ich mal, ein Bankräuber, wenn Sie ihn festgenommen haben, oder ein betrunkener Autofahrer, der sich gegen seine Blutentnahme gewehrt hat, der hat Widerstand geleistet. Das ist noch irgendwo nachvollziehbar - ist jetzt auch nicht erlaubt, aber es ist nachvollziehbar. Aber wenn halt Kollegen zum Beispiel Jugendliche auffordern, das Zertrümmern von Bierflaschen auf der Fahrbahn einzustellen und die Scherben aufzulesen, wenn dann einer der Beteiligten dem Kollegen das Nasenbein zertrümmert, das steht völlig außer Verhältnis. Das ist ja insgesamt das Problem, dass ja durch diese Gewaltanwendung ja oft dann erst das Strafverfahren entsteht und dass es mitunter gerade im Straßenverkehr nicht nur eine ordentliche Bestrafung zur Folge hat, sondern auch den Verlust des Führerscheins.
Hennen: Wer sind denn die Täter, gibt es da ein spezifisches Profil?
Schall: Von der Statistik her ist es so, dass die meisten Täter männlich sind, um die 80 Prozent, und dass 70 bis 80 Prozent der Täter auch unter berauschenden Mitteln stehen - sei es jetzt Alkohol, seien es Drogen oder auch oft Mischkonsum.
Hennen: Nun wurden ja Strafen für Angriffe auf Rettungskräfte und Polizisten vor einem Jahr verschärft - was hat es gebracht?
Schall: Ja, also das muss man natürlich sehen in der Langzeitbetrachtung, das muss sich erst mal rumsprechen, und es muss auch vielleicht der ein oder andere Täter mal wirklich sehr kurzfristig verurteilt werden. Für uns ist es sinnvoll, wir haben diese Maßnahme gefordert als Gewerkschaft und sind da der Politik auch dankbar, dass sie diesen Weg gegangen ist, und ich denke, da muss man die Langzeitwirkung abwarten. Aber eins ist auch ganz klar: Polizei und Justiz können nur Reparaturbetrieb sein, das Grundproblem ist eigentlich in der Gesellschaft. Man müsste gerade den jungen Leuten beibringen, dass sie nicht nur Rechte, sondern eben auch Pflichten haben, also dass ich meine Grundrechte nur ausüben kann, wenn ich niemand anderen schädige, wenn ich mich an die Gesetze halte und auch gewisse Sitten und Anstand beachte.
Hennen: Also es ist die Respektlosigkeit, die wachsende, vor allem bei der jüngeren Generation?
Schall: Das ist richtig. Man hat so den Eindruck, dass Erziehung kaum oder wenig bis gar nicht stattfindet, und dann ist der Polizeibeamte der Erste, der mal sagt, stopp, hier darfst du nicht weiter, oder der Feuerwehrler, der sagt, hier, diese Straße ist gesperrt, bitte nicht durchfahren. Und dann entlädt sich da irgendwie der Hass, ungefähr so wie, jetzt kommst du daher, du hast mir gar nichts zu sagen, mit entsprechenden Schimpfwörtern begleitet. Das sind Beobachtungen, die gab es früher nicht. In meiner Außendienstzeit war es eigentlich so, wenn der Polizist gesagt hat, da ist gesperrt aus dem und dem Grund, dann haben die Leute das akzeptiert, ohne dass sie da groß rumgemurrt haben.
Schnellere Bestrafung soll helfen
Hennen: Welche Wirkung können abschreckende Maßnahmen haben, jetzt gerade auch in der Justiz? Sie haben angesprochen, es wäre zu wünschen, dass da öfters eine schnelle Verurteilung geschähe.
Schall: Wir haben hier in Bayern bei verschiedenen Staatsanwaltschaften inzwischen Absprachen, dass Fälle, die klar sind, recht schnell bevorzugt abgeurteilt werden, um eben das Signal zu setzen, Strafe folgt auf dem Fuße, und eben auch die Auswirkungen zu zeigen, die Strafen auch höher sind, am höheren Level, also die Justiz nicht mehr nur am untersten Level der Strafandrohung ist, sondern eben auch mal den Strafrahmen ausschöpft.
Und zum Zweiten erhoffen wir uns durch die Einführung der Body-Cams, dass hier eine Trendumkehr stattfindet. Es ist jetzt so, dass bayernweit inzwischen an alle Dienststellen die Body-Cams ausgeliefert wurden und die Kollegen hier im Einsatz solche Situationen dann auch beweiskräftig filmen. Und die Erfahrung aus den Pilotversuchen war eben, dass schon alleine die Ankündigung, "Sie, das wird mir jetzt zu seltsam das Gespräch, ich schalte jetzt die Body-Cam ein", dass dann schon ein Drittel der Fälle zur deutlich freundlicheren Handlungsweise des Gegenübers führt.
Hennen: Herr Schall, was raten Sie aber dem Bürger, der bei einem Konflikt Zivilcourage zeigen will, sich vielleicht einfach einmischt - soll er sich besser raushalten?
Schall: Ja, das kommt immer auf die Gesamtsituation an. Wichtig ist, dass also auch die Umstehenden nicht nur zuschauen, sondern dass die auch dann mit Hilfe leisten - das ist ja vorbildlich gewesen im Münchner Hauptbahnhof. Nach meinen Informationen ist ja da der Tatverdächtige durch die Passanten, die das mitbekommen haben, festgehalten worden, bis ihn die Polizei dann festnehmen konnte. Das ist natürlich gut, aber da ist halt wirklich immer gefährlich, wenn jemand alleine so einem Täter gegenübertritt, weil man halt wirklich nicht weiß, wie der reagiert. Es gibt halt leider immer mehr sehr aggressive Täter, die ohne Rücksicht auf Verluste auf einen anderen Menschen losgehen, und da ist es wirklich gescheiter, die Polizei anzurufen und vielleicht sich als Zeuge dann zur Verfügung zu stellen. Aber alleine einen Täter anzutreffen, der schon zeigt durch seine aggressive verbale Kommunikation, da ist es dann wirklich sinnvoller, dem aus dem Weg zu gehen oder eben wie gesagt die Polizei zu rufen zur Unterstützung.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.