Montag, 13. Mai 2024

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Gewerkschaft der Polizei in Hessen
Polizeigewalt nur in "verschwindend geringem" Maße

Er wolle nicht abstreiten, dass es "vollkommen rechtswidrige und zu ahndende Übergriffe polizeilicher Gewalt" gebe, sagte Andreas Grün, Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei in Hessen. Tatsache sei aber auch, dass Polizisten einer höheren Gewaltbereitschaft ausgesetzt seien.

Andreas Grün im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker | 30.07.2019
Andreas Grün, Vorsitzender des hessischen Landesverbandes der Gewerkschaft der Polizei, GdP, (19.2.2016).
Andreas Grün, Vorsitzender des hessischen Landesverbandes der Gewerkschaft der Polizei (GdP), sieht die Polizei nach wie vor als Spiegel der Gesellschaft (dpa / picture alliance / Roland Holschneider )
Ann-Kathrin Büüsker In Deutschland gibt es deutlich mehr Gewalt durch Polizistinnen und Polizisten, als tatsächlich offiziell erfasst wird. Zu diesem Ergebnis kommt eine Befragung der Ruhr-Uni Bochum, über die "ARD" und "Spiegel" berichten. Über Ursachen und Umgang mit Polizeigewalt kann ich jetzt mit Andreas Grün sprechen, er ist Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei in Hessen. Einen schönen guten Morgen!
Andreas Grün: Guten Morgen!
Büüsker: Herr Grün, können sich Polizisten in Deutschland alles erlauben?
Grün: Nein, sie können sich mitnichten alles erlauben. Die Polizei in Deutschland, so wie wir sie als Gewerkschaft der Polizei verstehen – als rechtsstaatliche, zivile Bürgerpolizei –, handelt streng nach Gesetz. Das sind die Vorgaben und nichts anderes.
Büüsker: Aber wie können Sie sich dann diese aktuellen Zahlen erklären?
Grün: Nun, ob diese Zahlen tatsächlich so sind, wie sie dargestellt sind, dass es Abertausende von polizeilichen gewalttätigen Übergriffen gibt, das möchte ich mal dahingestellt lassen. Dagegen spricht auch, dass die Polizei bei der Bevölkerung, bei der Vertrauenswürdigkeit der Berufe, bei allen Umfragen auf Platz eins, zwei oder drei liegt. Von daher, sage ich mal, können wir gar keine prügelnde Truppe sein, die wie dargestellt Tausende, Abertausende von Gewalttaten gegen die Bürger begeht, und die Bürger uns gleichzeitig in diese hohen Maße das Vertrauen schenken.
Büüsker: Herr Grün, jetzt spitzen Sie aber auch gerade sehr, sehr zu. Es sprach ja niemand von einer prügelnden Truppe, sondern es geht darum, konkrete Gewaltfälle ganz klar zu benennen, was man ja auch tun muss, um das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Truppe herzustellen.
Grün: Selbstverständlich, das wird ja auch gemacht.
"Polizei hat staatliches Gewaltmonopol inne"
Büüsker: Sie haben also erheblichen Zweifel an diesen Zahlen, Sie glauben das alles nicht?
Grün: In der Höhe, ich sage, ich halte sie für überzogen, weil andere Statistiken, wie ich sie eben dargestellt habe, dem völlig entgegenstehen. Wir sagen nicht, dass es keine Übergriffe gibt, das wäre ja töricht zu sagen, natürlich gibt es Übergriffe. Aber wenn die Polizei handelt, dann müssen wir zunächst auch mal die Frage stellen, was ist denn überhaupt Polizeigewalt. Und die Polizei hat das staatliche Gewaltmonopol inne und wenn sie in Ausübung ihres Dienstes körperliche Gewalt – also unmittelbaren Zwang – anlegen muss, um eine Maßnahme durchzusetzen, dann ist das rechtmäßig.
Wenn sie beispielsweise bei einer Festnahme jemanden mit unmittelbarem Zwang festnehmen müssen, dann wird in der Regel eine Anzeige wegen Widerstand geschrieben, und der Festgenommene macht dann in neun von zehn Fällen eine Anzeige wegen Körperverletzung im Amt. Dann geht das Ganze zur Staatsanwaltschaft, die Staatsanwaltschaft stellt dann fest, ob die Primärmaßnahme – nämlich die Festnahme – rechtmäßig war. War sie das, dann ist der unmittelbare Zwang in aller Regel auch rechtmäßig, und dann werden diese Delikte eingestellt. Und da haben wir allein, um das abzuschließen, 21.000 Fälle von Widerstand in Deutschland im letzten Jahr.
Büüsker: Die Forscher der Ruhr-Uni Bochum kommen jetzt allerdings zu dem Schluss, dass die Staatsanwaltschaften ganz oft diese Fälle gar nicht verfolgen würden, weil sie das Verhältnis zur Polizei nicht belasten wollen, weil beide Institutionen ja zusammenarbeiten müssen. Halten Sie das für plausibel?
Grün: Keine Klüngelei zwischen Staatsanwaltschaft und Polizei
Grün: Nein, das halte ich auch nicht für plausibel. Also, wir haben bei der Polizei natürlich ein intensives Verhältnis zur Staatsanwaltschaft, weil wir mit ihr zusammenarbeiten müssen, aber sie ist Herrin des Verfahrens. Und gerade bei Fällen von polizeilicher Gewalt oder bei Schusswaffengebrauch, immer wird die Staatsanwaltschaft in einem ganz frühen Stadium eingebunden, damit sie hier nicht am Ende einen durchermittelten Papiertiger vorgelegt bekommt, über den sie entscheiden kann, sondern dass sie von Anfang an dabei ist. Das halte ich für richtig, und das wird in den Fällen auch so gemacht und spricht auch dagegen, dass die Staatsanwaltschaften und Polizeien hier eine gewisse Klüngelei machen würden.
Büüsker: Sie sagen jetzt, es läuft meistens ziemlich gut. Nun gibt es eine ARD-Dokumentation, in der sehr viele Bürgerinnen und Bürger zu Wort kommen, die sich sehr ungerecht behandelt fühlen, die sogar Angst hatten tatsächlich, die Gewalt, die sie erfahren haben, anzuzeigen. Also es scheint ja schon ein gewisser Widerspruch zwischen der Sichtweise der Polizei auf die Sache und der Sichtweise vieler Bürgerinnen und Bürger. Wie problematisch ist das, wenn sich da zunehmend Bürgerinnen und Bürger durch die Polizei nicht mehr richtig geschützt fühlen?
Grün: Tja, was soll ich Ihnen da sagen. Ich sage nach wie vor, jeder Bürger kann, wenn polizeiliches Fehlverhalten im Raum steht, dieses anzeigen, nicht nur bei der Polizei, wenn er da eine Schwelle sieht, er kann zur Staatsanwaltschaft gehen, er kann die Politik informieren, er kann direkt den Innenminister anschreiben. Es gibt in verschiedenen Ländern Anlaufstellen, Ansprechpartner für polizeiliche Übergriffe. Also, irgendwo ist ja dann auch ein Maß erreicht … Was wollen Sie denn noch, wollen Sie jemanden haben, der die Bürger abfragt, ob irgendwas passiert ist? So viel Zivilcourage muss man haben, dass man an irgendeiner Stelle dann, wenn einem Unrecht getan wurde, das auch sagen kann. Und ich glaube diese Stellen gibt es in Deutschland auch.
Büüsker: Sie fordern jetzt Zivilcourage von den Bürgerinnen und Bürgern. Wir haben in den vergangenen Monaten aber diverse Fälle gesehen, wo in der Polizei Dinge sehr, sehr falsch gelaufen sind. Mecklenburg-Vorpommern, 2018, da stellt der Datenschutzbeauftragte fest, dass Polizisten Daten abgezwackt haben, einzelne Personen diese Daten sogar genutzt haben, um sich an Minderjährige ranzumachen. Wir haben in Frankfurt bei der Polizei gesehen, dass dort Daten entwendet wurden, um Personen zu bedrohen. Wir haben jetzt gerade wieder ein Video aus Frankfurt, wo es zu einem Einsatz von Pfefferspray kam, das sehr kontrovers diskutiert wurde. Also, es gibt ja sehr, sehr viele Probleme, die immer wieder in kleinen Dosen aus der Polizei sichtbar werden. Das sind doch Probleme, mit denen man einen gesellschaftlichen Umgang finden muss.
Grün: Natürlich. Wir sagen ja auch immer, dass die Polizei ein Spiegelbild der Gesellschaft ist. Ich streite auch überhaupt nicht ab, dass es vollkommen rechtswidrige und zu ahndende Übergriffe polizeilicher Gewalt gibt. Das steht ja völlig außer Zweifel, aber die sind in einem so geringen Maße, gemessen an der Vielzahl von Abertausenden von Einsätzen, die die Polizei jeden Tag in Deutschland fährt, ist das verschwindend geringer Anteil. Der soll oder darf eigentlich nicht sein, aber als Spiegelbild der Gesellschaft, Polizisten sind auch nur Menschen am Ende, die dann durch bestimmte Stressfaktoren das eine oder andere Mal auch in ihrem Handeln vielleicht nicht immer von den gesetzlichen Vorgaben geleitet sind, und dann schlägt doch mal einer über die Stränge. Und wenn er das rechtlich zu verantworten hat, dann hat er dafür geradezustehen, da gibt es ja überhaupt keine Diskussion.
Grün: Polizei ist nicht immer Herr der Lage
Büüsker: Wie erklären Sie sich dann das, dass manchmal dann doch Gewalt von Polizisten ausgeübt wird? Ist es nur der Stress?
Grün: Nein, es ist nicht nur der Stress. Sie haben eben das Video in Frankfurt angesprochen, bei dem ich übrigens davon ausgehe, dass alles rechtmäßig abgelaufen ist. Wenn Sie mal reflektieren, dass immer mehr Menschen eine ablehnende Haltung gegenüber staatlichen Institutionen, insbesondere auch der Polizei, haben, wenn dann noch Alkohol und Drogen ins Spiel kommen, und Sie morgens um fünf Uhr vor eine Diskothek fahren und Sie dort polizeiliche Anordnungen erlassen, die überhaupt nicht befolgt werden, dann müssen Sie ja die Lage irgendwie in den Griff bekommen. Und dann ist oftmals unmittelbarer Zwang, also die Anwendung körperlicher Gewalt, das einzige Mittel. Rechtsfreie Räume will natürlich auch keiner haben.
Und wenn Sie diese Lage mit dem vorhandenen Personal, wie das im Video zu sehen ist, dann gerät diese Lage auch in Phasen, sage ich mal, nicht aus den Fugen, aber dann wird es ein bisschen unübersichtlich. Und am Ende kommen Sie aber dann doch ans Ziel. Wenn Sie so einen Einsatz statt mit fünf, sechs Personen mit zwölf oder 14 fahren können, weil Sie aus der Erfahrung wissen, dass es da zu Auseinandersetzungen und uneinsichtigen Personen kommen kann, dann ist das sicherlich am Ende eine ganz andere Lagebewältigung. Wenn Sie am Anfang gleich Stärke zeigen können, dann ist die Polizei sofort Herr der Lage, die dort herrscht, und die Sache ist in aller Regel gleich befriedet.
In dem Moment, wo die Polizei mit schwachen Kräften auftritt und deeskalierende Strategien nicht mehr greifen, dann wird es schwer, wenn Sie beim Einschreiten dann inkonsequent sind und personell unterfordert sind.
Büüsker: Es gab jetzt Berichte aus Bayern, wo eine Party eskaliert ist, wo rund 50 Jugendliche eine Polizeiwache versucht haben, zu stürmen, weil einer ihrer Freunde festgenommen wurde, der auf der Party randaliert hatte. Am Ende mussten 70 Polizeibeamte im Einsatz sein, um das Ganze wieder unter Kontrolle zu bringen. Sie haben eben von einer Kluft gesprochen zwischen den Bürgerinnen und Bürgern und der Polizei. Sind solche Situationen Ausdruck einer solchen Kluft?
Grün: Das Wort Kluft habe ich nicht benutzt, ich habe gesagt, dass immer mehr Menschen, das ist die Wahrnehmung, eine ablehnende Haltung gegenüber der Polizei und ihren Anordnungen haben und überhaupt gegenüber staatlichen Institutionen. Das nehmen wir schon wahr, das drückt sich auch in den Zahlen der Gewalttaten gegen die Polizei aus. Wir haben in Hessen 3400 Fälle im letzten Jahr und bundesweit gab es 39.109 Gewalttaten gegen die Polizei.
Das spricht ja für sich – das sind steigende Zahlen über die letzten Jahre –, dass sich hier etwas verändert hat, dass die Polizei einer höheren Gewaltbereitschaft ausgesetzt ist. Und diese Fälle oder gerade der Fall, denn Sie eben beschrieben haben, der ist natürlich wieder eine neue Dimension, die ist sicherlich nicht alltäglich, aber er zeigt, dass hier der Respekt vor staatlichen Institutionen, ihre rechtmäßigen Befugnissen und Anordnungen, einer Festnahme in dem Fall, die dann versucht wird durch andere Straftaten, Gefangenenbefreiung und so weiter, zu vereiteln. Da sind wir in einer Dimension angelangt, wo es ernsthaft gilt, darüber nachzudenken, auch die Politik darüber nachzudenken, wie man künftig Polizeibeamte noch besser schützen kann. Wenn jetzt die Reviere schon angegriffen werden ...
Büüsker: Herr Grün, wir müssen leider zum Schluss kommen. Ich danke Ihnen ganz herzlich für das Gespräch!
Grün: Bitte!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.