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Gewerkschaft fordert Ende der Hungerlöhne für osteuropäische Arbeiter

In der Diskussion um Lohndumping an deutschen Schlachthöfen hat die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten die Politik zum Handeln aufgefordert. Gewerkschaftschef Franz-Josef Möllenberg kritisierte, dass vor allem deutsche, niederländische und dänische Unternehmen über Werkverträge mit Subunternehmen billige Arbeitskräfte in osteuropäischen Ländern beschäftigen. Durch Lohndumping würden die Kollegen in diesen Ländern "im wahrsten Sinne des Wortes ausgebeutet" und fast "wie Leibeigene ohne Rechte" behandelt.

Moderation: Jochen Spengler |
    Jochen Spengler: Insgesamt arbeiten etwa 600.000 Osteuropäer ganz legal in Deutschland, Tendenz steigend. Woran liegt das? Wieso ist das alles rechtmäßig? Am Telefon begrüße ich den Bundesvorsitzenden der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten. Guten Morgen, Franz Josef Möllenberg.

    Franz Josef Möllenberg: Guten Morgen, Herr Spengler.

    Spengler: Sie waren gestern beim Kanzler mit den anderen Gewerkschaftern. Ging es da eigentlich nur um Hartz IV oder auch um das Problem dieser modernen Sklavenarbeit?

    Möllenberg: Nein, es ging natürlich um Hartz IV: das Monitoring, die Umsetzung, ALG 2, natürlich um die EU-Dienstleistungsrichtlinie und auch um die Situation, die Sie gerade beschrieben haben - um die Situation an den Schlachthöfen.

    Spengler: Dem Kanzler ist das Problem also bewusst?

    Möllenberg: Nicht nur dem Kanzler, sondern auch Arbeits- und Wirtschaftsminister Wolfgang Clement war dabei. Und ich habe die klaren Signale von beiden empfangen, es wird sich gekümmert.

    Spengler: Übertreiben wir oder ist es wirklich alles so dramatisch, wie auch unser Korrespondent geschildert hat?

    Möllenberg: Nach meinem Eindruck ist es so dramatisch. Aber vielleicht eine Vorbemerkung: Wir haben vor ungefähr acht Jahren mit Hilfe der Hans-Böckler-Stiftung eine Untersuchung in Auftrag gegeben, eine Studie angefertigt, was würde die EU-Osterweiterung, die ja letztes Jahr vollzogen worden ist, bringen? Würde das zu einem Verdrängungseffekt führen? Wir haben damals unter der Voraussetzung, dass gleiche Wettbewerbsbedingungen herrschen - das heißt, wenn die Arbeitsbedingungen nicht gedrückt werden, wenn kein Lohndumping stattfindet - das relativ gelassen gesehen. Und die Lücke, die wir jetzt feststellen, ist, dass tatsächlich unsere polnischen Kolleginnen oder Kollegen, die ungarischen, tschechischen, durch Lohndumping hier im wahrsten Sinne des Wortes ausgebeutet werden und dadurch dieser Effekt entsteht. Ich will ausdrücklich darauf hinweisen: Unser Zorn richtet sich nicht gegen meine polnischen, ungarischen oder tschechischen Kollegen. Er richtet sich gegen die Auftraggeber, die nichts anderes tun, als Notsituationen zu nutzen, hier unsere Tarifverträge zu unterlaufen und letztendlich damit zu einer Wettbewerbsverzerrung beizutragen und damit zu diesen katastrophalen Verhältnissen.

    Spengler: Wer sind die Auftraggeber?

    Möllenberg: Zunächst einmal, das wollen die nicht wahrhaben - die Unternehmen, die hier in Deutschland Schlachthöfe betreiben. Und das sind in der Regel deutsche Unternehmen, mittlerweile allerdings auch niederländische und dänische Unternehmen. Die geben Werkverträge an Subunternehmen und die besorgen sich die Arbeitskräfte in Polen oder anderen osteuropäischen Ländern. Und diese Kette muss durchbrochen werden.

    Spengler: Wieso ist es denn in einem zivilisierten reichen Land wie der Bundesrepublik Deutschland überhaupt erlaubt, Hungerlöhne vom zum Teil unter zwei Euro pro Stunde zu zahlen, Billigarbeiter fast wie Leibeigene zu behandeln ohne Rechte, sie 16 Stunden am Tag arbeiten zu lassen, in Massenunterkünften unterzubringen? Wieso ist das rechtmäßig?

    Möllenberg: Die rechtliche Situation ist ein bisschen schwierig und kompliziert. Richtig ist: in Deutschland gilt als sittenwidrige Beschäftigung, 30 Prozent unter Tarif kann gezahlt werden, alles, was darunter ist, ist sittenwidrig. Aber wir befinden uns hier teilweise - ich will es mal so formulieren - in einem rechtsfreien Raum. Denn durch die EU-Erweiterung, die Dienstleistungsfreiheit hier sind Lücken entstanden. Wir haben frühzeitig darauf hingewiesen, dass es aber mittlerweile diese Ausmaße annimmt, hat so niemand ahnen können. Aber es ist noch nicht zu spät. Die Bundesregierung hat es begriffen, Wolfgang Clement wird sich dieser Sache annehmen und da wird in den nächsten Tagen, denke ich, etwas passieren.

    Spengler: Diese deutschen Unternehmen, die da Subunternehmen beauftragen, machen die sich nicht eigentlich des Sozialbetrugs schuldig?

    Möllenberg: Es ist moralisch in höchstem Grade verwerflich. Hier werden auch Werte, die über Jahrzehnte in der Bundesrepublik Deutschland gegolten haben, außer Kraft gesetzt. Und das Verheerende ist ja, dass die Unternehmen, die sich ordentlich verhalten - die gibt es ja auch - so unter Druck geraten, was den Verkauf ihrer Produkte angeht, dass die nicht mithalten können. Entweder müssen die dann auch so tätig werden oder aber die verschwinden vom Markt. Das ist ein Teufelskreis, in dem wir uns befinden, da muss also gegengehalten werden. Und gestatten Sie mir, dass ich versuche, auf unsere Aktivitäten zu sprechen zu kommen. Wir sprechen nicht nur mit der Bundesregeierung. Wir haben im übrigen auch mit der Opposition gesprochen. Ich hatte gestern auch ein Gespräch mit Karl Josef Laumann, dem zukünftigen Vorsitzenden der CDA, der die Situation genauso beurteilt. Wir haben darüber hinaus natürlich auch mit dem ein oder anderen Arbeitgeber schon gesprochen und gesagt, nun lasst uns doch einen Verhaltenskodex machen. Das wäre eine Möglichkeit. Der zweite Aspekt, den wir machen: wir werden nächsten Freitag mit unseren polnischen gewerkschaftlichen Kollegen zusammenkommen hier in Hamburg, mit unseren dänischen. Ich hoffe, dass auch die Niederländer dabei sind, um dieses Problem auf europäischer Ebene noch mal zu besprechen. Denn unsere Situation ist die: In Dänemark gehen Arbeitsplätze verloren, weil Deutschland jetzt neuerdings das Billiglohnland ist und dagegen müssen wir uns gemeinsam zur Wehr setzen.

    Spengler: Was kann man als Verbraucher tun? Boykott von Produkten?

    Möllenberg: Zu einem Boykott würde ich nicht aufrufen. Ich will es mal positiv sagen: Es wäre schön, wenn wir auf die Produkte, die in den Handel kommen, einen Aufkleber, ein Gütesiegel kleben können - nicht nur die Qualität stimmt, sondern auch die Qualität der Arbeit. Die Sozialstandards werden eingehalten. Das wäre eine vernünftige Angelegenheit und alle Verbraucherinnen und Verbraucher müssen wissen: Je billiger Lebensmittel angeboten werden, das muss ja irgendeine Ursache haben. Und von daher glaube ich, dass die Verbraucher mit ihrer Nachfragemacht, mit der Kaufkraft da etwas bewirken können und wenn die vernünftigen Arbeitgeber bereit wären, eine solche Geschichte mit uns gemeinsam zu machen. Ein Sozialgütesiegel, dann wäre das eine runde Sache.

    Spengler: Sie haben aber nicht zufällig Listen in Ihrer Internetseite, wo man dann entnehmen kann, welche Firmen da besonders schlecht arbeiten?

    Möllenberg: Es gibt solche Überlegungen. Aber im Moment wehre ich mich gegen einen Pranger. Die Frage ist, wenn sich die Zustände nicht bald ändern, inwieweit man das weiter transparent macht, wie man Öffentlichkeit herstellt. Aber im Moment will ich das nicht.