Heuer: Da sind wir also falsch informiert. Wir haben gelesen, dass Sie gesagt haben, Sie tragen das Gesetz trotzdem mit.
Sommer: Nein, das habe ich nicht gesagt.
Heuer: Ein anderes Thema gestern Abend waren die Tariflöhne für Leih- und Zeitarbeiter. Sie müssten unter denen der Festangestellten liegen, sagt Gerhard Schröder. Hat er Ihnen denn auch verraten, um wie viel Prozent?
Sommer: Wir haben uns gestern Abend darauf verständigt, dass diese Prozenthuberei endlich aufhört. Ich habe bei der Anhörung des Deutschen Bundestages zu den Hartz-Gesetzen für die Gewerkschaften verbindlich erklärt, dass wir bereit sind, zum Beispiel für Langzeitarbeitslose tarifvertraglich vom Grundsatz der gleichen Bezahlung, der gleichen Bedingungen, nach unten abzuweichen. Wie hoch diese Abweichungen sind, werden wir in den Tarifverhandlungen klären, sowohl in Branchentarifverträgen als auch in den Tarifgesprächen, die wir jetzt mit Zeitarbeitsfirmen führen. Gesetzlich wird festgelegt - und dabei muss es bleiben -, dass ab dem 1.1.2004 der Grundsatz der gleichen tarifvertraglichen Arbeitsbedingungen gilt, und von da aus wird durch Tarifverträge flexibilisiert.
Heuer: Es gibt aber ja Prozentzahlen, die diskutiert werden. Florian Gerster zum Beispiel, der Chef der Bundesanstalt für Arbeit, spricht von minus 20 bis 30 Prozent.
Sommer: Ich sage Ihnen mal, dass Florian Gerster nicht mit am Verhandlungstisch sitzt; das ist der eine Teil. Der zweite Teil - und der ist mir viel wichtiger: sie sollen aufhören, immer plakative Zahlen in die Öffentlichkeit zu geben, sondern sehr viel mehr darüber nachdenken, wie wir passgenaue Lösungen machen können. Ich will Ihnen das an einem Beispiel zeigen: Wenn wir Langzeitarbeitslose haben, die entliehen werden, dann werden wir mit Sicherheit Tarife ausmachen, die unterhalb der normalen Tarife in den Betrieben liegen. Wenn diese Langzeitarbeitslose eine Zeit haben, wo sie nicht ausgeliehen werden können, also in der PSA (Personalserviceagentur) verbleiben, zum Beispiel um fortgebildet zu werden, werden Sie andere Tarife machen müssen. Ich will Ihnen an dem Beispiel nur deutlich machen, dass es sehr differenziert ist. Und dann gibt es Menschen, die in Leiharbeitsfirmen arbeiten und sehr schnell vermittelbar sind, weil ihre Arbeitsleistung direkt nachgefragt wird, weil da ein Mangel auf dem Markt ist, und da niedrige Einstiegslöhne zu machen, wäre der reine Wahnsinn. An den Beispielen merken Sie, dass wir zu differenzierten Lösungen kommen müssen, und wir werden diese differenzierten Lösungen auch vereinbaren. Unser Ziel ist es, mit den Tarifverhandlungen mit den Zeitarbeitsfirmen durchzukommen, so dass wir im Frühjahr des nächsten Jahres diese Tarifverträge präsentieren können.
Heuer: Konkrete Zahlen nennt aber auch die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie. In der Chemieindustrie ist es so, dass Zeitarbeiter bis zu einem Jahr minus 10 Prozent Lohn bekommen, also verglichen mit ihren festangestellten Kollegen. Werner Bischof, zuständig für die Tarifpolitik in der IGBCE, sagt, wir werden diese 10 Prozent unterschreiten müssen. Stimmen Sie zu?
Sommer: Im Einzelfall wird es richtig sein. Wir werden das in den Tarifverhandlungen klären. Heute: Heute wird der Bundeskanzler eine Grundsatzrede in der Haushaltsdebatte des Bundestages halten. Sie selbst haben die Regierung kritisiert und haben gesagt, sie könne kein Gesamtkonzept vermitteln. Woran liegt das?
Sommer: Woran es liegt, dass die Regierung das nicht vermittelt, verstehe ich auch nicht. Aber ein Gesamtkonzept ist durchaus in der Koalitionsvereinbarung erkennbar. Da ist davon die Rede, dass die sozial-ökologische Reformstrategie fortgesetzt werden soll. Da ist übrigens auch die Rede davon, dass dieses Land an einigen Stellen Modernisierungsschritte braucht, die allerdings sozialverträglich und sozialgerecht laufen müssen, und darin hat die Regierung unsere Unterstützung.
Heuer: Aber der Koalitionsvertrag ist ja offenbar das Papier nicht wert, auf dem er geschrieben ist.
Sommer: Das wollen wir doch nicht hoffen. Ich habe gestern auch im SPD-Gewerkschaftsrat den Vertretern der SPD sehr deutlich gemacht, dass wir erwarten, dass diese Koalitionsvereinbarung umgesetzt wird, damit endlich die Menschen auch eine positive Perspektive in diesem Land sehen und sich nicht mehr einreden lassen müssen, dass dieses Land danieder liegt, was es übrigens auch nicht tut.
Heuer: Wie kann man denn die Menschen davon überzeugen, dass dieses Land nicht danieder liegt, dass es eine Zukunft gibt und dass es sich lohnt, dass alle sich gemeinsam anstrengen? Heide Simonis, Ministerpräsidentin von Schleswig-Hostein, hat den Bundeskanzler aufgefordert, in diesem Sinne eine Blut-, Schweiß- und Tränenrede zu halten.
Sommer: Also dieser Aufforderung würde ich mich nicht anschließen. Das würde ja voraussetzen, dass dieses Land wirklich kurz vor dem Bankrott ist. Das ist es nicht. Es ist auch nicht kurz vor dem Zusammenbruch. Das ist wirklich Propaganda. Was der Kanzler deutlich machen muss, ist, dass diese Sparmaßnahmen jetzt notwendig sind, was damit zu tun hat, dass wir erstens weltweit konjunkturelle Einbrüche haben und zum Zweiten auch, dass dieses Land unter einem leidet, nämlich unter der hohen Massenarbeitslosigkeit. Gegen beides muss energisch angegangen werden, und wenn der Kanzler deutlich macht, dass dort die Ansätze kommen, sowohl was die Förderung von Beschäftigung als auch was die Förderung von Konsum und Wachstum anbetrifft, glaube ich, dann ist er auf dem richtigen Weg.
Heuer: Im Moment leiden die Bürger aber darunter, dass sie höhere Steuern und Abgaben zahlen müssen, und haben überhaupt keine Lust zu konsumieren.
Sommer: Erst mal, mit Verlaub gesagt, leiden die Bürger unter Ankündigungen, denn noch keiner hat höhere Steuern bezahlt, und was die Regierung vorhat, ist, nicht nur an der einen oder anderen Stelle Steuern zu erhöhen, sondern auch Steuerschlupflöcher zu schließen und insbesondere auch die Steuern auf diejenigen zu verteilen, die mehr haben als sozial Schwache. Das finde ich nicht schlimm, sondern richtig. Allerdings sage ich auch - und das in aller Deutlichkeit, an jeder Stelle gestern und auch heute bei Ihnen: Die Belastung des Faktors Arbeit ist an der Grenze. Wir müssen jetzt darüber nachdenken, wie wir die Belastung des Faktors Arbeit zurückführen können, insbesondere auch dadurch, dass wir uns darum kümmern, dass wir auf anderen Seiten Einnahmen erzielen, zum Beispiel vom Vermögen, von Einkünften aus Kapitalbesitz, die sich heute weitgehend der Versteuerung entziehen.
Heuer: Sie sind für eine Vermögenssteuer. Experten, zum Beispiel der Volkswirtschaftler Karl-Christian von Weizsäcker, rechnen aber vor, dass die Vermögenssteuer zu Kapitalflucht und in der Folge eben nicht zu mehr, sondern zu weniger Steuereinnahmen führt. Ist das, um das mit Ludwig Stiegler, dem stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der SPD im Bundestag, zu sagen, ein Professorengeschwätz?
Sommer: Ja. Das ist so genanntes Expertenwissen, was eigentlich eine Aufforderung ist, Kapitalflucht zu begehen. Ich halte das übrigens nicht für eine gute Aufforderung eines deutschen Wissenschaftlers, die Menschen aufzufordern, Kapitalflucht zu begehen. Ich hoffe auch, dass in der EU endlich Regelungen zustande kommen, die das weitgehend auch vermeiden. Ich bin der Meinung, dass eine Besteuerung hoher Vermögen mit anständigen Freigrenzen für die Betroffenen, damit nicht das Häuschen als Familieneigentum wegversteuert wird, dass eine Versteuerung auf hohe Vermögen und auf Erbschaften durchaus ein Beitrag sein muss, um dieses Land nach vorne zu bringen. Wir können nicht über PISA klagen und zeitgleich nichts dagegen tun, dass wir schlechte Bildungseinrichtungen haben, zuwenig Lehrer haben, zuwenig Ganztagsschulen haben. Dafür muss das Geld eingesetzt werden, und ich glaube, dann weiß auch jeder, dass es sich lohnt, in diesem Land zu leben.
Heuer: Einige wichtige CDU-Politiker, zum Beispiel der hessische Ministerpräsident Roland Koch, sind ja dafür, die Vermögenssteuer nicht flächendeckend einzuführen, es also den Ländern freizustellen, ob sie das tun möchten oder nicht. Ist das ein Kompromiss, den Sie für sinnvoll halten?
Sommer: Nein, den halte ich nicht für sinnvoll. Übrigens halte ich das auch bei Herrn Koch, mit Verlaub gesagt, für ein Wahlkampfmanöver. Die Länder werden sehr schnell merken, dass sie höhere Einnahmen haben, denn es gibt tatsächlich eine Krise der Staatsfinanzen, insbesondere im Bereich der Kommunen, und dafür würde die Steuer sehr sinnvoll sein. Was Herr Koch jetzt macht, ist der Versuch, ein Wettbewerb des Föderalismus zu organisieren, von dem er meint, dass er da möglicherweise besser bei wegkommt. Ich sage Ihnen, das gibt einen Unterbietungswettbewerb nach unten.
Heuer: Sie haben sich ausgesprochen für eine expansivere Finanzpolitik. Nötig sei es, über mehrere Jahre einen höheren Schub bei den öffentlichen Investitionen zu tätigen. Was heißt das? Soll der Staat sich weiter verschulden?
Sommer: Es gibt zwei Möglichkeiten, dieses zu finanzieren. Sie können das über Verschuldung machen. Sie können das aber auch darüber machen, dass Sie die Einnahmebasis dort verbreitern, wo es nicht den Faktor Arbeit trifft, sondern zum Beispiel den Faktor Kapital. Es gibt in England eine Börsenumsatzsteuer, die 13 Milliarden Pfund jährlich erbringt - das ist eine Steuer, die bei uns völlig unbekannt ist -, und der Finanzplatz London leidet nicht unter der Steuer; der ist nämlich besser aufgestellt als der deutsche. Ich will Ihnen nur sagen, wir müssen darüber nachdenken, wo wir jetzt gerechterweise zusätzliche Einnahmen herbekommen, um so etwas zu finanzieren, weil natürlich die öffentliche Verschuldung auch ihre Grenzen hat. Mir geht es nicht darum, bei den kleinen Leuten, bei den Arbeiternehmerinnen und Arbeitnehmern, bei den sozial Schwachen zusätzliche Leistungen abzuholen, sondern bei denen, die mehr tragen können.
Heuer: Wäre eine gerechtere Einnahmequelle dann vielleicht auch die Mehrwertsteuererhöhung?
Sommer: Nein, auf gar keinen Fall, weil darunter der private Konsum leidet und insbesondere diejenigen, die es sich nicht leisten können, das Geld auf die hohe Kante zu legen, sondern es für das tägliche Leben brauchen. Deswegen lehnen wir eine Mehrwertsteuer ab.
Heuer: Jetzt haben wir schon über verschiedene Felder gesprochen, auf denen Reformen anstehen. Noch nicht gesprochen haben wir über eine mögliche Rentenerhöhung. Der DGB-Vorsitzende in Sachsen Hanjo Lucassen ist dafür, die Rentenerhöhung, die jetzt ansteht, zu verschieben. Sind Sie damit einverstanden?
Sommer: Wir haben die Operation mit der Rente schweren Herzens jetzt mitgetragen, insbesondere die Erhöhung der Rentenbeiträge auf 19,5 Prozent, weil wir der Meinung sind, dass die Renten insgesamt stabilisiert werden müssen. Die Rentnerinnen und Rentner haben in den letzten Jahren auch sehr viel auch Beisparbeiträge geleistet, und das geht nicht an, dass sie immer wieder dann, wenn es Löcher gibt, als erste angefragt werden, ob sie zur Kasse gebeten werden. Ich rate sehr dazu, jetzt dieses Vorschaltgesetz zu verabschieden und dann in der Rürup-Kommission sehr genau und gewissenhaft darüber nachzudenken, was man machen muss, übrigens auch an der Erschießung neuer Quellen zur Finanzierung von Renten und an der Frage von Generationengerechtigkeit, die übrigens nicht nur die ganz Jungen und die ganz Alten trifft, sondern auch die mittlere Generation. Ich fordere Gerechtigkeit für alle Generationen, und von daher sage ich Ihnen, wir sollten die Operation jetzt machen, in der Rürup-Kommission sehr genau darüber nachdenken, was man eigentlich tun muss.
Heuer: Und bevor die Ergebnisse vorliegen - da verstehe ich Sie, glaube ich, richtig - sind Sie gegen eine Aussetzung der Rentenerhöhung?
Sommer: Das ist richtig. Ich erwarte die Ergebnisse dieser Kommission, sonst braucht man sie übrigens auch nicht einzusetzen.
Heuer: Vielen Dank für das Gespräch.
Link: Interview als RealAudio