
Verdi ist eine starke, eine kampfbereite Gewerkschaft, so lautet die Botschaft von Frank Bsirske. 1,5 Millionen Streiktage allein im ersten Halbjahr gehen auf das Konto der Dienstleistungsgewerkschaft. So viel wie nie zuvor. Wobei es nicht die Lust am Krawall ist, die die Gewerkschaft antreibt, wie Bsirske betonte, sondern die immer vehementeren Versuche der Arbeitgeber, Tarifverträge gar nicht erst zuzulassen wie im Fall des Onlinehändlers Amazon oder auszuhebeln wie bei der Post. "Da ist ein Kulturbruch auf die Tagesordnung gesetzt worden, darauf angelegt, die Stellung der Gewerkschaft im Unternehmen zu schleifen, die Belegschaft einzuschüchtern und das Lohnniveau nachhaltig abzusenken."
Die Post hatte Paketzusteller in Tochtergesellschaften ausgegliedert, was für die Beschäftigten Lohneinbußen von bis zu 20 Prozent bedeutete. Rückgängig machen konnte Verdi das nicht, aber immerhin Schlimmeres verhindern, nämlich die Ausweitung der Niedriglohnstrategie auf die Briefzustellung, sagte Bsirske.
Noch nicht am Ziel ist die Gewerkschaft auch bei den Erzieherinnen. Deren Arbeit muss aufgewertet werden, forderte Bsirske und kündigte für Mitte Oktober erneute Streiks an: "Das wird, machen wir uns nichts vor, eine massive Eskalation des Konfliktes werden, mit hohen Belastungen für alle Beteiligten: für Eltern, für Arbeitgeber und für die Streikenden. Eine Eskalation, die sich nur vermeiden lässt, wenn es in der Verhandlung mit der Arbeitnehmerseite nächste Woche gelingt, sich auf Verbesserungen in der Schlichtung zu verständigen."
Auch Verdi muss den Gürtel enger schnallen
Genau das aber lehnen die Arbeitgeber bislang ab, was die Gewerkschaft in eine schwierige Lage bringt. Sie muss erneut mobilisieren für einen Arbeitskampf mit zweifelhaften Erfolgsaussichten, der die ohnehin strapazierte Streikkasse weiter belasten wird. Rund 100 Millionen Euro haben die Tarifauseinandersetzungen in diesem jahr bislang gekostet. Noch ist das kein Problem, sagt Finanzchef Frank Wernecke. "Wir sind jederzeit in der Lage, alle notwendigen Auseinandersetzungen zu führen. Aber die Tarifauseinandersetzungen werden in der Zukunft nicht einfacher. Wir müssen handeln", sagt er. "Anfang der 2000er-Jahre hatten wir jährliche Streikkosten irgendwo bei fünf Millionen Euro. Diese Zeiten sind längst vorbei - und sie werden absehbar auch nicht wiederkommen. Das Kapital tritt in fast allen Tarifbereichen, in denen wir Verantwortung tragen, zunehmend aggressiv auf - und deswegen müssen wir handlungsfähig sein."
Und das, so Wernecke, heißt auch: Auch Verdi muss den Gürtel enger schnallen, nicht alles was wünschenswert ist, kann künftig finanziert werden. Konzentration auf die Kernarbeit, die Tarifpolitik, lautet daher auch die Devise von Verdi-Chef Frank Bsirske, ohne aber den politischen Gestaltungswillen zu aufzugeben. Die Einführung des Mindestlohns nannte Bsirske einen historischen Erfolg, den er ganz unbescheiden zu großen Teilen auf dem eigenen Konto verbuchte. Schwieriger gestaltet sich das Ringen um mehr Steuergerechtigkeit, und auch der Kampf gegen die umstrittene Tarifeinheit war nicht von Erfolg gekrönt. "Wir sehen darin einen indirekten Eingriff in das Streikrecht", so Bsirske.
Aber auch diesen Kampf hat er noch nicht verloren gegeben. Eine Verfassungsklage werde derzeit vorbereitet, sagte der gewerkschaftsgeschäft, dessen Wiederwahl heute kaum gefährdet ist. Dass er ein besonders glanzvolles Ergebnis einfahren wird, erwartet aber auch kaum jemand.