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Gewerkschaften rechnen mit Protesten gegen Arbeitslosengeld II

Peter Lange: Am Telefon ist nun Udo Gebhard vom DGB-Landesvorstandsbüro, Sachsen-Anhalt in Magdeburg. Schönen guten Morgen.

Moderation: Peter Lange |
    Udo Gebhard: Schönen guten Morgen, Herr Lange.

    Lange: Herr Gebhard, merken Sie schon jetzt in Ihrer täglichen Arbeit, dass da ein Teil des sozialen Sicherungsnetzes deutlich nachgeben wird?

    Gebhard: Nicht nur jetzt. Nachdem auch die CDU-regierten Ministerpräsidenten Ostdeutschlands verstanden haben um was es geht. Wir beschäftigen uns seit fast einem Jahr damit und konkret seit dem Tag des letztes Vermittlungsausschusses am 19. September 2003, denn da ist uns bewusst geworden, dass man die eigentlich gemeinsame Vereinbarung, den Konsens, der ja bestanden hat, zwischen der Regierung und auch zwischen den Gewerkschaften, gebrochen hat. Nämlich die Höhe der Zuwendung bei Arbeitslosengeld II.

    Lange: Machen wir es konkret. Was passiert einem - sagen wir - 45-jährigen, alleinstehenden Arbeitslosen, der in den letzten zwölf Monaten keinen Job gefunden hat?

    Gebhard: Der bezieht ja im Moment Arbeitslosengeld. Und Arbeitslosengeld konnte er bis zu 26 Monaten beziehen. Er würde jetzt aufgrund der Veränderung der Bezugsdauer von Leistungen des Arbeitsamtes ab 1. Januar in das so genannte Arbeitslosengeld II fallen und bekäme dann diesen Regelsatz in Höhe von 331 Euro. Er hat ja in der Vergangenheit Arbeitslosengeld in Höhe von 60 Prozent oder 67 Prozent des letzten Nettodurchschnittsverdienstes gehabt.

    Lange: Das heißt eindeutig, eine Verschlechterung auf jeden Fall?

    Gebhard: Eine deutliche Verschlechterung für dieses Klientel, für diese Gruppe, aber noch viel schlimmer für die, die jetzt schon in der Arbeitslosenhilfe sind. Das Arbeitslosengeld II wird ja die jetzigen Arbeitslosenhilfeempfänger und die jetzigen erwerbsfähigen Sozialhilfeempfänger zusammenlegen. Die sind ja schon länger als zwölf Monate arbeitslos und die bekommen dann mehr oder weniger über Nacht - es gibt eine kleine Übergangsregelung von einem Jahr - aber mehr oder weniger dann nur noch 331 Euro.

    Lange: Was wird den Arbeitslosen vom Gesetz abverlangt an Flexibilität und an Bemühungen um einen neuen Job?

    Gebhard: Das ist eigentlich unser Problem, dass es bei den alten Hartz-Vereinbarungen, Hartz IV, es uns darum ging, dass wir - da war aber wirklich noch Hartz drin, wo Hartz draufstand - damit eigentlich eine intensivere Unterstützung der Hilfebedürftigen bei der sozialen und beruflichen Eingliederung gewährleisten wollten. Wir wollten vor allem die Verschiebebahnhöfe zwischen der öffentlichen Hand und der Beitragszahlergemeinschaft, der Arbeitslosenversicherung verhindern. Nun kommt das hier - wie gesagt - ganz anders. Der Arbeitslose, der im Moment immer noch eine Lohnersatzleistung bekam in Höhe von entweder 60 oder 67 Prozent oder 53 und 57 Prozent, der ist jetzt einfach raus. Wir haben Leistungsbezüge skizziert und die eigentliche Integration in den Arbeitsmarkt, befürchten wir, die fällt hinten oder vorne herunter. Integration in den Arbeitsmarkt, die diesen Menschen auch eine Chance gibt zu arbeiten, entweder im ersten oder im zweiten Arbeitsmarkt, und das ist ja hier nicht mehr der Fall.

    Lange: Für diese Integration ist künftig die Kommune oder das Arbeitsamt oder beide zuständig. Was und wie nehmen Sie das in Magdeburg wahr?

    Gebhard: Das ist für uns natürlich eine mittlere Katastrophe. Sie müssen sich mal vorstellen, seit 1971 gibt es die Arbeitsförderung. Wir selber hier in Ostdeutschland führen nach diesen Arbeitsförderungsrichtlinien Arbeitsmarktpolitik, organisieren danach Arbeitsmarktpolitik. Die Arbeitsämter sind natürlich profiliert, die Kommunen haben flankiert. Speziell bei dem Klientel der Sozialhilfeempfänger haben sie psychologische Beratungsdienste durchgeführt, wie Suchthilfe und vieles andere, aber sie sind natürlich nicht profiliert, was die Integration in den Arbeitsmarkt, was die Vermittlung, was die Beratung ausmacht. Hier denken wir, das ist eine sehr schlechte Lösung mit der Optionslösung, und wir können nur hoffen, dass die Optionslösung vom Tisch kommt.

    Lange: Wie bereitet sich das Arbeitsamt vor? Kriegen Sie das mit?

    Gebhard: Das Arbeitsamt ist sehr gut vorbereitet. Die Situation ist mittlerweile so durch den Zeitverzug, das hätte schon viel eher entschieden werden können. Es ist so - ich mache Ihnen mal ein Beispiel an der Agentur für Arbeit in Dessau. Die haben 17.000 Leistungsfälle zu bearbeiten zum 1.1.2005 und wenn sie jetzt anfangen - die schaffen pro Monat 1400, das sind wirklich nur Leistungsfälle, das ist keine Integration in den Arbeitsmarkt, da geht es nur darum, dass bis zum Ende Januar eine Leistung gewährt wird, beziehungsweise Geld gezahlt wird, nämlich Arbeitslosengeld II - sie schaffen 1400 solcher Leistungsvorgänge, das heißt, sie bleiben bei gut 10.000 Leistungsfällen auf der Strecke. Da muss man sehen, ob man dann den Leuten einen Abschlag zahlt, sonst gibt es hier auch soziale Unruhen.

    Lange: Es gibt also nicht nur das Problem, dass nicht richtig integriert werden kann, weil nichts da ist, sondern auch, dass die Administration nicht richtig läuft.

    Gebhard: Das ist einfach nicht zu lösen.

    Lange: Den Ostdeutschen ist in den letzten Jahren so etwas wie eine Duldungsstarre nachgesagt worden. Nun meinte in der letzten Woche selbst ein CDU-Politiker aus dem Westen, das wird einen Aufstand geben, wenn eine Million Menschen binnen zwölf Monaten auf das Sozialhilfeniveau zurückfallen. Wie ist Ihre Prognose?

    Gebhard: Die waren sehr diszipliniert, und wir im DGB machen ja verschiedenste Veranstaltungen. Das geht dahin, dass wir wieder Montagsdemos organisieren - noch nicht mit der Beteiligung, wie wir gedacht haben, wir dachten, so langsam wären die Menschen sensibel für das Thema - wir verteilen Informationsmaterial, wir versuchen sie eigentlich auf den Punkt aufmerksam zu machen, was ab Januar passieren kann. Ja gut, es ist noch verhältnismäßig ruhig, wie ich es gerade schilderte, aber wir gehen davon aus, dass jetzt, wenn ab 19. Juli, wenn die ersten Fragebögen verteilt werden, und dann ab Oktober speziell dann die ersten Leistungsbescheide herausgehen, dass sich dann diese Disziplin, die in der Vergangenheit vorgeherrscht hat, gerade bei unseren Ostdeutschen Menschen, dann doch in Unruhe und - ich will nicht sagen Revolte - aber auf jeden Fall soziale Unruhe umwandelt.

    Lange: Rechnen Sie damit, dass das alles zum 1. Januar kommt, oder glauben Sie, dass da noch ein Stopp-Zeichen auftaucht?

    Gebhard: Ich glaube das nicht. Im Moment sieht es ja so aus - es gab ja auch die Idee von uns - nicht nur den Bezug selber vom Arbeitslosengeld II in der Höhe zu verändern. Wir glauben, dass der Wirtschaftsminister das durchziehen will und gibt auch aktuell Informationen dazu, dass es am 1.1. losgehen wird.

    Lange: In den Informationen am Morgen war das Udo Gebhard vom DGB-Landesvorstandsbüro Sachsen-Anhalt. Danke für das Gespräch und auf Wiederhören.