Archiv


Gewerkschaften uneinig über Strategie für ein Bündnis für Arbeit

Gerner: "Am Abbau der Arbeitslosigkeit sollt ihr uns messen, und wenn aus dem Abbau nichts wird, dann haben wir nichts anderes verdient, als daß man uns wieder abwählt." - So hat Gerhard Schröder im Wahlkampf sinngemäß gesprochen und hatte dabei offenbar schon ein neues Bündnis für Arbeit im Kopf. Gegen eine solche Neuauflage von Bündnisgesprächen haben sich die Arbeitgeber gestreubt, solange sie Hoffnung hatten, rot/grün ließe sich verhindern. Jetzt werden sie sich wohl oder übel an den Verhandlungstisch setzen. Dabei steht die Tagesordnung neuer Bündnisgespräche alles andere als fest. Noch nicht einmal die Gewerkschaften sind sich einig. Darüber will ich jetzt reden mit Klaus Zwickel, dem Vorsitzenden der IG-Metall, der größten deutschen Einzelgewerkschaft. Schönen guten Morgen!

    Zwickel: Guten Morgen Herr Gerner!

    Gerner: Herr Zwickel, Ziel von Bündnisgesprächen ist mehr Beschäftigung. DGB-Chef Schulte sagt, alle Absprachen, die zu mehr Beschäftigung führen, können auch Folgen für die Lohnforderungen der Gewerkschaften haben. Sie sagen nein. Warum?

    Zwickel: Nun, diese Vorgabe ist mir ein bißchen zu schnell, und zwar immer dann, wenn man gewissermaßen, wie man so formuliert, etwas in den Ring wirft, ohne zu erkennen ob es in irgendeiner Form eine Gegenleistung gibt, dann ist das in aller Regel gegen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gelaufen. Das heißt, man muß Zielsetzung und Ergebnis kennen, um dann auch deutlich zu sagen, was man selbst dazu beitragen muß beziehungsweise auch einbringen kann. Also die Reihenfolge muß stimmen, wobei sich sicherlich jeder darüber im klaren ist, Bündnis für Arbeit bedeutet eine faire und gerechte Beteiligung aller. Das heißt auch, alle werden einbringen. Die Frage ist, in welchem Umfang und wie gerecht ist dieser jeweilige Anteil und welches Ergebnis steht auf der anderen Seite, insbesondere eben in Form von Mehrbeschäftigung und mehr Ausbildungsplätzen.

    Gerner: Die Arbeitgeber sagen, diese Gespräche müssen ergebnisoffen sein, alles muß auf den Tisch. Ist es ergebnisoffen, wenn man die Lohnpolitik von vornherein ausschließt?

    Zwickel: Schauen Sie, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben in den letzten Jahren Lohnabschlüsse akzeptieren müssen, die stets mit der Aussage der Arbeitgeber verbunden waren, die Hoffnung damit geweckt wurde, niedrige Lohnabschlüsse würden dazu führen, daß wir zu mehr Beschäftigung kommen. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer fühlen sich nunmehr zurecht in doppelter Weise geprellt, nämlich sie haben auf der einen Seite niedrige Lohnabschlüsse akzeptiert, weil die Rahmenbedingungen uns eben dazu gezwungen haben, aber andererseits sind auch nicht mehr Beschäftigte heute zu registrieren, sondern weniger. Sie haben sozusagen doppelt bezahlt, wenn man das so formulieren will. Deshalb ist der Zeitpunkt, wo die Erwartung von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern berechtigterweise dahingehend gerichtet ist, daß sie jetzt mal wieder dran sind in Form von mehr Einkommen, von mehr Geld in der Tasche, und darauf richtet sich auch die aktuelle Tarifpolitik.

    Gerner: Aber der Zusammenhang von Beschäftigung und Lohnforderung das war doch einer der Kernpunkte, als Sie mit der Bündnisidee 1995 auf den Markt kamen. Wieso sollen die 6,5 Prozent, die sie jetzt als IG-Metall fordern, nicht Gegenstand auch des Bündnisses für Arbeit sein?

    Zwickel: Zunächst einmal muß man sich darauf verständigen, wie wird dieses Bündnis für Arbeit überhaupt neu angelegt, mit welchen Inhalten wird sich dieses Bündnis für Arbeit beschäftigen, wie werden Themenschwerpunkte abgearbeitet. Aus meiner Sicht kann oder darf ein Bündnis für Arbeit keine Eintagsfliege sein, wo man sich jetzt einmal trifft, dann werden ein paar Verabredungen getroffen, mehr oder weniger verbindlich. So stelle ich mir ein Bündnis für Arbeit nicht vor, sondern ich sehe ein Bündnis für Arbeit als eine große Chance, daß damit eine Möglichkeit eröffnet wird zu einer neuen gesellschaftlichen Reformdebatte, einer Reformdebatte eben unter veränderten Rahmenbedingungen. Stichworte dazu sind globales Wirtschaften, die strukturellen Veränderungen, die wir in der Wirtschaft haben, differenzierte Wachstums- und Verteilungsspielräume, auch veränderte Wertevorstellungen.

    Gerner: Wünschen Sie sich denn den Beginn der Bündnisgespräche noch in diesem Jahr, sozusagen als Zeichen?

    Zwickel: Ja, selbstverständlich. Das sind für mich zunächst einmal die Rahmenbedingungen, wo ich sage, ein Bündnis für Arbeit kann insoweit eine ganz entscheidende Rolle spielen, daß wir eine neue Diskussion bekommen unter der Überschrift "wie können und wie wollen wir künftig arbeiten und leben". Deshalb ist meine Vorstellung eines Bündnisses für Arbeit auch, daß man Themen identifiziert, die man überhaupt in einem Bündnis für Arbeit behandeln kann und soll, wo auch alle drei Beteiligten, Regierung, Arbeitgeber und Gewerkschaften, notwendigerweise an einen Tisch müssen, und dann sich zu verabreden, mit welchem Thema beginnen wir. Und dort ist zweifellos die Frage, Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, mehr Ausbildungsplätze muß im Zentrum stehen. Dann muß man fragen, welche Instrumente kann man in diesem Dreierbund dann tatsächlich bedienen. Da gibt es ein paar Vorstellungen.

    Gerner: Herr Zwickel, mehr Arbeit kann nicht zuletzt in mittelständischen Betrieben entstehen. Ausgerechnet die fühlen sich durch die neuesten rot/grünen Steuervorschläge schlechtergestellt, benachteiligt. Sind Sie dafür, daß beim Mittelstand nachgebessert wird, was die Steuern angeht?

    Zwickel: Das ist eine Ansage des neuen Bundeskanzlers. Er muß wissen, was er damit signalisiert. Überall dort, wo jetzt Nachbesserungen angegeben werden, stellt sich natürlich zwangsläufig die Frage, daß auch andere Gruppen, andere Interessenten auf den Plan gerufen werden. Ich denke, daß dieses Feldgeschrei insbesondere des Mittelstandes weit überzogen ist. Gerade diese Steuerpläne, so meine Bewertung, sind nicht mittelstandsfeindlich; das Gegenteil ist richtig.

    Gerner: Das heißt, es kann alles bleiben wie es ist?

    Zwickel: Ich denke, die Koalitionsvereinbarung und die dort angesagten Veränderungen, insbesondere auch was die Steuerfragen betrifft, sind richtig, sind ausgewogen. Schauen Sie, ich kann auch rufen, daß es dort einige Entscheidungen gibt, die auch gegen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gerichtet sind. Wenn ich mir beispielsweise die künftige Besteuerung des PKW-Kaufes in der Automobilindustrie und der dortigen Beschäftigten vorstelle, ist das auch ein Thema. Das heißt, wenn jetzt überall die Löcher wieder aufgemacht werden mit angekündigten Nachbesserungen, dann denke ich, wird das kein günstiger Start. Zurück zum Bündnis: Ich denke, es gibt genügend Bereiche, wo man in diesem Dreierbund handeln kann, hinsichtlich der Frage der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Ich favorisiere, daß eine Möglichkeit geschaffen werden muß, daß künftig wieder Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit 60 Jahren aus den Betrieben ausscheiden könnenl. Das ist ein riesiges Potential, was damit bewegt werden könnte. Es sind insgesamt rein statistisch gesehen über drei Millionen Menschen, wenn man das mal über fünf Jahre betrachtet, ein großes Potential. Die entscheidende Frage ist dort, wie kann man eine Regelung finden, eine faire Regelung unter den drei Beteiligten, nämlich den heute von der alten Bundesregierung den Menschen auferlegten Rentenabschlag zu beseitigen.

    Gerner: Herr Zwickel, mehr Teilzeit?

    Zwickel: Mehr Teilzeit ist eine andere Frage. Ein anderes Thema ist Reduzierung der wöchentlichen Höchstarbeitszeit.

    Gerner: Herr Zwickel, die Zeit läuft uns davon. Ich wollte konkret noch nachfragen nach dem neuesten Vorschlag von Oskar Lafontaine zur Neuordnung der Sozialsysteme, das heißt Arbeitslosenhilfe und Pflegegeld, wie er erwogen hat, aus Steuermitteln zu finanzieren und nur noch an Bedürftige zu verteilen. Was halten Sie von diesem Vorschlag?

    Zwickel: Ich denke, das ist ein Schnellschuß, der dort losgetreten wurde. Die Koalition hat sich ja verständigt, eine entsprechende Strukturkommission zu diesen sozialpolitischen Veränderungsfragen einzusetzen. Dort gehört sicherlich auch dieser Vorschlag hinein. Ich denke, es wäre jetzt absolut unpassend, bereits für die eine oder andere Aussage eindeutige Positionen zu beziehen.

    Gerner: Aber ist das Versicherungsprinzip alten Musters nicht an die Grenzen gelangt?

    Zwickel: Das glaube ich nicht, daß man eine solche Schwarz-Weiß-Diskussion führen sollte. Ich denke, die Koalition ist gut beraten, wie sie jetzt entschieden hat, nämlich diese Fragen, wie gesagt, in einer solchen Strukturkommission zu beraten. Dazu werden dann auch sicherlich die Verbände, unter anderem die Gewerkschaften, ihre Meinung, ihre Position einbringen, um dann in einem wirklich ruhigen Diskussionsprozeß zu Veränderungen zu kommen. So, denke ich, ist das richtig. Alles andere erschreckt die Menschen, macht Angst, und so sollte man nicht Politik machen, vor allen Dingen nicht von der neuen Bundesregierung.

    Gerner: Herr Zwickel, Gerhard Schröder tritt heute sein Amt an. Was erwarten Sie ganz persönlich vom neuen Bundeskanzler?

    Zwickel: Ich denke, er hat die Fähigkeit, wirklich Schwung in die Politik zu bekommen, Menschen mitzunehmen, Menschen zu beteiligen. Das, denke ich, ist auch die Erwartung an ihn, daß nicht nur gewissermaßen Rezepte und Ansagen von oben gemacht werden, sondern daß in einem möglichst breiten Prozeß der Beteiligung des Konsenses versucht wird, Menschen politisch zu interessieren und sie mitzubeteiligen an wichtigen Veränderungen für die Zukunft.

    Gerner: Und nachdem sein Freund Jost Stollmann nicht mehr da ist, müßte bei Ihnen Erleichterung herrschen?

    Zwickel: Schauen Sie, mich hat das alles natürlich auch irgendwo etwas genervt, aber das ist nun mal so. Jetzt haben wir einen neuen Wirtschaftsminister, und nun werden wir sehen, wie wir mit ihm zusammenarbeiten, wie wir mit ihm klarkommen oder auch wo es Konflikte gibt.

    Gerner: Welche Wirtschaftspolitik wird sich denn durchsetzen: die von Oskar Lafontaine oder die von Gerhard Schröder?

    Zwickel: Die der Koalition. Dafür gibt es klare Absprachen.

    Gerner: Das heißt, Sie sehen dort keine Differenzen in den Richtungen?

    Zwickel: Ich interpretiere nichts hinein. Ich warte natürlich wie jeder andere Bürger auch ab, was sich nun konkret umsetzt, wie sich das konkret umsetzen wird, was, wie ich denke, in guter Form in der Koalitionsvereinbarung zwischen den beiden Akteuren der Parteien verabredet ist. Wichtig wird sein, wie das jetzt mit Inhalt ausgefüllt wird, wie die Beteiligungen dabei organisiert werden, unter anderem im Bündnis für Arbeit, und dann wird man sehen. Es wird sicherlich auch an der einen oder anderen Stelle zwangsläufig natürlich Widersprüche geben, es wird auch Konflikte geben. Wir werden auch mit der neuen Bundesregierung uns nicht verloben und schon gar nicht verheiraten.

    Gerner: Um wieviel muß denn die Arbeitslosigkeit abgebaut werden, damit man konkret von einem Erfolg sprechen kann?

    Zwickel: Jeder der weniger ist, ist ein Erfolg. Ich halte nichts davon, eine Zahl zu nennen. Ich denke aber, es muß alsbald deutlich erkennbar eine positive Auswirkung auf dem Arbeitsmarkt sichtbar werden. Das ist der Maßstab. Den hat sich die neue Bundesregierung selbst gesetzt. Das ist auch die Forderung, die wir an sie haben. Ich denke, das ist vor allen Dingen auch das, warum die alte Bundesregierung abgewählt wurde und wir eine neue haben.

    Gerner: Klaus Zwickel war das, der IG-Metall-Chef. Ganz herzlichen Dank für dieses Gespräch.