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Gewerkschafter will für Kumpel im Saarland kämpfen

Gewerkschaftsfunktionär Ulrich Freese gibt den Steinkohlebergbau an der Saar noch nicht verloren. "Wir arbeiten mit Nachdruck daran, Wege und Lösungen zu finden, die ein endgültiges Aus auch infrage stellen können", sagte Freese, Mitglied im geschäftsführenden Hauptvorstand der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie.

Moderation: Jochen Spengler |
    Jochen Spengler: Das Beben am Samstag erreichte die Stärke 4 auf der Richterskala und beschädigte mehr als 100 Häuser. Nach dem geologischen Bergbau-Erdbeben im Saarland wird das Land nun von einem wirtschaftlichen Beben erschüttert. Die Landesregierung hat einen vorläufigen Stopp des Abbaus der Steinkohle beschlossen, und es ist wahrscheinlich, dass aus diesem vorläufigen ein endgültiger Abbaustopp wird, der dann das endgültige Ende des Bergbaus im Saarland markiert. Das Bundesland steht womöglich vor einer schweren Wirtschaftskrise. ( MP3-Audio , Bericht von Tonia Koch)

    3600 Mitarbeiter sind zurzeit freigestellt. In den kommenden Tagen wird die RAG Deutsche Steinkohle Kurzarbeit beantragen. Und auf einer Betriebsversammlung in Saarbrücken will das Unternehmen in etwa einer dreiviertel Stunde die Beschäftigten über die Situation nach dem Bergbau-Beben informieren. Hauptredner auf Gewerkschaftsseite wird dann Ulrich Freese sein, Mitglied im geschäftsführenden Hauptvorstand der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie, und er ist jetzt am Deutschlandfunk-Telefon. Danke, dass Sie sich die Zeit für uns nehmen, Herr Freese!

    Ulrich Freese: Guten Tag Herr Spengler.

    Spengler: Werden Sie den Beschäftigen in Ihrer Rede gleich an irgendeinem Punkt Hoffnung machen können?

    Freese: Ich alleine kann den Beschäftigten keine Hoffnungen machen, sondern alle Beteiligten haben daran zu arbeiten, dass Hoffnung vermittelt werden kann, und Hoffnung kann nur vermittelt werden, wenn alle Beteiligten ergebnisoffen jetzt an den Prozess herangehen Analyse zu betreiben: Woran hat es gelegen, warum, weswegen, wieso sind solche Erschütterungswellen eingetreten und welche Chancen haben wir, solche Ereignisse verhindern zu können? Wobei klar sein muss, dass industrielle Arbeit gleich welcher Art bisher nie absolut gefährdungsfrei geleistet werden konnte und auch in Zukunft in Deutschland und in der Welt nicht geleistet werden kann.

    Spengler: Herr Freese, können Sie einem Nichtgeologen wie mir klarmachen, woran es liegt, dass der Bergbau im Saarland zu Beben führt?

    Freese: Der Bergbau insgesamt verursacht überall in der Welt, so auch in Deutschland in seiner langen Industriegeschichte, Beben, weil Hohlräume entstehen, weil das Gebirge nachsackt und dementsprechend Freiräume verfüllt. Das führt übertägig immer - ich selbst habe mal in einem Bergbaugebiet gewohnt -, führt immer zu leichten Beben, aber nicht zu solch einem Beben. Wir haben hier eine besondere geologische Lage. Wir haben hier exzellente Lagerstätten, aber über diesen exzellenten Lagerstätten ist ein Sandsteingebirge in einer Mächtigkeit noch nie vorhandener Art. Dieses Sandsteingebirge bricht nicht so, wie wir es erwarten, wie wir es wollen, und daran muss gearbeitet werden herauszufinden, ob es so zum Brechen gebracht werden kann, um dann diese Art der Schwingungen zu vermeiden.

    Spengler: Das klingt aber so, als würden Sie nicht mit dem endgültigen Aus rechnen?

    Freese: Wir arbeiten mit Nachdruck daran, Wege und Lösungen zu finden, die ein endgültiges Aus auch infrage stellen können. Ob sie zweifelsfrei nachgewiesen werden können, das müssen die nächsten zwei, drei, vier Wochen zeigen.

    Spengler: Herr Freese, liegt denn das vorläufige Aus auch in Ihrem Interesse, einfach um die Bergleute nicht zu gefährden?

    Freese: Wir haben als Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie und die Vorläuferorganisation IG Bergbau und Energie immer ein hohes Maß an Arbeitssicherheit und Arbeitsschutz gelegt. Wir haben immer dann, wenn größere Unglücke, die meistens unter Tage stattgefunden haben - hier an der Saar sind vor 46 Jahren 299 Bergleute bei einer Explosion zu Tode gekommen -, haben wir immer Wert darauf gelegt, dass die Ursachen erforscht werden, dass die Gruben freigezogen werden und dass die Bergleute erst wieder in die Gruben hineingehen, wenn deren Sicherheit in Höchstwahrscheinlichkeit gewährleistet werden kann. Von daher ist das Stillsetzen zum jetzigen Zeitpunkt in beiderseitigem Interesse, weil wir keine Gefährdung unter Tage, keine Gefährdung über Tage wollen.

    Spengler: Nun sind 3600 Mitarbeiter, ich sagte es in der Einleitung, freigestellt. Was heißt das genau, freigestellt?

    Freese: Sie können ihre Arbeit nicht verrichten. Das Unternehmen kann die Arbeitsleistung nicht annehmen. Deswegen werden sie freigestellt, und jetzt muss über das Instrumentarium des Kurzarbeitergeldes eine Finanzierung der Einkommen der Arbeitnehmer erreicht werden.

    Spengler: Lassen Sie uns noch einen Moment bei freigestellt bleiben. Heißt das, sie bekommen ihre Löhne und Gehälter erst mal weiter?

    Freese: Sie werden ihre Löhne und Gehälter weiter bekommen müssen. Sonst können sie nicht leben.

    Spengler: Gut. Und Kurzarbeitergeld wird beantragt. Was heißt das dann? Wie hoch ist Kurzarbeitergeld?

    Freese: Das gesetzliche Kurzarbeitergeld ist differenziert: für Ledige ohne Kinder 60 Prozent des letzten Nettos und für Verheiratete mit Kind 67 Prozent.

    Spengler: Das ist nicht viel.
    Freese: Das ist nicht viel, und deswegen, wenn Solidarität nach allen Seiten geübt werden soll, dann muss auch darüber nachgedacht werden, wie dieses Kurzarbeitergeld möglicherweise durch betriebliche Aufstockungsbeträge auf eine vernünftige Höhe gebracht wird.

    Spengler: Wenn es nicht zu einer Aufhebung des Stopps kommen sollte heißt das dann Arbeitslosigkeit, Arbeitslosengeld?

    Freese: Das ist die große, große Frage. Im Kohlekompromiss von Februar 2007 haben wir uns auf die Sozialverträglichkeit des Anpassungsprozesses des Steinkohlebergbaus verständigt. Das heißt keine betriebsbedingten Kündigungen, keine Arbeitslosigkeit, Einsatz aller Instrumente, jüngere Leute anderweitig in Arbeit bringen, ältere Leute vorzeitig in den Ruhestand bringen. Das ist die Systematik, die da diesem Prozess hinterlegt ist.

    Spengler: Gilt denn das jetzt noch nach diesem Beben?

    Freese: Für die Saar haben wir dieses im Jahre 2014 frühestmöglich gesehen. Andere wollten aber schon an der Saar früher. Wir glauben nicht, dass über Knall und Fall die Sozialverträglichkeit sichergestellt werden kann. An der Saar sind über 50.000 Menschen arbeitslos, und wenn ich die Arbeitsmarktdaten richtig im Kopf habe, sind etwa 3000 offene Stellen bei der Bundesagentur für Arbeit an der Saar derzeit gemeldet. Vermutlich gibt es mehr offene Stellen, aber die müssen dann auf den Tisch des Herrn, und dann muss gesehen werden und geguckt werden für den Fall der Fälle, ob denn die Unternehmungen bereit sind - wir haben ja ein Durchschnittsalter, das kam ja im Bericht zu Tage, von etwa 44 Jahren -, qualifizierte gut ausgebildete arbeitswillige leistungsfähige Männer, überwiegend Männer - unter Tage sind ja nur Männer zulässig in Deutschland - auch in einen anderwärtigen Job zu übernehmen.

    Spengler: Herr Freese, Heiko Maas. der SPD-Chef im Saarland, hat gefordert, man müsse jetzt einen Krisengipfel machen, einen Solidarpakt. Was soll, was kann das bringen?

    Freese: Ich weiß nicht, was Heiko Maas damit gemeint hat. Man kann sich zusammensetzen, man kann Maßnahmen verabreden, aber ob die über Nacht greifen, sondern es müssen dann Maßnahmen sein, wie bringen wir die älteren Bergleute, die gewisse Voraussetzungen erfüllt haben und denen noch ein, zwei Jahre fehlen, vorzeitig in den Ruhestand, wie würden wir sie denn in diese Phase hineinbringen, wie kriegen wir Leute umqualifiziert, wie greifen Unternehmen in ihre Investitionsportemonnaies und investieren direkt an der Saar, damit neue zukunftsorientierte Arbeit hier erwächst? Da ist die rückwärtige Entwicklung gerade nicht viel versprechend.

    Spengler: Ulrich Freese, Mitglied im geschäftsführenden Hauptvorstand der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie. Herr Freese, herzlichen Dank für Ihr Gespräch.

    Freese: Schönen Dank, Herr Spengler. Auf Wiederhören!