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Gewerkschaftswissenschaftler konstatiert Mitgliederzuwächse bei der IG Metall

Der Gewerkschaftsforscher Hans-Peter Müller hat die Wahl von Berthold Huber an die Spitze der Industriegewerkschaft IG Metall begrüßt. Mit Blick auf das hohe Wahlergebnis seien wohl auch die Delegierten von Huber als neuem Hoffnungsträger überzeugt gewesen. Unter seiner Führung traue man der IG Metall auch wieder steigende Mitgliederzahlen zu, sagte Müller.

Moderation: Gerd Breker |
    Gerd Breker: Sie haben es in den Nachrichten gehört. Berthold Huber ist in Leipzig zum neuen IG-Metall-Vorsitzenden gewählt worden. Er erreichte das beste Ergebnis bei einer Vorstandswahl dieser Gewerkschaft seit 35 Jahren. Die Wahl soll richtungsweisend für den Kurs der größten deutschen Gewerkschaft in den kommenden vier Jahren sein und morgen will der neue Chef der IG Metall in einem ausführlichen Zukunftsreferat seine Ziele darlegen. Über die Zukunft der IG Metall und der Gewerkschaften überhaupt wollen wir nun reden mit Hans-Peter Müller, Gewerkschaftsforscher an der Fachhochschule für Wirtschaft in Berlin. Guten Tag Herr Müller!

    Hans-Peter Müller: Einen schönen guten Tag!

    Breker: Die IG Metall ist derzeit wie gesagt mit etwa 2,3 Millionen Mitgliedern die größte Gewerkschaft in Deutschland. In diesen Zeiten des Wandels, Herr Müller, welche Rolle spielt da die Größe? Ist das eher ein Vorteil oder ein Nachteil?

    Müller: Sowohl als auch würde ich sagen. Es ist auf jeden Fall ein Vorteil, weil auch die Unternehmen größer geworden sind, und wenn eine Gewerkschaft sozusagen auf Augenhöhe mit ihrem Gegenpart sprechen will, dann muss sie groß sein, dann muss sie entsprechende Ressourcen, Planungsstäbe, Expertise und so weiter haben, Finanzressourcen. Da ist das wohl notwendig.
    Es ist gleichzeitig auch in gewisser Weise problematisch, weil Größe nur durch die Erweiterung der Gruppen, die man integrieren muss in seine Organisation, passieren kann und das heißt, dass die Interessenlagen differenzierter werden, dass die Erwartungen und Anforderungen an die Organisation differenzierter werden, und das macht die Integrationsaufgabe natürlich auch schwieriger.

    Breker: Die Dinosaurier sind an ihrer Größe gestorben. Was müssen die Gewerkschaften tun, dass ihnen nicht gleiches passiert?

    Müller: Da muss man eigentlich sagen, dass sich die IG Metall wider Erwarten und überraschenderweise einige recht zukunftsweisende Konzepte ausgedacht hat, die auch nicht schlecht funktionieren. Sie geht wieder auf die Mitglieder in den Betrieben zu. Sie spricht stärker die Belegschaften in den Betrieben an und das kommt offensichtlich an, wie in einigen Bereichen eben an den Mitgliederzuwächsen abzulesen ist.

    Breker: Ist es denn so, Herr Müller, wie Jürgen Peters das in seinem Abschlussbericht behauptet hat, dass der Mitgliederschwund tatsächlich gestoppt wurde? Ich meine man sollte vielleicht noch mal daran erinnern, dass die IG Metall seit der Wiedervereinigung etwa eine Million Mitglieder verloren hat.

    Müller: Ja. Sie ist nicht dabei, diesen Mitgliederverlust wieder aufzuholen. Im Moment geht es nur darum, ob man sozusagen die Umschichtung der Mitgliedschaft, die die Gewerkschaften immer erleiden, stoppen kann, das heißt ob man wenigstens so viele neue Mitglieder im Jahr aufnehmen kann wie man durch verschiedene Gründe an Mitgliedern verliert. Darum geht es zunächst nur. Es ist auch nicht durchgängig so, dass die IG Metall überall neue Mitglieder gewinnt, sondern in bestimmten Bereichen. Da spielt dieser Bezirk Nordrhein-Westfalen eine große Rolle und der Hoffnungsträger soll ja auch zum zweiten Vorsitzenden gemacht werden, weil man sich erhofft, dass der das auf die ganze Organisation übertragen kann.

    Breker: Notwendig ist eine Diversifizierung, ein Eingehen der Gewerkschaftsführung auf die Einzelinteressen der Menschen in den Betrieben. Welche Gruppen gibt es denn da überhaupt noch, die besonders angesprochen werden müssen?

    Müller: Das ist auf der einen Seite eine Frage der Gruppen: höherqualifizierte Angestellte, Frauen, Jugendliche. Das sind die alten gewerkschaftlichen Problemgruppen, wenn man so sagen will, wo sie sich schon immer schwer getan haben, weil sie im Kern doch irgendwo noch Facharbeitergewerkschaften geblieben sind, auch mental im Funktionärskörper noch Facharbeitergewerkschaften geblieben sind. Das zweite Problem ist aber die wirtschaftliche Heterogenität der Betriebe selbst. Die IG Metall organisiert vom kleinen Betrieb bis zum Großkonzern Wirtschaftsbereiche und die haben natürlich völlig unterschiedliche wirtschaftliche Bedingungen, denen sie sich gegenüber sehen, und da müssen differenzierte Antworten gefunden werden. Das ist glaube ich bei der IG Metall das größere Problem, wenn man sie zum Beispiel mit ver.di vergleicht, die viel mehr Berufe organisieren. Das ist nicht das Hauptproblem bei der IG Metall.

    Breker: Sehen Sie denn mit Berthold Huber jemanden an der Spitze der IG Metall, der dies zu leisten vermag?

    Müller: Ich glaube diese Spitze, die da jetzt gewählt wird, ist Hoffnungsträger in dieser Richtung. Und dass das von vielen Delegierten so gesehen wird, sieht man glaube ich an diesem Wahlergebnis. Das ist Ausdruck einer Hoffnung und die Ansätze, die gemacht worden sind, die sind ja auch mit diesem Ergebnis von den Delegierten goutiert worden. Ich sehe da Ansätze, in vergangenen Tarifabschlüssen, die man dort gemacht hat, auch in der Betriebspolitik, die man gemacht hat. Also ich denke, dass dort produktive Möglichkeiten entwickelt worden sind, um für die Zukunft zu bestehen und dann vielleicht auch sogar mal wieder eine Wende in Richtung steigender Mitgliederzahlen zu erzielen.

    Breker: Sie sehen Ansätze, Herr Müller. Wenn man einmal grundsätzlich auf die Rolle der Gewerkschaften und deren Verankerung in der Gesellschaft einen Blick wirft, hat sich das nicht auch geändert? Ich meine die Parteienlandschaft und die Heimat der Gewerkschaften darin, das verändert sich doch?

    Müller: Natürlich verändert sich das. Die alte Tradition, dass die Gewerkschaftsmitgliedschaft quasi eine Bringschuld der Arbeitnehmer ist, die Zeiten sind vorbei. Sie müssen aktiv um die Arbeitnehmer werben. Da haben sie sich lange schwer getan. Jetzt haben es einige begriffen und die hat man jetzt vorne rangewählt. Ich würde sagen warten wir doch mal ab. Die Ansätze sind nicht schlecht, die da präsentiert werden. Vielleicht haben sie ja Erfolg. Ganz untergehen werden die Gewerkschaften nicht, so wie andere Großorganisationen auch. Auch die Kirchen gehen nicht unter; auch die Parteien werden nicht untergehen. Die Rolle ist zurückgegangen, aber sie sind da und sie werden auch da bleiben, weil sie zu grundsätzlichen Regulierungsfragen unserer wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse in der Arbeitswelt schlichtweg gebraucht werden.

    Breker: Im Deutschlandfunk war das der Gewerkschaftsforscher Hans-Peter Müller. Er lehrt an der Fachhochschule für Wirtschaft in Berlin. Herr Müller, danke für das Gespräch.