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Gewichtheberweltverband IWF
Chaos vor richtungsweisenden Wahlen

Im April vergangenen Jahres wurde der Präsident des Internationalen Gewichtheberverbandes, Tamas Ajan, suspendiert. Der Reformprozess wurde danach zwar angestoßen, in den vergangenen Monaten ist die Situation im Verband aber eskaliert. Jetzt steht der Verband gut sechs Wochen vor richtungsweisenden Neuwahlen.

Von Raphael Späth | 14.02.2021
Ein Gewichtheber hebt eine Hantel an.
Eine Hantel beim Gewichtheben (imago sportfoto / ZUMA press)
Seit September gibt es im internationalen Gewichtheberverband IWF eine Athletenkommission. An deren Spitze steht die Britin Sarah Davies. Als Vorsitzende nimmt sie auch an den Sitzungen des Exekutivkomitees teil – allerdings nur als Beobachterin. Das bekommt sie auch regelmäßig zu spüren. "Wann immer ich etwas sage, werde ich wieder niedergemacht von Mitgliedern des Komitees. Die sprechen so mit mir, weil ich eine Frau bin und sie denken, dass sie mehr Macht haben als ich. Weil ich eine junge Frau bin. Die meisten Mitglieder der Exekutive sind weit über 70 Jahre alt und wollen die Meinung der Athleten nicht hören. Sie interessieren sich nicht für die Athleten, sondern nur für sich selbst und dafür, dass sie das Gehalt für ihren Exekutivsitz kassieren."
Es sind schwere Anschuldigungen, die Sarah Davies tätigt. Das Exekutivkomitee besteht auch nach der Suspendierung von Ex-Präsident Tamas Ajan noch immer aus denselben, von Ajan handverlesenen Mitgliedern.

Nationale Verbände forderten Rücktritt des Komitees

In den vergangenen Monaten hatten zahlreiche nationale Gewichtheberverbände, darunter auch der deutsche, den sofortigen Rücktritt des Komitees gefordert. Stattdessen lockerte die Exekutive im Januar die Anti-Doping-Regularien und verschob den Kongress, bei dem eigentlich eine neue Verfassung erarbeitet werden sollte, auf Ende April – einen Monat nach den Neuwahlen. Ein Schritt, den auch das Internationale Olympische Komitee scharf kritisiert, weiß Jürgen Spieß, Vize-Präsident des deutschen Gewichtheberverbandes und Mitglied der IWF-Athletenkommission. "Das ist das Problem, das auch das IOC sieht: Dass die Wahlen vor dieser Verfassungsänderung stattfinden. Weil natürlich viele, die jetzt im Executive Board der IWF sitzen, nach der neuen Verfassung gar nicht gewählt werden dürfen."
Ein großer Teil des obersten Entscheidergremiums gehört nationalen Verbänden an, die aufgrund mehrerer gravierender Doping-Verstöße inzwischen teilweise oder komplett von internationalen Wettbewerben ausgeschlossen wurden. Trotzdem stehen diese Funktionäre auch jetzt wieder auf den Kandidatenlisten für die Neuwahlen.
Ein Gewichtheber sucht den richtigen Griff.
"Schlag ins Gesicht"
Eine Untersuchung der Welt-Anti-Doping-Agentur hat schwere Dopingvergehen im Gewichtheben offengelegt – von Fremdurin bis hin zu Doppelgängern bei Dopingproben.
"Es ist wirklich hart. Wir fühlen uns hilflos, weil das Einzige, was wir tun können, ist, unsere Stimme zu erheben. Schlussendlich können wir keine Entscheidungen treffen und keine Reformen vornehmen, weil das nicht in unserer Macht liegt. Nur, wenn Menschen uns auch zuhören wollen, können wir für Veränderung sorgen", sagt Athletensprecherin Sarah Davies. Es gebe diese Menschen, sagt die Britin, aber sie seien in der Unterzahl. Eine von ihnen ist Ursula Papandrea. Sie war im vergangenen Jahr als Interimspräsidentin nach Tamas Ajan im Amt und Initiatorin für zahlreiche Reformprozesse – bis sie im September von der Exekutive in einer Geheimsitzung abgesetzt wurde.
In diesem Jahr gehört die Amerikanerin wieder zu den Kandidatinnen und Kandidaten auf die IWF-Präsidentschaft – insgesamt sind es elf. Dass die Wahlen wirklich fair ablaufen werden, bezweifelt sie. "Ich weiß es nicht. Ich weiß, dass wir eine lange Geschichte von Wahlen haben, die alles andere als fair waren. Die Wahlregularien hätten noch einmal überarbeitet und Verfassungsänderungen angenommen werden müssen, bevor diese Wahl vonstattengeht. Und das wurde nicht getan. Das heißt, dass wir in den nächsten vier Jahren im gleichen System wie bisher agieren müssen."
Eine Verfassungsänderung hätte zu viel Zeit beansprucht, so die Begründung der Exekutive. Stattdessen wurde auf Drängen des IOC in dieser Woche ein Regelwerk mit Ausschlusskriterien veröffentlicht, durch die überprüft werden soll, welche Kandidatinnen und Kandidaten für die Wahl zugelassen werden.

Einfallstor für etablierte Funktionäre aus der Ajan-Ära

"Ich glaube, dass diese Kriterien ein Täuschungsmanöver sind. Wenn man sich die Zulassungskriterien mal anschaut, merkt man, dass das bei Weitem nicht reicht", sagt Sarah Davies. Die Zulassungskriterien basieren auf der alten Verfassung der IWF, in der beispielsweise steht, dass ein Kandidat auch ohne die Unterstützung seines nationalen Verbandes kandidieren kann – wenn er länger als 12 Jahre im Verband tätig war und die Unterstützung von einem Fünftel der Mitgliedsverbände hat. Ein Einfallstor für etablierte Funktionäre aus der Ajan-Ära. Einer davon: Der momentane Interims-Präsident Michael Irani. Der Brite wird auch als Präsidentschaftskandidat gelistet, wird von seinem Nationalverband aber nicht unterstützt – eine Deutschlandfunk-Anfrage bleibt bis auf Weiteres unbeantwortet.
Die Kriterien wurden von einer neu eingeführten Ethik-Kommission erstellt. Die Kommission besteht aus fünf Mitgliedern, die vom Exekutivkomitee ernannt wurden, erzählt Ursula Papandrea. "Und für mich ist es sehr fragwürdig, dass die Menschen, die die Kandidaten vor der Wahl überprüfen, von den Kandidaten selbst bestimmt wurden."
Qualifikation im Gewichtheben im Frauengewichtheben.
"Sehen, was noch zu retten ist"
Ein halbes Jahr nach dem Rücktritt seines umstrittenen Präsidenten gibt es aktuell wieder große Unruhe im Welt-Gewichtheberverband. Der Verband sei dabei, sich abzuschaffen, sagte der Athletensprecher Jürgen Spieß.
Die Vorsitzende der Ethik-Kommission heißt Despina Mavromati. Eine Sportrechtlerin, die unter anderem auch in den Integritätskommissionen des Leichtathletik- und Turnweltverbandes sitzt. In dieser Woche aber wurden Vorwürfe laut, Mavromati habe Verbindungen zum russischen Gewichtheberverband – einem Verband, der auch in der Exekutive vertreten ist. Mavromati bestreitet das, jegliche Geschäftsbeziehungen seien schon längst abgeschlossen und würden in keiner Weise in Verbindung zum internationalen Gewichtheberverband stehen. Ein Deutschlandfunk-Interview sagt sie kurzfristig ab.

Britische Sportschiedsbehörde wird Wahlen überprüfen

Stattdessen veröffentlicht die Ethikkommission am Freitag ein Statement: Um die Unabhängigkeit und Integrität der Wahlen und der Kommission zu gewährleisten, wird nicht die Ethikkommission selbst, sondern die britische Sportschiedsbehörde "Sport Resolutions" in den kommenden Wochen die Kandidaten überprüfen. Darüber hinaus soll "Sport Resolutions", falls das Exekutivkomitee zustimmt, auch die Kriterien anpassen, die darüber entscheiden, ob ein Kandidat oder eine Kandidatin zur Wahl zugelassen wird.
Für Ursula Papandrea ist das ein weiterer Schritt in die richtige Richtung. Sie hofft darauf, in sechs Wochen zur neuen IWF-Präsidentin gewählt zu werden. Für tiefgreifende Reformen benötigt sie aber die Unterstützung von weiteren Funktionären. "Wir brauchen unbedingt frische Gesichter oder Stimmen, die für Wandel und Reformen offen sind. Wenn solche Stimmen nicht die Mehrheit im Exekutivkomitee bilden, weiß ich nicht, wie man das Ruder herumreißen könnte."
Das IOC hat schon im Dezember über 70 Quotenplätze für Gewichtheberinnen und Gewichtheber in Paris 2024 gestrichen – gibt es im Verband nicht bald grundlegende Reformen, droht dem Gewichtheben der Komplettausschluss.