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Ghetto-Rentengesetz
Ein Lehrstück in deutscher Bürokratie

2002 war den überlebenden Ghetto-Zwangsarbeitern eine Entschädigung in Form einer Rente zuerkannt worden. 2014 hatten die Rentenversicherungen 90 Prozent ihrer Anträge abgelehnt. Weil trotz Nachbesserungen seither kaum Zahlungen geleistet wurden, fordern die Betroffenen nun die Neuregelung des Ghetto-Rentengesetzes.

Von Christiane Habermalz | 27.01.2017
    Während der Besetzung Polens durch die deutsche Wehrmacht mussten Juden - wie hier beim Straßenbau - Zwangsarbeit verrichten (undatierte Aufnahme). Die Stiftungsinitiative der Deutschen Wirtschaft hat am 22.5.2001 den Weg für die Entschädigungszahlungen an ehemalige NS-Zwangsarbeiter frei gemacht. Nach der Abweisung der Sammelklagen in den USA sei jetzt die notwendige Rechtssicherheit gegeben. Die Entscheidung sorgte für Erleichterung im In- und Ausland.
    Während der Besetzung Polens durch die deutsche Wehrmacht mussten Juden - wie hier beim Straßenbau - Zwangsarbeit verrichten (undatierte Aufnahme). (picture alliance / dpa / Ullstein)
    Kinder, die von den Nationalsozialisten in ein Ghetto gepfercht wurden, mussten arbeiten, um zu überleben - oft schufteten sie hart nur für einen Teller Suppe am Tag. Doch Ansprüche auf eine Ghetto-Rente nach dem deutschen ZRBG, dem "Gesetz zu Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigung in einem Ghetto", haben viele von ihnen nicht. Der Grund: Ihnen fehlen die dafür vorgeschriebenen fünf Jahre Anwartschaft. Denn das deutsche Sozialgesetz sieht vor: Um eine Rente zu beziehen, müsste der Betroffene mindestens fünf Jahre gearbeitet haben.
    "Nach dem Ghetto-Rentengesetz müssen die Menschen, die Anspruch erheben wollen, 60 Beitragsmonate nachweisen. Das ist für Kinder, die im Ghetto gearbeitet haben, schlicht unmöglich. Kein Ghetto hat so lange bestanden überhaupt", sagt Herbert Heuß, wissenschaftlicher Leiter des Zentralrates der Sinti und Roma in Deutschland.
    Zwar kann für die Differenz in Ausnahmefällen mit sogenannten Ersatzzeiten aufgefüllt werden. Doch wer nach dem Ghetto nicht mehr sozialversicherungspflichtig gearbeitet hat, kann das nicht - und das ist auch der Grund, warum Sinti und Roma, die eher selbstständig arbeiten, und Frauen besonders betroffen sind. Allein 800 heute hochbetagte deutsche Sinti und Roma, die als Kinder in osteuropäische Ghettos deportiert wurden und die Vernichtungslager überlebten, sind so von Rentenzahlungen ausgeschlossen, schätzt Heuß.
    Mahnwache am Berliner Holocaust-Mahnmal
    Betroffen sind auch zigtausende jüdische Ghetto-Überlebende und Roma aus Polen. Gemeinsam fordern beide Gruppen nun in einer Mahnwache am Berliner Holocaust-Mahnmal eine Korrektur des Ghetto-Rentengesetzes – unterstützt durch einen auch von zahlreichen Intellektuellen und Historikern unterzeichneten Offenen Brief an Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles. Oft fehlten nur wenige Monate, damit die Rentenansprüche laut Ghetto-Renten-Gesetz geltend gemacht könnten, erläutert einer der Initiatoren, Hans Coppi:
    "Es gibt zum Beispiel auch die Möglichkeit, dass subsidiäre Wartezeiten im Ghetto-Rentengesetz endlich verankert werden. Was heißt subsidiär: Der Staat leistet eine finanzielle Hilfe für Menschen, die aus bestimmten Notgründen nicht in der Lage waren, ihre Rentenbeiträge voll einzuzahlen.
    Streit um Rentenanwartschaft für Zwangsarbeit im Ghetto
    Was wie ein böser Witz klingt, der Streit um Rentenanwartschaft für Zwangsarbeit im Ghetto, ist doch fast schon symptomatisch. Seit Jahren ist der Umgang der deutschen Rentenkassen mit dem Thema Ghetto-Renten ein Lehrstück in Bürokratie. 2002 erst schloss der Bundestag die bis dahin noch immer klaffende Lücke in der deutschen Entschädigungspolitik und erkannte den Ghetto-Überlebenden eine Entschädigung zu. Und zwar in Form einer Rentenzahlung - so hatte es das Bundessozialgericht bereits 1997 in einem Urteil festgehalten. Herbert Heuß:
    Weil eben klar war, dass jeder der im Ghetto überleben wollte, musste arbeiten. Und für alle diese Menschen sind ja Sozialabgaben gezahlt worden in die Deutsche Rentenversicherung damals. Das ist ja das Perfide in der ganzen Geschichte, dass jeder, der irgendwo als KZ-Insasse für Zwangsarbeit ausgeliehen wurde oder in einem Ghetto gearbeitet hat, für den wurden die Sozialabgaben bezahlt von den einzelnen Unternehmen.
    Rentenzahlung gebe es nur für freiwillige Arbeit
    Doch 2014 musste das Gesetz nachgebessert werden, nachdem deutlich wurde, dass die Rentenversicherungen 90 Prozent der Anträge der Ghetto-Überlebenden mit Hinweis auf das deutsche Sozialgesetz abgelehnt hatten. Begründung: Rentenzahlung gebe es nur für freiwillige Arbeit. Und Kinder unter 14 Jahren könnten gar keine Rentenansprüche erworben haben, weil diese ja auch gar nicht arbeiten dürften.
    Das wurde 2014 zwar korrigiert, den Kindern ein eigener Rentenanspruch ausdrücklich zuerkannt. Doch versäumt wurde, auch die Anwartschaften entsprechend anzupassen. So warten die Opfer bis heute. Diese Lücke müsse endlich geschlossen werden, fordern die letzten Überlebenden.