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"Gibt es keine Einigung, dann läuft vieles auf Gorleben zu"

Offene Endlagersuche statt "Gorleben-Bestätigungsgesetz", fordert Schleswig-Holsteins Umweltminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen). Gorleben müsse ebenso wie andere potenzielle Standorte für hoch radioaktiven Atommüll sauber und kritisch hinterfragt werden.

Robert Habeck im Gespräch mit Jasper Barenberg | 15.07.2012
    Jasper Barenberg: Die Suche nach einem Endlager für hoch radioaktiven Atommüll, Herr Habeck, ist seit Jahrzehnten ungelöst. Seit mehr als 30 Jahren gibt es erbitterten Streit um Gorleben und um die Eignung des Salzstockes. Umweltminister Peter Altmaier, der immer noch neue Umweltminister, will den Neustart der Suche organisieren und er gibt sich jetzt zuversichtlich, dass es noch in diesem Monat eine Einigung zwischen Bund und Ländern, zwischen Regierung und Opposition für ein Endlagersuchgesetz geben wird. Sind Sie auch so zuversichtlich?

    Habeck: Ich hoffe, dass es gelingt, eine Einigung herzustellen, denn wenn man den Sommer verstreichen lässt und dann in die Niedersachsenwahl hineingerät und in die Bundestagswahl, dann wird es jedenfalls nicht einfacher werden. Und gibt es keine Einigung, dann läuft vieles auf Gorleben zu. Dann hat man das nicht geschafft, die Suche, die ja politisch vorgeprägt war und nicht wissenschaftlich durch Analysen und auch nicht transparent hergeleitet war, noch einmal neu aufzulegen. Deswegen würde ich mich sehr freuen, will ich dafür arbeiten, und das werden die Grünen auch tun, dass es eine Lösung gibt und dass es eben ein Endlagergesuch gibt und kein Gorleben-Bestätigungsgesetz.

    Barenberg: Es gibt, seit Norbert Röttgen als Umweltminister entlassen wurde und Peter Altmaier das Amt übernommen hat, keine offiziellen Bund-Länder-Treffen mehr seit Juni. Dafür gibt es Gespräche abseits des Scheinwerferlichts. Altmaier – so unken manche – macht daraus eine geheime Kommandosache. Ist das eigentlich die richtige Vorgehensweise?

    Habeck: Es gab jetzt kürzlich ein Treffen zwischen Altmaier und den Umweltministern der Länder, kein inoffizielles, kein Geheimtreffen, aber ein Treffen ohne Block und Bleistift. Kamin nennt man das ja immer, weil früher solche Dinge beim lodernden Feuer besprochen wurden. Und wenn Altmaier so vorgeht, wenn wir so vorgehen, wenn die Politiker so vorgehen, dass man mal kurz den Stab beiseite lässt und alle nur auf sich selbst und ihre eigene Verantwortung und ihre Meinung zurück geworfen sind, dann kann ich daran nichts Schlechtes finden. Und mein Eindruck von diesem Gespräch war, dass das sehr lösungsorientiert, nicht nur bei der Frage Endlagersuchgesetz, sondern bei vielen Fragen der Energiewende und auch der umweltpolitischen Themen, war. Und wenn Altmaier oder die Politik sich darauf besinnt, kann ich daran nichts Schlechtes finden. Also, das darf natürlich nicht den Gesetzgebungsprozess ersetzen, aber wenn Politik ein Stück weit wieder zu einer menschlichen Angelegenheit wird und alle sich daran auch messen lassen, sich in die Pflicht nehmen lassen, sich in die Augen gucken und die Hände geben und der Handdruck was zählt, das gegebene Wort was zählt, dann finde ich das erst mal eine richtige Strategie.

    Barenberg: Und in diese Kategorie zählt dann auch, wenn Sigmar Gabriel, der SPD-Vorsitzende, wenn Jürgen Trittin, der Fraktionschef der Grünen im Bundestag, über dieses Thema dann in die Altbauwohnung von Peter Altmaier in Berlin eingeladen werden und bei einem guten Glas Wein die Sache besprechen?

    Habeck: Das waren wir dann auch, die Umweltminister. Also Altmaier scheint sehr spendabel mit seiner Wohnung umzugehen, die übrigens imposant ist. Ja, das fällt darunter. Man muss doch mit vielen Leuten reden um auszuloten, wo die Lösungsmöglichkeiten sind. Und dann muss der Schritt zurück gelingen, dass man das in einen transparenten, überprüfbaren, papierenen Gesetzgebungsprozess überführt. Aber dass man erst einmal guckt, wie weit man auf einer Ebene der Vernunft und Rationalität vorwärts gehen kann, daran kann ich nichts Schlechtes sehen.

    Barenberg: Es verwundert ja ein bisschen deswegen, wenn man daran denkt, dass am 1. März der Vorgänger, Norbert Röttgen, gesagt hat, 90 Prozent eines Entwurfs für ein Endlagersuchgesetz seien unter Dach und Fach. Es fehlen also noch zehn Prozent. Sind die zehn Prozent so haarig, dass man jetzt Gespräche hinter den Kulissen braucht dafür, quasi Gespräche, um Vertrauen erst mal herzustellen?

    Habeck: Es geht immer um den einen Punkt, nämlich gibt es Hintertüren, dass das Gesetz eigentlich nur wieder Gorleben auf dem Thron bestätigen soll? Das sind die zehn Prozent, dass man hart darum ringt, ob die Unabhängigkeit von Institutionen gewahrt bleibt, die Politik sich in die Pflicht nehmen lässt, nichts abschiebt, also dass die Unabhängigkeit nicht auf der anderen Seite auf einmal wieder so etwas wie eine Scheinneutralität ist. Und deswegen hat Röttgen Recht, im Endeffekt geht es um die Kommata, die entscheiden darüber, ob alle sagen, das ist ein gutes Gesetz. Das ist im ersten Moment verwunderlich. Wenn man denkt, man hat die großen Linien abgeklopft, da muss es doch gelingen, aber im zweiten Moment, wenn man weiß, wie Verträge auch im privaten Recht abgeklopft werden und woran es scheitert, woran Beziehungen scheitern – doch immer an dem Kleinkram eigentlich. Und deswegen passt es auch zu dieser Strategie, auf die sich hier jetzt alle einlassen, nämlich zu gucken, ob das Misstrauen tatsächlich einen gerechtfertigten Ansatzpunkt hat. Wenn ja, dann muss es ausgeräumt werden, und wenn nein, dann kann man es auch überspringen. Und das kann man nur in der Vertrauensatmosphäre erst mal machen. Deshalb ist das okay, dass man die herstellt.

    Barenberg: Greenpeace jedenfalls und auch die Spitzen von Grünen und SPD in Niedersachsen haben offenbar noch einiges Misstrauen, denn es gibt offene Briefe, von den Grünen in Niedersachsen und von Greenpeace, die massiv den derzeit laufenden Prozess kritisieren, die vor zu viel Intransparenz warnen, die sagen in Richtung der Grünen, in Richtung der SPD, Leute, brecht das ganze Verfahren ab, so geht das nicht. Was antworten Sie?

    Habeck: Dass, wenn das Verfahren abgebrochen ist, man wieder da ist, wo man vor dem Verfahren war, nämlich im schlimmsten Fall bei Gorleben. Zum Schluss wird man darüber entscheiden müssen, ob es einen Fortschritt gegeben hat und ob der reicht. Und der wird vermutlich nicht heißen, Gorleben ist draußen, sondern Gorleben wird sauber und kritisch hinterfragt werden wie andere Standorte auch, ob einem das reicht oder nicht.

    Barenberg: Dann können wir also festhalten an die Adresse des Bundes für Umwelt- und Naturschutz, an den BUND, dass, wenn es nach Ihnen geht, dann wird Gorleben, anders als der BUND das fordert, nicht ganz von der Liste gestrichen?

    Habeck: Wenn es nach mir geht, wird Gorleben von der Liste gestrichen. Aber es ist ja naiv zu glauben, dass die andere Seite sich darauf einlassen wird. Und deswegen muss man doch sagen, was ist realistisch. Und realistisch ist – und das wäre ein großer Erfolg –, dass die Endlagersuche offen bei Null beginnt.

    Barenberg: Das ist die weiße Landkarte?

    Habeck: Das ist die weiße Landkarte. Und die weiße Landkarte hat kein Loch in der Mitte, oder oben rechts, wo Gorleben liegt, sondern es ist eine weiße Landkarte.

    Barenberg: Geht es auch um die Zahl der Vergleichsstandorte beispielsweise? Da heißt es ja jetzt, ein weiterer Standort soll neben Gorleben am Ende dann unterirdisch erkundet werden. Ist das eine Maßgabe, die Sie unterschreiben würden?

    Habeck: Das, finde ich, ist jetzt nicht akzeptabel. Wenn es darum geht, den besten Standort zu finden, sind potenziell alle möglichen Standorte Untersuchungsgegenstand. Und von vorneherein zu sagen, wir machen nur zwei, also Gorleben und irgendwas anderes, das schließt ja schon wieder den Begriff der weißen Landkarte aus. Das ist doch auch Quatsch. Also, wenn man den besten Standort finden will, dann muss man doch erst mal bei Null beginnen. Und wenn sich dann herausstellt, dass es nicht hundert sind sondern drei, vier oder zwei, ja gut, dann kommt man eben weiter. Aber man diskreditiert dieses Verfahren von Transparenz doch, wenn man von vorneherein sagt, es können nur zwei sein und dazwischen entscheiden wir uns. Das ist doch blöde.

    Barenberg: Der Salzstock in Gorleben ist der eine große Knackpunkt bei dem ganzen Verfahren. Der andere ist die Frage, wer das Sagen am Ende hat. Wird das weiter das Bundesamt für Strahlenschutz sein, oder wird das – da gab es diese Woche einige Meldungen – ein neues Bundesinstitut sein? Die Rede war von einem Bundesinstitut für kerntechnische Sicherheit, das da schon quasi hinter den Kulissen in Form eines Gesetzentwurfes auf den Weg geschickt wird. Wie sehen Sie das?

    Habeck: Wir sprachen an dem Abend des Treffens der Umweltminister mit Altmaier über dieses Papier und Altmaier stellte klar, dass das nicht ein offizielles Papier seines Hauses ist, sondern er hat sich davon distanziert. Daran hängt ganz viel, wie wird die Unabhängigkeit gewährleistet.

    Barenberg: Kommen wir von diesem Knackpunkt in dem ganzen Komplex Energiewende, für den Sie ja auch verantwortlich sind hier in Kiel, zu der Energiewende im größeren Maßstab. Es gab ja lange Debatten darüber in den letzten Monaten und Norbert Röttgen, der Vorgänger von Peter Altmaier, ist da heftig in die Kritik geraten, dass er das nicht genug vorantreibt, dass die Regierung insgesamt sich bei dem ganzen Thema blockiert, dass ein fehlender Gesamtplan ein Problem ist, dass es nicht genug Zug gibt in der ganzen Angelegenheit. Nach Ihrer Wahrnehmung, hat sich das grundlegend geändert oder steht beispielsweise mit Philipp Rösler, dem Wirtschaftsminister, noch immer ein Bremser in der Regierung?

    Habeck: Mein Eindruck ist, dass Peter Altmaier für die verbleibende Amtszeit, die er noch hat, das sind ja nicht mehr so sehr viele Monate und eigentlich nicht ausreichend, um einen so großen Gesamtplan, mit dem man sich dann als Politiker schmücken will, noch zu verabschieden . . .

    Barenberg: Das hoffen Sie?

    Habeck: Nein, nein, da spielt Parteicouleur keine Rolle für mich. Und Altmaier schätze ich persönlich sehr. Also, wir lernen uns gerade erst kennen. Er ist zwei, drei Wochen älter im Amt als ich. Aber es mach echt Spaß mit ihm. Und ich nehme ihm ab, dass er Probleme lösen will. Und das ist der Unterschied. Er geht auf die Probleme, konzentriert sich auf die Lösung der Probleme und nicht so sehr auf den großen Gesamtplan, zu dem er dann aber von unten kommt. Und so ist es gelungen – nicht nur Altmaier –, in den letzten Wochen die strittige Solarförderung beiseite zu schaffen. Und vielleicht gelingt es auch noch, ein Gesetz zur Gebäudesanierung zu verabschieden, im dem da Kompromissbereitschaft einkehrt und die Länder nicht zu sehr bluten müssen dafür. Und über die anderen Punkte werden wir sehen, wie weit man kommt. Aber der Stil hat sich geändert, und das ist gut. Mein Eindruck ist, dass die bisherigen Bundesminister sich im wesentlichen versucht haben, gegenseitig zu profilieren, also Röttgen gegen Rösler oder davor gegen Brüderle. Und genützt hat es keinem. Wirtschaftsminister Brüderle ist weg, und Rösler hat das dann fortgesetzt – unrühmlich, wie ich finde. Röttgen hat es auch nicht geholfen, der ist auch weg. Nun ist Altmaier da, und wenn er klug ist, verzettelt er sich nicht wieder mit dem Wirtschaftsminister.

    Und von Seiten der Länder gibt es eine klare Parallelbewegung, nämlich die Kompetenzen auch endlich mal zu benennen. Wir haben in der Umweltministerkonferenz einstimmig gesagt, wir müssen jetzt im Grunde eine Energieministerkonferenz auf den Weg bringen, und wie die heißt und wer da hin geht ist im Grunde wurscht. Aber dass immer die Umweltminister und die Wirtschaftsminister sich dazwischen verhaken, wer eigentlich zuständig ist für was, das kann nicht sein. Und bei den Umweltministern, das sind ja nun mal meine Amtskollegen, kann ich eine hohe Motivation erkennen, und auch über die Parteien hinweg Motivation erkennen, da jetzt endlich mal voran zu kommen und Lösungen zu erarbeiten. Und Lösungen zu erarbeiten heißt ja nun mal immer in der Politik, dass nicht alle ihre Maximalforderungen durchsetzen. Und da scheint jetzt in letzter Zeit mindestens eine andere Atmosphäre einzuziehen. Und das wäre gut.

    Barenberg: Das Interview der Woche im Deutschlandfunk, heute mit Robert Habeck, Minister für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume für Schleswig-Holstein. Herr Habeck, ein weiteres Stichwort im Gesamtkomplex Energiewende – und ich erwähne das, weil es Schleswig-Holstein besonders betrifft – ist CCS, eine Technologie, bei der es darum geht, bei der Verbrennung von Kohle das klimaschädliche Kohlendioxid abzutrennen und unter die Erde zu verpressen. Es gab langwierige Verhandlungen und nach einem Fehlversuch haben sich Bund und Länder jetzt auf ein Gesetz geeinigt, diese Technologie weiter in die Erprobung zu geben und die Erprobung weiter zu ermöglichen. Nur Schleswig-Holstein hat in Gestalt von Ihnen, des neuen Umwelt- und Energiewendeministers gleich angekündigt, die Technologie in Schleswig-Holstein zu verbieten. Warum?

    Habeck: Im Land will niemand das haben, weder die CDU, noch die FDP, noch die Grünen, noch die Piraten oder die SPD. Da gibt es keine Unterschiede der Parteien in Schleswig-Holstein. Und die Bevölkerung will es erst recht nicht haben, und das aus gutem Grund nicht. Die CCS-Technologie, die CO2-Abscheidung und die Speicherung von CO2 unter der Erde ist in dem Maßstab, in dem sie geplant wird, eine Reinwaschtechnologie für neue Kohlekraftwerke. Die passt also überhaupt nicht zur Energiewende. Jeder, der sagt, das brauchen wir, um Klimaschutz voran zu treiben, belügt sich, weil es eine Markteinführungsstrategie für neue Kohlekraftwerke ist. Und wir brauchen eine Energiestrategie, eine Klimastrategie ohne Kohlekraftwerke.

    Wir laufen auf eine Situation zu, wo die Kohlekraftwerke gebaut werden mit dem Hinweis, die werden ja CO2 captured ready, also fertig zur Abscheidung gebaut. Dann wird man feststellen, dass der Wirkungsgrad erheblich sinkt, dass die Technik nicht erprobt ist, dass die Sicherheiten überhaupt nicht zu gewährleisten sind, auch im Erdreich nicht, dass zum Beispiel Grundwasser vertrieben werden kann aus den Schichten in salzigere Schichten, also Grundwasser versalzen wird dadurch, und dann macht man es nicht und dann hat man die Kohlekraftwerke stehen. Oder man macht es und hat salziges Grundwasser. Beides ist fürchterlich.

    Barenberg: Dass es bei dieser Technologie Risiken gibt, das wird, glaube ich, keiner leugnen. Deswegen ist sie ja auch erst in der Erprobung, in der Entwicklung. Aber kann man, weil es ja eben eine wichtige Rolle spielen könnte für den Klimaschutz, jetzt von vorneherein dieser Technologie den Hahn zudrehen und sich damit die Chance verbauen, dass sie eben einen großen Beitrag leisten könnte, um das Klima zu schützen?

    Habeck: Bei welchem Beitrag, frage ich mich?

    Barenberg: Na ja, Kohle ist ja vielleicht in Deutschland keine Zukunft mehr, aber weltweit gesehen gibt es einen Boom der Kohle. Es gibt in China, Indien, Schwellenländer, die nicht von der Kohle lassen wollen und nicht von der Kohle lassen werden. Die USA wollen nicht drauf verzichten, Australien und so weiter. Also im Weltmaßstab gedacht wäre diese Technologie, sollte sie eines Tages funktionieren und zu einem ordentlichen Preis zu haben sein, ja geradezu ein Exportschlager.

    Habeck: Das ist ein strukturelles Argument, das ich immer von den Befürwortern von Atomenergie gehört habe, die gesagt haben, wir müssen hier in Deutschland Atomkraftwerke installieren, wir wollen sie vielleicht gar nicht in Deutschland haben, aber wir müssen sie ja installieren, um im Weltmarkt mithalten zu können. Und nun haben wir uns klugerweise davon getrennt, dagegen entschieden. Und das Argument – ich höre es nicht mehr. Und jetzt wird gesagt, wir sind Vorreiter der erneuerbaren Energien und da entwickeln wir neue Potenziale, neue Wertschöpfungsketten, neue Exportmöglichkeiten, Schlager geradezu.

    Ja man kann so argumentieren, aber genau so gut könnte man für Waffenexporte argumentieren, für Gentechnik argumentieren, und immer sagen, wir wollen natürlich keinen Krieg in Deutschland führen, aber es ist doch super, wenn die unsere Landminen nehmen. Und die Argumentation teile ich nicht. Wenn man das für falsch hält, dann sollte man bei sich anfangen, das zu verhindern. Ich halte es für falsch, also fange ich wenigstens in Schleswig-Holstein an, das zu verhindern. Die Leute, die es für richtig halten, sollten nicht auf China verweisen sondern sich der Debatte stellen, ob sie nicht wirklich die Türe öffnen für neue Kohlekraftwerke in Deutschland. Und wenn wir das bekommen, dann werden wir die ganze Strategie, den ganzen Schwung, den wir nach Fukushima haben, früher oder später nicht mehr durchhalten können.

    Barenberg: Aber wenn die Gleichung aufgehen soll, Bezahlbarkeit, Versorgungssicherheit und Umweltverträglichkeit, eigentlich die Quadratur des Kreises, jedenfalls im Moment noch, müssen wir uns dann nicht damit auseinandersetzen, dass es auf absehbare Zeit eben Kohlekraftwerke auch unter anderem in Deutschland weiter geben muss möglicherweise sogar, was wiederum ein Argument wäre, CCS nicht von vorneherein gänzlich auszuschließen?

    Habeck: Also es ist nicht die Quadratur des Kreises, Versorgungssicherheit, Umweltschutz, Klimaschutz und Kostenneutralität der Energiewende. Das ist erzielbar. Es ist anspruchsvoll, es gibt viele Unsicherheiten, es gibt viele politische Entscheidungen, aber es ist nicht die Quadratur des Kreises. Das ist die politische Aufgabe jetzt in dieser Legislatur oder in den nächsten Jahren. Und der muss man sich stellen, während, wenn man auf neue Kohlekraftwerke setzt, die müssen 40, 50 bis 60 Jahre laufen um abgeschrieben zu sein. Sie funktionieren nur, wenn sie permanent einspeisen können. Es gibt Technologien bei Steinkohlekraftwerken, die auch flexibler gefahren werden können. Aber im Grunde passen sie nicht zu den erneuerbaren Energien, die ja stetig aufwachsen sollen bis 80 Prozent 2050. Wo soll da noch Platz für Kohle sein?

    Barenberg: Das Interview der Woche im Deutschlandfunk mit dem stellvertretenden Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein, mit Robert Habeck von den Grünen. Apropos Grüne, Herr Habeck, im nächsten Jahr sind Bundestagswahlen und an der Spitze der Grünen herrscht Streit und Missgunst, wenn es um die Auswahl des Spitzenpersonals für den Bundestagswahlkampf geht. Was sagt das eigentlich aus Ihrer Sicht über die Grünen aus?

    Habeck: Dass die Grünen eine streitbare Partei sind.

    Barenberg: Und es sagt nicht aus, dass die Grünen erkennbar altern? Eine Kollegin hat das diese Woche mal so formuliert: Man kann den Grünen Tag für Tag beim Älterwerden zuschauen seit es die Piraten gibt in der politischen Konkurrenz.

    Habeck: Also, ich bin ganz froh gewesen, dass ich jetzt in den letzten Wochen nicht über die Piraten reden musste, sondern mich auf meine Inhalte konzentrieren durfte. Die Piraten, die ich kenne, sind auch nicht alle jung und hipp und gerade irgendwie von der Stange gesprungen, sondern denen sieht man auch an, dass das Leben die gezeichnet hat. Und ob das alles zu besseren Ergebnissen führt als bei den Grünen, das will ich mal stark bezweifeln. Aber wenn ich die Piraten jetzt mal kurz beiseite schieben darf, dann ist es natürlich so, die Menschen werden älter. Das ist trivial. Die Frage ist eher, kommen neue Leute nach? Und wenn man sich anguckt, wo sind denn die neuen Leute bei den anderen Parteien, dann würde mir ehrlicherweise nur einfallen, nur bei der FDP gibt es diese Boygroup, die sich da nach vorne gebracht hat. Aber geholfen hat es der FDP nun auch nicht, dass Philipp Rösler Parteivorsitzender ist. Und der einzige Unterschied ist die der Perspektive. Die Grünen – und das betreiben die Grünen natürlich auch immer selbst – haben das Stigma, das Image der ewigen Jugendlichkeit und wollen es auch haben, dieses Rebellische. Auch ich will das haben. Auch mir gefällt das. Und da ist ein gewisser Widerspruch, dass man freakig, offen, spontan, rebellisch, jugendlich sein will, so ein bisschen James-Dean-mäßig auch rüberkommen will als Partei, und im politischen Geschäft agieren muss wie jeder andere und biografisch älter wird. Das ist der Widerspruch.

    Barenberg: Und wie sehr erfüllen die Granden der Partei derzeit in Berlin, also Jürgen Trittin, Renate Künast, Claudia Roth, Cem Özdemir, wie sehr erfüllen die, die sich da streiten um de Spitzenplätze denn noch das Kriterium der Jugendlichkeit und des Rebellentums? Man hat doch eher das Gefühl, dass es weiter gehen soll mit denen, die man gefühlt schon ewig an der Spitze der Grünen sieht.

    Habeck: Nun, die Frage ist, ob das eine Kritik an den Personen ist, die ja einfach politisch ihre Erfahrungen sammeln und ihren Job machen, und das mit Leidenschaft. Ich kenne die ja alle ganz gut und die brennen. Ich weiß nicht, ob ich, wenn ich noch mal fünf Jahre oder zehn Jahre länger in der Politik bin, dieses Feuer behalten kann. Da muss man doch Respekt davor haben, dass Leute nicht so in die Politik reinschnuppern und sagen, ich mache das mal zehn Jahre und dann mache ich etwas anderes, sondern – das kann man nicht ohne Pathos sagen – da ist ein missionarisches Ethos dahinter. Und das ringt mir immer wieder Respekt ab vor dieser Generation.

    Barenberg: Wie sieht denn Ihr Dream-Team für die Bundestagswahl aus?

    Habeck: Das ist nicht geschummelt, ich habe da echt nicht drüber nachgedacht. Die letzten Wochen und Monate waren so voll und das ist vielleicht auch im Moment ein Privileg, dass ich das nicht verstehen muss und wissen muss, was da in Berlin ganz genau abgeht.

    Barenberg: Gut, reden wir nicht über Personen, reden wir über die Sache. Die Präferenz für eine Koalition mit der SPD, ist die quasi gesetzt? Sie haben in Schleswig-Holstein ja immer diesen Kurs der Eigenständigkeit forciert. Im Bund scheint das ja anders zu laufen, da gilt das als die privilegierte Konstellation, die anvisiert wird.

    Habeck: Ich rede mal von mir, aber im Grunde sind die Grünen gemeint. Ich habe im Wahlkampf gemerkt, dass, je enger die Zuspitzung wird, je stärker das Ritualisierte der Politik durchkam. Die Leute wollten wissen, mit wem endet es denn. Und zu sagen, das ist doch überhaupt keine Antwort auf die Frage, welche Probleme soll denn das Land lösen, das war bis ein halbes Jahr vor der Wahl eine gute Antwort und eine, die die Leute nachdenklich macht. Aber nachher wollte es keiner mehr hören. Und die Parteien, wahrscheinlich meine eigene auch, wahrscheinlich ich auch, aber auf jeden Fall die CDU hat, um erkennbar zu bleiben, zugespitzt und dann eben konservativ zugespitzt, sodass dieses Ausbalancieren und wir wählen entlang von kritischen Kräften von Argumenten, und gucken mal nicht so sehr auf Machtarithmetik, weil das ja auch immer so ein bisschen unsympathisch ist – "die wollen ja alle nur an die Macht" – nicht stabil bis zum Ziellauf waren, was mir bis heute leid tut und auch weh getan hat. Und nun glaube ich, dass in Berlin die Situation noch viel zugespitzter ist als in so einem kleinen Land wie Schleswig-Holstein. Und deswegen sollte man, was man, wenn man von außen auf die Politik guckt, eigentlich nur bedauern kann, mit einem klaren Lagerwahlkampf rechnen müssen, nämlich Rot-Grün gegen Schwarz-Gelb.

    Barenberg: In diesem Lagerwahlkampf, der uns nun möglicherweise bevorsteht, wird die SPD einen Schwerpunkt sicherlich beim Thema Gerechtigkeit setzen, weniger beim Thema Europapolitik. Da haben die Sozialdemokraten es genau so wie die Grünen schwer, der Kanzlerin am Zeug zu flicken, weil sie im Grunde die Politik in weiten Teilen ja auch mit tragen . . .

    Habeck: Ja, aber das sagt viel über die Politik. Den Piraten wirft man ja immer vor, die wissen nicht, wovon sie reden und sie haben keinen Kompass. Wenn ich Pirat wäre, dann würde ich immer sagen: Hat Merkel denn den? Was war denn bitte der Kompass bei Europa? Welche von den 17 Lösungen von ‘Kein Cent für Griechenland’ bis ‘Wir machen eine große Staatsverschuldung auf dafür’ ist denn jetzt die richtige Lösung gewesen? Also, Merkel hat erkennbar keine Linie gehabt, aber die Menschen glauben, Mutti passt auf unser Geld auf. Und die Grünen hatten erkennbar von Anfang an eine klar pro-europäische Linie, eine, die in den Inhalten immer mehr bestätigt wird. Wir stehen im Grunde da, wo die Grünen vor drei Jahren gesagt haben, da werden wir hinkommen müssen, lasst uns das mal lieber gleich tun. Aber in der Kommunikation, da gebe ich Ihnen Recht, scheint es so, als ob Merkel die Europapolitikerin ist, was sie faktisch nicht ist, was einfach Quatsch ist, und als ob die Grünen, vielleicht auch die SPD, aber bei den Grünen kann ich es einfach sagen, die wirklich Europapolitiker sind und haben und sich da Gedanken machen und Konzepte schreiben, die alle bestätigt werden, die alle richtig sind, als ob sie da keine große Rolle spielen.

    Barenberg: Damit hätten wir dann vielleicht ein Thema für den Wahlkampf Europa. Was wäre noch ein zweites? Ich sprach an, dass die SPD wahrscheinlich auf das Thema Gerechtigkeit setzen wird zu großen Teilen.

    Habeck: Ja, Gerechtigkeit ist ja auch erst mal nur ein Schlagwort. Gerechtigkeit gibt es ja in jeder Interpretationsform. Und wahrscheinlich würde selbst der konservativste Knochen sage, das ist alles gerecht. Jeder passt auf sich selber auf, was gibt es denn da Gerechteres?

    Barenberg: Da zählt der Mindestlohn dazu und solche Dinge.

    Habeck: Ja gut, das ist auch kein Alleinstellungsmerkmal. Das hat die Linkspartei und das haben die Grünen auch. Und die Linkspartei hat immer noch einen Euro mehr für den Mindestlohn. Aber ich würde denken, tatsächlich haben die Grünen eine Chance, das Gerechtigkeitsthema zu kombinieren mit der Finanzpolitik, also mit Europa dann letztlich auch, aber auch mit der Frage der Schuldenbremse, Einhaltung oder Abbau der wirklich exorbitanten Neuverschuldung, die wir in Deutschland und auch in den Ländern haben. Also, wie kann man Gerechtigkeit so organisieren, dass man sie vorsorgend trifft, dass man Bildung mit einbezieht und dass man trotzdem die Haushalte nicht ruiniert. Und da, jedenfalls in Schleswig-Holstein und auf der Länderebene, da heben sich die Grünen durchaus ab von der SPD. Ich würde sagen, sie sind aktueller. Und wenn man das scharf stellt, dann reicht das wahrscheinlich nicht, um die SPD zu überholen, aber es reicht wahrscheinlich, um eine eigene Kompetenz aufzubauen, die klüger argumentiert als man es vielleicht dann in den Fernsehtalkshows immer nur in den Schlagworten hat, wenn sich alle die Torten ins Gesicht schmeißen.

    Barenberg: Robert Habeck, danke für das Gespräch.

    Habeck: Gerne.

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