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Gift in Ghana
Überlebensstrategie Elektroschrott

Auf der gigantischen Müllhalde in Agbobloshie landet Elektroabfall aus der ganzen Welt, auch aus Deutschland. Die Menschen, die hier den Schrott sortieren, werden krank, weil das Material so giftig ist. Oft bleibt den Arbeitern aber nichts anderes übrig, als im Müll nach Verwertbarem zu suchen. Das aber ist nur ein Teil der Geschichte rund um die illegale Deponie.

Von Jens Borchers | 21.05.2016
    Elektroschrott-Sammler auf einer Müllhalde im Stadtteil Agbogbloshie in der ghanaischen Hauptstadt Accra.
    Elektroschrott-Sammler auf einer Müllhalde im Stadtteil Agbogbloshie in der ghanaischen Hauptstadt Accra. (picture alliance / dpa / Jane Hahn)
    Agbogbloshie, ein Stadtteil von Ghanas Hauptstadt Accra: Hier liegt die größte Müllhalde für Elektroschrott in Westafrika. Das riesige Gelände am Rand der ölig-verdreckten, stinkenden Lagune ist gebrandmarkt als "Toxic City", als einer der giftigsten Orte der Welt. Überall brennen Teile alter Elektrogeräte und anderer Abfälle: Kabel, Kühltruhen, Drucker, Computer, Autoreifen. Grellgrüne Flammen steigen auf und dicker, schwarzer Qualm. Schwefel beißt in den Augen derjenigen, die hier arbeiten, das Atmen fällt ihnen schwer.
    Überall sind Kinder und Jugendliche damit beschäftigt, den Schrott auszuschlachten. Sie schmelzen Kabel und Platinen, wollen ran an das Metall, dass darin verarbeitet ist: Kupfer, Aluminium, Zinn.
    Peter, zwölf Jahre alt, wirft eine Kühlschrankisolierung in die Flammen, mit einem Stein zertrümmert er alte Bildschirme. Manchmal zieht er auch einen Magneten hinter sich her – daran bleiben immer ein paar Metallteile haften. Die kann er bei den Händlern verkaufen, sagt Peter. Seine Stimme verrät, wie krank ihn seine Arbeit macht.
    Für den Umwelt-Aktivisten ist Agbogbloshie ein Ort des Horrors
    Was immer er verdient, gibt er seiner Mutter, sagt Peter – um seine Schulbücher und den Lehrer zu bezahlen. An guten Tagen bekommt er zwei Cedi für den Metallschrott, nicht einmal einen Euro. Peter zeigt seine Arme und Beine, von Glas und scharfen Metallkanten zerschnitten, die Wunden entzündet. Er klagt über Kopfschmerzen.
    Wie giftig und krebserregend die Dämpfe tatsächlich sind, die er jeden Tag einatmet, weiß er nicht. Seit einem guten Jahrzehnt gibt es die Müllhalde Agbogbloshie, um das Gelände herum hat sich eine ganze Stadt von Läden entwickelt, in denen alte Elektrogeräte gehandelt werden.
    Für den Umwelt-Aktivisten Mike Anane ist Agbogbloshie ein Ort des Horrors, eine offene Wunde in Ghanas Hauptstadt Accra. Und er macht den Westen, die Industrienationen, zu einem wesentlichen Teil dafür verantwortlich, dass Agbogbloshie existiert. Sein Vorwurf lautet: Die Industrieländer kippen hier ab, was sie selbst zuhause nicht haben wollen:
    "Natürlich wissen sie, dass der Elektroschrott illegal hierher gebracht wird. Und sie sollten dagegen etwas unternehmen. Denn es ist ja nicht nur illegal und kriminell. Es ist auch unmoralisch, derart giftigen Abfall in ein anderes Land zu schicken. Umso mehr, weil ein Land wie Ghana weder die Einrichtungen noch die Kenntnisse hat, um Elektroschrott aus Industrieländern zu verarbeiten. Wenn Europa den Elektroschrott nicht haben will, dann sollte Ghana ihn auch nicht haben."
    Das Baseler Übereinkommen, das auch Deutschland unterschrieben hat, verbietet den Export von technischem Schrott aus Europa. Doch Recycling nach EU-Standards ist teuer, das Geschäft mit Second-Hand-Ware aus der sogenannten Ersten Welt in Afrika dagegen lukrativ. Ob die Geräte, die nach Afrika verschifft werden, auch tatsächlich funktionieren, spielt für rücksichtslose Händler keine Rolle: In den Häfen in Europa würden die Geräte eben kaum getestet und kontrolliert, sagt Mike Anane, außerdem hielten am Hafen von Accra korrupte Zollbeamte gerne die Hand auf, um den Schrott durchzuwinken.
    Wer für diese wilde Müll-Deponie letztlich verantwortlich ist, lässt sich nicht endgültig klären. Das Umweltministerium von Ghana? Die Verwaltung der Hauptstadt Accra?
    Victor Kotey erklärt sich bereit, Fragen zu beantworten. Kotey leitet die Abteilung für Abfallentsorgung im Großraum Accra. Aber seine Abteilung hat keineswegs die Kontrolle über die Deponie Agbogbloshie. Wer hier Elektroschrott und anderes ablädt, zahlt. An Männer, die sich die Deponie untereinander aufgeteilt haben:
    "Ja, die Leute zahlen an diejenigen, die die Müllhalde bearbeiten. Aber es gibt keinen kontrollierten Zugang. Es ist mehr oder weniger eine wilde Deponie."

    Es gibt kein Register dessen, was hier abgeladen wird. Es gibt auch keine Vorsorge gegen Umweltschäden. Schwermetalle, giftige Dämpfe, chemisch belastete Flüssigkeiten – all das hat niemand im Griff. Bennet Akuffo von der ghanaischen Umweltorganisation Green Advocacy Ghana hat mit einem Experten-Team Blei- und Kadmium-Werte im Blut von Menschen gemessen, die auf der Müllhalde von Agbogbloshie arbeiten:

    "Wir haben 80 Leute untersucht. Die Werte waren hoch. Ziemlich hoch. Wer keine Medikamente bekommt, wer nicht vernünftiges Essen hat, wer nicht aus diesem Umfeld wegkommt – der wird nach einer Zeit krank. Und wenn dann keine Medikamente zur Verfügung stehen, dann stirbt er. Definitiv."
    Hinter der Deponie ist ein ganzer Stadtteil entstanden
    Victor Kotey von der Verwaltung der Stadt Accra weiß das alles. Die Deponie von Agbogbloshie soll deshalb dicht gemacht werden. Das wurde schon mehrfach angekündigt. Aber es passiert nicht.
    Die Deponie ist für viele ein Arbeitsplatz. Gefährlich, gesundheitsschädlich – aber es ist ein Arbeitsplatz, sie verdienen hier mühsam Geld. 6.000 bis 10.000 Menschen arbeiten in diesem Geschäft mit Müll und Elektroschrott, sagen Schätzungen. Victor Kotey sieht das so:
    "Auch wenn das alles ohne Genehmigung läuft – diese Leute erbringen auch viele wichtige Dienstleistungen. In den Stadtteilen, in denen wir keinen Müll sammeln können – da gehen sie hin und sammeln. Sie füllen also gewissermaßen eine Lücke. Wenn wir die Deponie Agbogbloshie schließen, dann müssen wir für diese Leute eine Alternative finden."

    Hinter der Deponie ist ein ganzer Stadtteil entstanden, ein Slum. Kleine Geschäfte, fliegende Händler, Imbissbuden – sie alle leben indirekt von der Deponie. Und sie haben wütend protestiert, als ein Teil des Slums abgerissen wurde. Sie wissen nicht wohin, es gibt kein Angebot für ihre Umsiedlung. Sie würden auch protestieren, wenn die Deponie Agbogbloshie wirklich einfach dicht gemacht werden sollte.
    Rund um Agbogbloshie ist ein Netz von Geschäften gewachsen, in denen pfiffige Techniker den Elektroschrott ausschlachten. Und daraus neue Produkte bauen.
    DK Osseo-Asare kennt sich hier aus. Osseo-Assare hat eine kleine Organisation gegründet, die helfen will, das selbst erlernte technische Wissen der Schrott-Verwerter und deren Produkte besser zu vermarkten. Osseo-Assare zeigt, wie solche Produkte aussehen können:
    Ein gelber Wasser-Kanister steht da. Drinnen steckt ein einfacher PC-Rechner, zusammengebaut aus alten Teilen von der Elektroschrott-Deponie Agbogbloshie. Der Wasser-Kanister dient als Gehäuse für den PC. Er funktioniert, kann leicht überall hin transportiert werden. Und er ist preiswert. Viele, die sich in Ghana keine westlichen Elektronik-Produkte leisten können, sind froh über dieses Angebot, das rund um Agbogbloshie entstanden ist.
    Unter dem Strich bleibt: Die wilde Elektroschrott-Deponie Agbogbloshie soll geschlossen werden. Aber niemand weiß, wie das gehen soll. Völlig unklar ist auch, wie die entstandenen Umwelt-Schäden beseitigt werden könnten. Wer trägt die riesigen Kosten dafür? Das Schicksal der Menschen, die von und um diesen Müllberg herum leben, ist ebenfalls ungeklärt. Die Verantwortlichen in Ghana wissen, dass dort erheblicher sozialer Sprengstoff entstanden ist. Wie der entschärft werden kann, wenn Agbogbloshie geschlossen würde, weiß niemand so recht.