Lange: Dass der Boom im Osten ausbleibt, liegt nicht mehr an der fehlenden oder schlechten Infrastruktur, sagt die Kommission in ihrer Mehrheit, sondern an der zu schwachen Unternehmensförderung. Sehen Sie das im Prinzip genauso?
Gillo: Ich denke, dass die Unternehmensförderung wirklich einer der wichtigsten Punkte ist. Dort wollen wir mit Konsequenz weitermachen. Der Freistaat Sachsen hat ja sehr viel getan. Unsere Leuchtturmpolitik, unsere Mittelstandspolitik ist zum Vorbild für Modelle der Wirtschaftsentwicklung im Osten geworden, und wir sind sehr stolz darauf. Was wir brauchen ist: weiterhin Berechenbarkeit der Gelder. Also nicht das Hin und Her, das rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln bezüglich zum Beispiel der GA, der Gemeinschaftsaufgabe Fördermittel, die uns im Osten zur Verfügung gestellt werden. Wir müssen auch weiter sehen, dass wir als ganzes Gebiet, also der ganze Osten weiterhin nach 2006 Ziel Eins Fördergebiet bleiben. Das heißt also, dass wir die Höchstförderung erhalten innerhalb der europäischen Förderprogramme, weil wir ja auch an diese neuen Mitgliedsländer anschließen, die diese Förderung erhalten und die dazu noch Lohnkostenvorteile haben. Ich denke wir müssen einfach klar sagen, wo die Reise hingeht. Wir müssen zum Beispiel beim Solidarpakt II festlegen, das sind Gelder, die für Firmenförderung zur Verfügung gestellt werden.
Lange: Aber für ein langsames Umsteuern sind Sie dann trotzdem, dass die Akzente vielleicht anders gesetzt werden?
Gillo: Ja wissen Sie, zum Beispiel innerhalb der Förderprogramme haben wir festgestellt, dass einige Förderprogramme weniger gut funktionieren als andere, und haben dann auch mit Abstimmung in Brüssel dann eine Umschichtung vorgenommen, dass wir die Gelder in die Programme hineinbefördern, wo am meisten Arbeitsplätze im ersten Arbeitsmarkt entstehen, wo am meisten Wirtschaftswachstum entsteht, wo wir neue Ansiedlung von Unternehmen ermutigen können.
Lange: Sie bringen das jetzt so sehr dynamisch herüber und machen auch in Optimismus, wenn ich das so sagen darf. Trotzdem, wenn man die Diskussion der letzten fünf bis zehn Jahre verfolgt und auch den Streit in dieser Arbeitsgruppe, ist da nicht doch der Eindruck vorherrschend, dass die politische und wirtschaftliche Elite am Ende eher ratlos ist, dass es im Grunde nicht die griffige und die durchsetzbare Strategie gibt?
Gillo: Ich denke die gibt es schon, aber meiner Meinung nach ist sie versteckt. Wir haben zum Beispiel in der gewerblichen Wirtschaft Wachstumsraten pro Jahr von 5 bis 7 Prozent. Das sind Tigerstaaten-Wachstumsraten, aber die werden seit 1997 überdeckt durch einen Rückgang in der Bauwirtschaft. Wie wir alle wissen, ist die Bauwirtschaft enorm angeheizt worden durch Abschreibungsmodelle in den ersten Jahren. Wir sind immer noch in einem Abschwellen des Baumarktes, dieses Sektors und das verdeckt leider die echten Wachstumsraten, die wir in der gewerblichen Wirtschaft haben. Von daher denke ich, sollten wir das Ding nicht zu negativ sehen. Wir sollten aber auch noch folgendes bedenken: Die Ostpolitik braucht Wachstum für Gesamtdeutschland. Man kann also nicht nur etwas tun für Ostdeutschland; wir müssen auch darüber nachdenken, wie viel Wachstum braucht Deutschland als Gesamtwirtschaft. Wenn ich mich zum Beispiel umschaue, die Weltwirtschaft soll dieses Jahr um 4,5 Prozent wachsen. Großbritannien, England, auf die wir früher zurückgeschaut haben, werden dieses Jahr als Gesamtwirtschaft um 4 Prozent wachsen. Wir sollten uns fragen, was müssen wir tun, damit die Bundesrepublik als ganze Nation um etwa 4 Prozent wächst. Dann können wir sagen, was kommt da zusätzlich noch drauf, um in Ostdeutschland noch mehr Wachstum ausüben zu lassen.
Lange: Wo Sie gerade England erwähnen. Dort kommt nun eine neue Studie zu dem Schluss, dass das Nord-Süd-Gefälle dort im vergangenen Jahrzehnt ganz drastisch gewachsen ist. Die wollen irgendwie damit leben. Müssen wir auch damit leben?
Gillo: Ich denke wir dürfen mit diesem Auftrag leben. Wir müssen mit dem Auftrag leben und wir müssen aber auch akzeptieren, dass nicht jede Stadt und jede Kommune auf der gleichen Ebene steht. Ich denke einige regionale Unterschiede wird es geben. Es wird, sagen wir mal, mehr Wachstum und Wohlstand geben in Schwerpunktregionen, die dann ausstrahlende Wirkung für mehr Arbeitsplätze, für mehr Einstellungen auch in die anderen Bereiche haben. Wir können aber nicht davon ausgehen, dass jede Kleinstadt auf gleichem Niveau ist wie andere Städte.
Lange: Nun ist allenthalben zu hören, die fehlende Binnennachfrage ist es, die die Konjunktur lahmen lässt. Demnächst wird Hartz IV realisiert mit der Folge, dass Hunderttausende Arbeitslose in Ostdeutschland noch weniger Geld haben und somit noch weniger Kaufkraft entsteht. Ist diese Reform dann nicht konjunkturpolitisch kontraproduktiv?
Gillo: Darüber kann man sehr wohl sprechen. Sie ist vor allen Dingen ungleich von den Be- und Entlastungen. Die neuen Länder werden mehr belastet als die alten Länder. Am meisten profitieren davon die Stadtstaaten, also Bremen, Hamburg, Berlin. Ich denke, zum Beispiel wir in den neuen Ländern haben nachgeschaut in Sachsen. Wir haben Belastungen, wenn die Vorschläge des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit umgesetzt werden, von etwa 180 Millionen, die auf uns als Ganzes zukommen. Von daher fehlen uns Gelder, aber ich denke das wichtige ist auch, hier daran zu erinnern: Was bei Hartz IV fehlt sind Anreizprogramme, also wenn Sie so wollen die zweite Hälfte der Programme. Wir haben ja zum Beispiel immer gefordert, dass es für arbeitslose Sozialhilfeempfänger Anreize für die Arbeitsaufnahme gibt, dass sie Minijobs aufnehmen, dass sie mehr von dem, was sie dort hinzuverdienen würden, selber behalten dürfen. Der Ministerpräsident hat vorgeschlagen, dass wir in bestimmten Niedriglohnsektoren Kombilöhne einführen, um damit mehr Arbeitsplätze zu schaffen und damit mehr Menschen in die Arbeit zu bringen. Das andere, was fehlt, ist: Wir zweifeln sehr daran, dass die administrativen Software-Programme, die die Bundesagentur für Arbeit braucht, zum 1. Januar tatsächlich stehen werden.
Lange: Danke Ihnen , Herr Gillo.