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Gipfel in Genua

Simon: In Genua rechnet die Polizei heute mit 100.000 Demonstranten, und niemand kann einschätzen, wie sich die Situation entwickeln wird, nachdem gestern ein 23-jähriger italienischer Demonstrant von der Polizei erschossen wurde. Der Gipfel der Staats- und Regierungschefs aus den sieben wichtigsten Industrienationen und von Russland geht jedoch weiter wie bisher, hoch abgeschirmt von der Polizei. Ich bin nun am Telefon verbunden mit Uschi Eid. Sie ist Staatssekretärin im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und in Genua vor Ort. Guten Morgen Frau Eid.

    Eid: Ja, guten Morgen.

    Simon: Wie wird denn die inhaltliche Arbeit - diese Frage muss man an so einem Tag stellen - wie wird die inhaltliche Arbeit beeinträchtigt durch den Tod eines Demonstranten bei einer der vielen Demonstrationen?

    Eid: Nun, erstmal ist es ganz furchtbar, dass ein Mensch gestorben ist. Es gibt überhaupt keine Begründung dafür und keine Rechtfertigung, und wir bedauern das alle sehr. Das andere ist natürlich, dass Gruppen oder Menschen überhaupt Sorge und Ängste haben vor dem Prozess der Globalisierung, weil der Begriff ja sehr global auch immer wieder benutzt wird, und die Leute können sich kaum drunter vorstellen, was darunter zu verstehen ist. In Genua werden genau die Dinge diskutiert, die eigentlich von den Demonstranten auch eingefordert worden sind, nämlich die Frage, wie sich Globalisierung auf Entwicklungsländer auswirken könnte. Und das ist ja auch gestern sehr intensiv diskutiert worden, denn es gab ja immerhin eine ganze Menge - und das zum ersten mal - afrikanische Politiker, die anwesend waren.

    Simon: Sie sprechen den Plan der Afrikaner an. Da hat ja der südafrikanische Präsident zusammen mit seinem algerischen Kollegen und dem Nigerianer Olusegun Obasanjo die neue Afrika-Initiative vorgestellt, und die sieben Führer der wichtigsten Industrienationen haben zumindest mal zugehört. Diese Einladung der Afrikaner nach Genua: Ist das ein symbolischer Akt oder mehr?

    Eid: Das ist viel mehr. Frau Simon, Sie müssen eines sehen: Die Bundesregierung hat, seitdem dieser Millenniumsaktionsplan von den drei Staatsoberhäuptern schon in Davos vorgestellt worden war, diesen Plan diskutiert. Das heißt, der Bundeskanzler und der Bundesaußenminister gehen nach Genua - auf dem Hintergrund der Tatsache, dass wir das in Berlin schon sehr intensiv diskutiert haben. Insofern ist das kein symbolischer Akt. Wir haben bereits gesagt, dass wir diesen Millenniumsaktionsplan unterstützen, denn er enthält wirklich sehr gute Elemente, und was wichtig ist: Er ist von Afrikanern selber erarbeitet. Es ist nicht ein Plan, der irgendwo in Washington, Berlin, London oder Paris ausgearbeitet worden ist.

    Simon: Sie sprechen diesen Plan an. Es hat in der Vergangenheit schon Vorstöße gegeben, wenn auch nicht so zentrales Afrika selber. Doch die Industrienationen hat das nicht zu großen finanziellen Anstrengungen getrieben. Und dieser Plan würde ja eine massive Anstrengung in Milliardenhöhe über viele Jahre erfordern. Glauben Sie, dass sich das nun ändert?

    Eid: Schauen Sie, das Interessante an dem Plan ist ja, dass hier andere Prioritäten gesetzt werden, dass nicht zunächst einmal die externe Hilfe eingefordert wird, sondern dass Afrika hier sich selber der eigenen Verantwortung stellt. Und das unterscheidet diesen Plan von allen vorhergehenden Papieren aus Afrika . . .

    Simon: . . . aber viel Geld würde auch dafür gebraucht . . .

    Eid: . . . sicher, das ist klar. Aber - was die Afrikaner fordern, ist, dass sie einen verbesserten Marktzugang in die OECD-Länder haben. Allein, wenn die Zölle von Japan, USA und Europa für Subsahara wegfallen würden, würde dies die Einnahmen um 2,5 Milliarden US-Dollar erhöhen. Wir müssen die weltweiten Agrarsubventionen schrittweise abbauen. Zur Zeit zahlen wir 360 Milliarden US-Dollar Agrar-Subventionen. Das ist höher, als das komplette afrikanische Bruttosozialprodukt. Das ist die eine Seite. Sie haben recht - natürlich müssen wir mit unserer Entwicklungs-Kooperation auch Finanzen zur Verfügung stellen, denn die Herausforderungen zum Beispiel, dass Afrika in den Weltmarkt integriert wird, was die Afrikaner wollen. Die wollen in den Globalisierungsprozess integriert werden. Dieses kostet Geld.

    Simon: Glauben Sie, dass diese - sag' ich noch mal, 'langsame Offenheit' für Afrikas Probleme, und ich bleibe dabei, es ist letztendlich ja doch mit viel Geld verbunden, was man bis jetzt nicht bereit war, auszugeben -, glauben Sie, dass das auch eine Antwort auf die allgemeine Kritik an der Globalisierung ist?

    Eid: Ja, ich glaube, dass viele meinen, dass Afrika durch die Globalisierung abgehängt worden ist. Aber wenn man genau die Untersuchungen liest: Auch Kofi Annan, der UN-Generalsekretär, ist zu der Auffassung gekommen - und das ist nachzulesen in seinem Millenniumsbericht -, dass ansich die Länder am ärmsten sind, die bisher nicht die Chance gehabt haben, sich in den Weltmarkt zu integrieren, das heißt zum Beispiel, ihre Produkte in Europa auch zu verkaufen. Insofern - glaube ich - ist die Sichtweise, dass Globalisierung nur Risiken bewirken wird oder beinhaltet, eine einseitige Betrachtung. Ich meine, wir müssen auch die Chancen sehen und Afrika zum Beispiel integrieren, indem wir bessere Technologie transferieren, indem wir Informations- und Kommunikationstechnologie in Afrika auch etablieren. Die letzten G 7- und G 8-Gipfel haben sich ja auch genau mit diesem Thema beschäftigt. Dies kostet Geld, und die Bundesregierung ist auch bereit - gerade in der Entwicklungskooperation -, Afrika an allererster Stelle zu bedenken.

    Simon: Sehen Sie ähnliche Tendenzen auch bei anderen führenden Industrienationen?

    Eid: Also, Armutsbekämpfung ist ja nun das oberste Ziel aller EU-entwicklungs-politischen Anstrengungen. Und es gibt viele Länder, die haben Armutsbekämpfung zum obersten Ziel erklärt - die Briten. Natürlich sind andere Länder näher dran an dem 0,7 Prozent-Ziel, das heißt, andere Länder geben, gemessen am Bruttosozialprodukt, etwas mehr aus für Entwicklungskooperation als die Bundesregierung. Aber Sie wissen, wir sind auch in einer Haushaltskonsolidierungsphase. Ich weiß, das entschuldigt nicht, aber es erklärt zumindest, warum wir im Moment nicht erheblich beim Entwicklungsetat zulegen konnten.

    Simon: Aber Sie gehen davon aus: Wenn dieser G 8 - Gipfel in Genua vorbei ist, alle Staatschefs wieder zu Hause sind - es wird dann trotzdem diesmal was passieren?

    Eid: Ja, davon gehe ich aus. Auch der Bundeskanzler hat ja jetzt zu dem G 8 - Gipfel zum Beispiel zusätzlich 300 Millionen Mark für den Gesundheits- und Aidsfonds zur Verfügung gestellt, und das ist - glaube ich - ein sehr gutes Signa.

    Simon: Ich danke Ihnen ganz herzlich. Das war Uschi Eid, die Staatssekretärin im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit - aus Genua.

    Eid: Bitteschön.