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Giro d'Italia
Buchmann will attackieren

Der 104. Giro d’Italia hat in Turin begonnen. Aus deutscher Sicht ist er ein besonderer. Denn erstmals seit langer Zeit tritt dort mit Emanuel Buchmann ein deutscher Radprofi mit der Absicht an, in der Gesamtwertung mächtig mitzumischen.

Von Tom Mustroph |
Emanuel Buchmann im aerodynamischen Outfit auf einem Zeitfahrrad.
Emanuel Buchmann beim Auftakt-Zeitfahren des Giro d'Italia (www.imago-images.de)
Emanuel Buchmann strahlt Zuversicht und Selbstbewusstsein aus: "Ich will natürlich gut fahren und ich weiß, dass ich es drauf habe, ums Podium mitzufahren. Man will sich natürlich nicht unter Wert verkaufen."
Das sagte der Kapitän von Bora hansgrohe vor dem Start ins große Giro-Abenteuer. Vor zwei Jahren war er Vierter bei der Tour de France. Im letzten Jahr bremsten ihn in Frankreich aber Sturzverletzungen aus. 2021 versucht Buchmann es zum ersten Mal bei der Italien-Rundfahrt. Der knapp dreieinhalb Tausend Kilometer lange Kurs mit mehr als 47 000 Höhenmetern kommt dem Kletterer besser entgegen als die mit Zeitfahrkilometern gespickte Strecke der diesjährigen Tour de France.
Der deutsche Radrennfahrer Emanuel Buchmann vom Team Bora - hansgrohe, aufgenommen am 29.06.2017 am Rande einer Pressekonferenz in Düsseldorf (Nordrhein-Westfalen).
Der deutsche Radrennfahrer Emanuel Buchmann (Daniel Karmann/dpa/picture alliance)
Wie er halten es auch frühere Toursieger wie Vincenzo Nibali und Egan Bernal. Vor allem der Kolumbianer Bernal dürfte einer der härtesten Konkurrenten sein. Mitfavoriten sind zudem der Brite Simon Yates sowie das belgische Supertalent Remco Evenepoel. Der kam nach seinem dramatischen Sturz von einer Brücke und dabei erlittenem Beckenbruch allerdings ohne einen einzigen Renntag in diesem Jahr am Startort Turin an.
Auch bei Buchmann gibt es Fragezeichen. In den Rundfahrten zuvor in diesem Frühjahr konnte er nicht wie erhofft auftrumpfen: "Ja, die Saison ist bislang nicht optimal gelaufen. Ich denke, die Leistungswerte waren super. Wir haben aber immer Fehler gemacht, wodurch die Resultate nicht so gut waren. Bei der Baskenlandrundfahrt war ich in der Abfahrt einfach zu weit hinten. Bei der UAE Tour habe ich die Windkante verpasst. Solche Sachen dürfen mir beim Giro natürlich nicht passieren."

Sagan als Helfer und Ratgeber

Zum Vermeiden solcher Fehler hat Buchmann prominente Unterstützung. Ex-Weltmeister Peter Sagan will zwar Sprintetappensiege holen. Der Slowake stellt sich aber auch ganz in den Dienst für Buchmann, verspricht er: "Während meiner Karriere hatte ich stets große Kapitäne an meiner Seite wie Ivan Basso, Vincenzo Nibali, Alberto Contador. Mir ist es immer geglückt, sie in schwierigen und entscheidenden Momenten zu unterstützen."
Alle diese Kapitäne haben den Giro gewonnen, Nibali und Contador zudem noch Tour und Vuelta. Sagan weiß also, wie das mit den Rundfahrtsiegen klappen könnte. Er nennt die wichtigsten Gefahrenstellen jenseits der großen Berge:
"Bei einer Etappe mit Schotterstrecken wie bei den Strade Bianche müssen wir als Mannschaft sehr kompakt sein. Auch bei Etappen mit Wind müssen wir bereit sein, unseren Leader zu schützen."
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Die Schotterstraßenabschnitte hat Buchmann während des Frühjahrsklassikers Strade Bianche schon einmal im Wettkampf abgefahren und fühlt sich mental, technisch und körperlich gut darauf eingestellt. Im Höhentrainingslager in der spanischen Sierra Nevada holte er sich den letzten Schliff, nahm auch noch die letzten Gramm ab, was ihm das Klettern leichter machen soll:
"Ich denke, beim Giro ist die dritte Woche immer extrem entscheidend, da gibt es Riesenabstände. Da sollte man die ersten zwei Wochen eher Kraft sparen und mal schauen, wie es überhaupt läuft und wie man vielleicht zur Konkurrenz steht. Und wenn sich eine Möglichkeit ergibt, wieso soll man dann nicht attackieren?"

"Kleine Abstände am Ende"

Ehrgeizig wie er ist, will der Ravensburger auch nach den rosa Sternen greifen. Sein Team Bora hansgrohe hat offiziell lediglich einen Podestplatz als Ziel ausgegeben. Buchmann selbst lässt aber Hunger nach mehr erkennen:
"Wenn man ums Podium fahren kann, ist der Sieg meistens auch nicht weit weg. Das sind dann ja kleine Abstände am Ende, kleine Sachen, die den Unterschied machen. Und wenn das Podium das Ziel ist, dann ist der Sieg auch nicht super weit weg, würde ich mal behaupten."
Noch nie gelang einem deutschen Radprofi der Giro-Sieg. Zwei fünfte Plätze lassen sich in der Historie finden. 1932 durch den Berliner Kurt Stöpel und durch Dietrich Thurau vor fast 40 Jahren. Zwei deutsche Radprofis konnten aber Wertungstrikots für sich entscheiden. Fabian Wegmann wurde 2004 Bergkönig beim Giro, Pascal Ackermann holte 2019 als erster Deutscher das Punktetrikot. Das begehrte Maglia Rosa könnte diesen Trikotsatz aus deutscher Perspektive also komplettieren. Für seinen Buchmanns Rennstall Bora hansgrohe wäre der nächste Entwicklungsschritt nach Jahren des Etablierens in der Weltspitze auch langsam angesagt.