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Glaube und Zweifel im Dreißigjährigen Krieg
"Euer Gott ist tot für uns"

Der Dreißigjährige Krieg wurde von vielen Zeitzeugen als "gerechte Strafe Gottes" beschrieben, vor allem von christlichen Geistlichen. Die religiösen Deutungen dieses Krieges nahmen allerdings mit der Zeit ab – und manche Menschen verloren ihren Glauben komplett.

Von Christian Röther | 24.09.2018
    Dreißigjähriger Krieg - Flugblatt
    Ein zeitgenössisches Flugblatt aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648) zeigt symbolisch "Die erschröckliche Wirkungen des Kriegs" (picture-alliance / dpa)
    "Es ist ein Schnitter, heißt der Tod" – ein Volkslied, entstanden wohl im Dreißigjährigen Krieg. Drei Jahrzehnte Gewalt. Hunger, Seuchen, Massensterben. Welche Auswirkungen hatte das auf die Religiosität der Überlebenden? Zumindest eine Ahnung davon kann man heute noch bekommen, aus Liedern, Gedichten, Flugschriften oder Tagebüchern. Viele dieser Selbstzeugnisse und Zeitzeugnisse sind erhalten geblieben – verfasst von Geistlichen und Amtsträgern genauso wie von einem Söldner oder einem Schuhmacher. Oft stehen darin Sätze wie diese:
    "Es ist gewiss seit der Zerstörung Jerusalems kein gräulicheres Werk und Strafe Gottes gesehen worden."
    "Denn wo Krieg ist, da ist Gottes Strafe und Zorn."
    Religiöse Deutungen des Krieges
    Die Menschen deuten das, was ihnen widerfährt, unter religiösen Vorzeichen. Feuer, Pest oder Missernten als gerechte Strafen Gottes für die Verfehlungen der Sünder. So notiert etwa der Abt des katholischen Klosters Andechs, Maurus Friesenegger:
    "Da die Menschen sich auf vielfältige Art wider Gott vergehen, sucht Gott dieselben auch auf vielfältige Art wieder zurecht zu weisen."
    Diesen Satz zitiert der Historiker Hans Medick in seinem Buch "Der Dreißigjährige Krieg. Zeugnisse vom Leben mit Gewalt". Dutzende solcher Zeugnisse wertet Medick aus. Und er lässt die Quellen selbst vom Krieg erzählen. Die religiösen Deutungen des Krieges seien vor allem von Geistlichen verbreitet worden, erklärt Hans Medick.
    "Hier sind auch Unterschiede zu machen zwischen Protestanten und Katholiken. Diese Angstwahrnehmungen von göttlicher Strafe sind stärker gewesen auf der protestantischen Seite. Und sie wurden vor allem von protestantischen Pfarrern in ihren Kanzelabkündigungen, in ihren Predigten, in ihren Bußpredigten stark gemacht."
    "Zwischen und neben der Kriegsrute schickte Gott die Pestilenz hinter uns her... davon die Leute schnell und haufenweise dahinfielen... auf dass das Wort nach Leviticus 26, Vers 25 erfüllt würde: 'Ich werde über euch das rächende Schwert des Bundes führen; wenn ihr in die Städte flieht, werde ich die Pest in eure Mitte senden, und ihr werdet den Händen der Feinde ausgeliefert.'"
    Hier zitiert der hessische Schulmeister und spätere lutherische Pfarrer Johann Daniel Minck aus der Bibel, um das Leid zu erklären – und viele Zeitgenossen tun es ihm gleich. Aber, sagt Hans Medick: Auch wenn es viele solcher Aussagen gibt, dürfe man die Religiosität der Bevölkerung nicht überbewerten.
    "Es ist nicht falsch, dass diese religiös motivierte Angst vor dem Krieg eine Rolle in den Leben der Menschen gespielt hat. Aber sie haben die reale Gewalt, die sie erlebt haben, doch auch in anderen Zusammenhängen wahrgenommen und gedeutet – sodass ich nicht sagen würde, sie standen samt und sonders im Bann dieser religiösen Vorstellungswelt."
    Gott konnte nicht helfen
    Hans Medick zitiert den evangelischen Landschuster Hans Heberle aus der Nähe von Ulm. Auch er hat in den 30 Kriegsjahren Tagebuch geführt – und auch er schreibt über das Leid Sätze wie diese:
    "Ach, Gott wollte eine traurige Karwoche, Gott möge uns einen fröhlichen Ostertag geben und nach diesem Ungewitter die Sonne wieder scheinen lassen."
    Trotzdem habe Heberle weltlich und praktisch gedacht und gehandelt, sagt Hans Medick.
    "Er sah als sein entscheidendes Problem an, wie er das Überleben im Krieg organisieren musste. Und dabei – war er sich bewusst – konnte ihm Gott nicht helfen, sondern allenfalls die Obrigkeiten in der Stadt und auf dem Land."
    Schuhmacher Heberle sei zwar ein religiöser Mensch geblieben, aber seine religiöse Sicht auf den Krieg habe mit der Zeit abgenommen.
    "Das von ihm befürchtete Weltende, es trat nicht ein. Er verarbeitete das und es lässt sich feststellen, dass die religiöse Lesart der Ereignisse schwächer wird im Lauf des Krieges."
    Diese Entwicklung stellt Hans Medick auch bei Zeitgenossen des Schuhmachers fest. Könnte man also sagen: Die Religiosität der Bevölkerung nimm allgemein im Kriegsverlauf ab? Manche Menschen verlieren ihren Glauben vielleicht sogar komplett?
    "Da ist etwas Richtiges dran an dieser These. Und ich habe auch ein Zeugnis – ein erschütterndes kurzes Zeugnis. Es ist ein Eintrag in eine Bibel, in eine Familienbibel."
    "Die Alten sind mit der Gottlosigkeit alt worden. ... Wir Leut leben wie die Tier, essen Rinden und Gras. Viele Leut sagen, es sei jetzt gewiss, dass kein Gott ist."
    Menschen, die aus dem Glauben neue Hoffnung schöpfen
    Auch der Politikwissenschaftler Herfried Münkler hat in einem Interview im Deutschlandfunk drauf hingewiesen, dass die Frömmigkeit der Bevölkerung im Dreißigjährigen Krieg gelitten habe. Es seien "tiefe Glaubenszweifel" entstanden.
    "Also die Frage: Was ist das für ein Gott, der das zulässt? Oder: Wenn Gott das zulässt, dann will ich nicht, dass dieser Gott Gott ist, sondern ich wende mich davon ab."
    "Sprecht nicht von Gott, Herr Pfarrer, denn ihr versteht nichts von solchen Sachen! Euer Gott, von dem ihr immer geredet habt, der ist tot für uns, wir müssen sehen, wo wir einen neuen herkriegen, einen, der solchen Dingen wehrt und mit Pech und Schwefel dazwischenfährt!"
    In Tagebüchern und anderen Dokumenten findet sich aber auch die gegenteilige Tendenz: Menschen, die aus dem Glauben neue Hoffnung schöpfen – oder das zumindest versuchen.
    "Geh aus mein Herz und suche Freud, in dieser schönen Sommerzeit, an Deinen Gottes Gaben."
    Herfried Münkler verweist auf dieses bis heute bekannte Lied. Paul Gerhardt veröffentlichte es im Jahr 1653, also kurz nach Kriegsende.
    "In dem er beschreibt, wie die Zyklen der Natur laufen und eigentlich gar nicht Endzeit ist, sondern alles wieder neu da ist und er daraus Gottvertrauen schöpft. Es ist eine Art der Trauma-Bearbeitung, -Bewältigung: Nach einem so furchtbaren Krieg einfach zu schauen, wie das Leben weitergeht."
    Neubestimmung der Religiosität
    Dieser Wille zeigt sich auch in dem bereits erwähnten handschriftlichen Eintrag in eine Bibel, der so weitergeht:
    "Wir aber glauben, dass Gott uns nicht verlassen hat. Wir müssen jetzt alle beisammen stehen und Hand anlegen…"
    Die Menschen wollen ihr verwüstetes und entvölkertes Land wieder aufbauen. Am Ende von 30 Kriegsjahren zeigen die Zeitzeugnisse also Glaubenszweifel und Glaubensverlust ebenso wie religiös begründete Hoffnung, betont der Historiker Hans Medick.
    "Es lässt sich nicht sagen, dass die Kriegserfahrung die eine oder andere Wirkung hatte."
    Zumindest aber zwang der Krieg offenbar viele Menschen dazu, ihre bisherige Religiosität in Frage zu stellen und neu zu bestimmen.
    Hans Medick: "Der Dreißigjährige Krieg – Zeugnisse vom Leben mit Gewalt"
    Wallstein Verlag, Göttingen, 448 Seiten. 29,90 Euro