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Gleichberechtigung in Russland (3/5)
Verbotene Berufe für Frauen

Mehr als 450 Berufe dürfen Frauen in Russland nicht ausüben. Offizielle Begründung: Die Fortpflanzungsfähigkeit der Frau müsse geschützt werden. Aber die Regeln aus Sowjetzeiten sind umstritten – und könnten demnächst gelockert werden.

Von Thielko Grieß | 31.10.2018
    Jewgenija arbeitet seit zwei Jahren als Fernfahrerin
    Jewgenija arbeitet seit zwei Jahren als Fernfahrerin (dpa / Sputnik / Alexey Kudenko)
    Jewgenija Markowa ist wieder unterwegs. Ein Video zeigt, wie sie in einen Lkw steigt, ihn sogar recht liebevoll anspricht. Ein Treffen mit Jewgenija in ihrem Heimatort, in Lytkarino bei Moskau, vor kurzem war Glückssache, denn ihr Beruf als Fernfahrerin führt sie oft über lange Zeit weg von Moskau.
    "Zwei Monate Arbeit, einen Monat frei, oder 40 Tage Arbeit und 20 Tage frei und so weiter. Grob gesagt, bist Du drei Wochen zu Hause, dann sechs Wochen unterwegs. Das muss nicht eine einzige lange Fahrt sein. Sehr oft sind es viele kürzere Fahrten, zum Beispiel von Moskau nach Nowosibirsk, von dort nach Sankt Petersburg, dann nach Tschita, Omsk, weiter nach Krasnodar, zurück nach Moskau. Danach wird man abgelöst."
    Seit Jewgenija vor zwei Jahren damit begonnen hat, als Fernfahrerin viele Tonnen Lebensmittel und viele andere Güter durch die russischen Weiten zu transportieren, verstößt sie im Prinzip gegen ein bis heute geltendes Verbot. Denn Frauen dürfen offiziell keine großen Lkws fahren.
    "Es dürfen entweder nur Lkw bis 2,5 Tonnen sein oder Fahrten, die nicht länger als einen Werktag dauern. Das heißt: Wenn man morgens startet, muss man abends zuhause sein. So arbeitet kein Fernfahrer."
    450 Tätigkeiten stehen auf der Verbotsliste
    Das Verbot für Frauen, große Lkw zu fahren, ist in Russland nur eines von vielen. Metallgießer, Holzfäller, Steinmetz und Lokführer sind andere verbotene Berufe, insgesamt enthält die amtliche Liste mehr als 450 Tätigkeiten. Die Begründung ist: Geschützt werden soll die Fortpflanzungsfähigkeit von Frauen.
    Diese Liste stammt noch aus der Sowjetunion. Das Land, das 1917 das allgemeine Frauenwahlrecht eingeführt hat, brachte 1974 eine Liste mit verbotenen Berufen auf den Weg, die bis heute kaum verändert worden ist. Aber, sagt Jewgenija mit fester Stimme, die Buchstaben des Gesetzes seien ja dehnbar.
    "In Russland werden wirklich alle Gesetze umgangen, von Steuergesetzen und den Unterhaltsregeln bis hin zu Strafen für Mord und Vergewaltigung. Wenn ein Arbeitgeber so einen Blödsinn wie dieses Verbot umgehen will, kann er es umgehen."
    So hat es auch ihr Arbeitgeber gehalten, eine renommierte Firma mit Sitz im Süden Russlands. "Irgendwie hat man uns angestellt."
    Bei dem Logistikunternehmen arbeiten drei Frauen als Fernfahrerinnen. Jewgenija kämpft schon seit Jahren für eine Abschaffung des Verbots, ist an die Öffentlichkeit gegangen. Ihr Ehemann unterstützt sie darin, ebenso das "Anti-Discrimination Centre Memorial", eine russische Organisation, die sich der Gleichberechtigung widmet.
    Fernfahrerinnen könnten bald legal arbeiten
    Diese NGO hat wegen politischen Drucks in Russland inzwischen in Brüssel ihren Sitz. Ihre Vorsitzende, Stephania Kulajewa, hat maßgeblich die Kampagne "All Jobs for All Women" gestaltet. Sie sagt: Nun bewegt sich etwas. Das russische Arbeitsministerium überlegt mittlerweile ernsthaft, die Anzahl der Berufsverbote für Frauen zu verringern. Auch Fernfahrerinnen könnten wohl bald ganz legal arbeiten. Aber andere Berufe bleiben Männern vorbehalten. Kulajewa, die aus Russland stammt, sagt über ihr Herkunftsland:
    "Die Vorstellung, dass eine Frau in erster Linie Mutter ist und zusätzlichen Schutz braucht, ist sehr stark verbreitet. Die Gründe hierfür sind eine patriarchalische Gesellschaft und ein traditionelles Bewusstsein, nachdem schwierige Arbeit für Männer gedacht ist, und Frauen – Gott sei Dank – solche Stellen nicht bekommen dürfen."
    Erzählt Stephania Kulajewa. Dabei seien Arbeitgeber häufig sogar froh, wenn sich Frauen bewürben. Sie seien verlässlicher, bei männlichen Mitarbeitern seien dagegen Alkoholprobleme häufiger.
    "Ich glaube, es ist richtig, die Gesundheit zu schützen, sowohl für Männer als auch für Frauen. Aber ich bin auch dafür, Arbeitsbedingungen zu verbessern: in Zechen, in Chemiefabriken, in Atomkraftwerken. Also dort, wo bei uns manche Berufe einfach verboten werden, muss man eher für mehr Sicherheit kämpfen."
    "Frauen sollten zu Hause sitzen, Kinder erziehen"
    Noch einmal nach Moskau, genauer: auf einen Lkw-Parkplatz auf dem Autobahnring um die Hauptstadt herum. Es ist kurz vor 22 Uhr und dunkel. Jurij, 38 Jahre, wird gleich in seinem Scania-Lkw mit der abblätternden Aufschrift eines deutschen Baumarktes Obst und Gemüse in die Stadt Rjasan fahren. Frauen in seinem Beruf? Hat er noch nicht gesehen, sagt er.
    "Das wäre schon okay. Sollen sie doch arbeiten! Wen sollten sie denn stören? Ich finde, das ist Diskriminierung."
    Das Gespräch setzt sich fort. Es geht um den Zustand der Straßen und was es kostet, einen abgefahrenen Seitenspiegel zu ersetzen. Und dann die Frage, ob er es auch befürworten würde, wenn eine Frau aus seinem nahen Umfeld Fernfahrerin werden wollte.
    "Eher nicht. Wozu? Frauen sollen zu Hause sitzen, Kinder erziehen. Fahren sollten Männer."
    Jurij schließt seine Fahrertür und fährt langsam zur Schranke des Parkplatzes vor. Aber wenn das Arbeitsministerium das Berufsverbot für Frauen aufhebt, dann gesellen sich zu den Fernfahrern in Russland bald auch manche Fernfahrerinnen.