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"Gleichzeitig unkonzentriert, aber auch bereit sich irgendwo zu fixieren."

Fünf junge und jüngere Lyrikerinnen und Lyriker haben sich die Frage nach der Gedichtpoetik gestellt. Trotz ihrer wenigen Jahre sind sie alle mit Preisen und Auszeichnungen versehen: Mit einer, Monika Rinck, hat Enno Stahl über das Gemeinschaftswerk gesprochen.

Von Ursula März |
    Dieses Projekt ist in jeder Hinsicht außergewöhnlich, dieses Projekt verfolgt ein hoch gestecktes Ziel und wirkt doch zugleich so bestechend einfach in der Umsetzung. Fünf Berliner Lyrikerinnen und Lyriker, Ann Cotten, Daniel Falb, Hendrick Jackson, Steffen Popp und Monika Rinck, haben sich zusammengetan, um sich auf hohem Niveau über poetologische und ästhetische Fragen auszutauschen. Erschienen ist das Werk ausgerechnet im Merve Verlag, jenem legendären Theorieverlag mit der Raute auf dem Cover, der einst quasi im Alleingang den französischen Poststrukturalismus in Deutschland durchsetzte. Schon der Name Merve bürgt für eine ernst zunehmende Auseinandersetzung mit dem Sujet und - dies vorweg - diese Vermutung trügt nicht. Wie kam es überhaupt zu dieser Idee?

    "Das war eine Initiative von Steffen Popp, der uns zusammengebracht hat und das als Projekt vorgestellt hat, das wollte er gerne machen, auch explizit als eine Form multipler Autorenschaft."

    Multiple Autorenschaft, fünf verschiedene Lyriker, die allesamt an einem Text arbeiten - das lässt sich schlechterdings kaum vorstellen. Doch die neuen Techniken waren hier ein wertvolles Instrumentarium, die Zugriff für jeden jederzeit ermöglichten, und zwar durch die Einrichtung eines Poetry Blogs:

    "Genau, und es ging eben darum, das Material zu sammeln, das Material auch vorzuhalten und allen Leuten jederzeit Zugang zu dem gesammelten Material zu verschaffen. Und da war's natürlich naheliegend, das außerhalb von persönlichen Rechnern auf einen Server zu legen. Und dort hatten wir auch als Topics die Kapitelüberschriften, die wir beim ersten Vortreffen festgelegt hatten, und haben eben dort das Material versammelt. "

    Trotz digitaler Hilfsmittel erscheint eine solche Gemeinschaftsarbeit dennoch hoch kompliziert, wie funktionierte die Zusammenarbeit?

    "Es hat zwei Jahre dann auch gedauert. Also die Einrichtung dieses Blogs und die ersten Treffen fanden bereits 2008 im Winter statt und dann kam es einfach immer wieder und wieder zu Treffen, die mal produktiv waren, mal weniger produktiv, und letztendlich haben wir dann das gesamte Material zugeordnet, den einzelnen Kapiteln und das rumgeschickt, und dann bekam jeder zwei bis drei Kapitel zum Endlektorat. Und das bedeutete eben, dass man über das gesamte Material ja verfügen konnte, man konnte es auch komplett umschreiben, da hatte jeder Einzelne für sich alle Freiheiten. Das Ganze wurde zwar dann noch einmal diskutiert, aber erfreulicherweise eher inhaltlich als persönlich, also im Sinne von: Du hast meinen ganzen Text über das und das einfach ausgelassen. Also, so was ist nicht passiert, also es ging dann eher darum zu schauen, dass das Ganze doch eine wie auch immer geartete Schlüssigkeit bekommt."

    Fünf Dichter, die völlig unterschiedlich sind in ihrer Arbeitsweise, mit eigenem Standing, eigenem Programm, verfassen einen 300-Seiten-Text zusammen - ohne Streit, das hört sich wie ein unglaublicher Glücksfall an.

    "Ja, möglicherweise ist es gerade unsere Unterschiedlichkeit, die da geholfen hat. Man streitet sich ja oft sehr intensiv, wenn es zu sogenannten Fällen von neuralgischer Nähe kommt, aber wenn man merkt, Ann macht ganz ihrs, Steffen macht seins, Hendrik macht das, Daniel macht dies, ich mache was Anderes. Da ging es dann eigentlich eher darum, den einzelnen Personen im Kontext ihrer Arbeit, ihrer Methodik und ihres Stils mit Kritik durchaus auch zu helfen und das wurde auch abgefragt: Bitte schaut euch das Mal an, ich bin so unsicher, vielleicht ist das völliger Blödsinn. Oder dergleichen. Deshalb hat das Buch eben auch eine sehr große methodische Vielfalt, also man spürt sehr deutlich, dass da fünf Leute am Werk waren."

    Dem kann man nur beipflichten. Eigentlich ahnt der Leser nicht unbedingt, auf welche Weise dieser poetologische Text entstanden ist, also dass hier eine Art der "Überschreibens", eines Lektorierens kollektiver Texte stattgefunden hat. Vielmehr wirken die einzelnen Kapitel so unterschiedlich, dass die Handschrift des jeweiligen Autorbearbeiters geradezu überdeutlich wird, die Spuren der Gemeinschaftstexte kaum mehr merkbar sind. Während Daniel Falb sehr "Merve-adaquät" reflektiert, operiert Steffen Popp bisweilen mit ziemlich schrägen Metonymien. Ann Cotten vollführt einen Spagat zwischen Leibniz und Trash, Monika Rinck bringt zaubrisch-suggestive Formeln mit DADA-Methodik in eins. Hendrik Jackson bezieht sich stark auf russische Literatur, aus der er andernorts Einiges übersetzte. Das Ergebnis ist also - als Zusammenarbeit "eines" multiplen Autors - doch relativ heterogen. Wie bewertet Monika Rinck selbst das Resultat?

    "Ich habe es mit großem Interesse gelesen. Also man liest es ja nicht wie einen eigenen Text, sondern eher wie eine Zeitschrift, in deren Redaktion man gewesen ist. Man freut sich über die Beiträge, man freut sich auch über die Eigenheiten davon. "

    Eigenheiten gibt es wahrlich jede Menge: Schnoddriges neben tiefer Kontemplation, Fachsprachliches neben Trivialem, komprimierte Einsichten neben ziemlichem Quatsch, das Ganze dazu stark fragmentiert. Wenn es hier um Poetik geht, und im Vorwort betonen die fünf Verfasser, dass das Buch zwar keine Produktionsästhetik, keine Regelpoetik darstellt, aber durchaus den Versuch einer Poetik, so fragt man sich, was für eine Poetik das denn dann sein soll?

    "Es ist eine todernste, auf der anderen Seite aberwitzige und auch verspielte Poetik, es ist ein enormer Detailreichtum, es ist eine sehr, sehr große, teilweise gegeneinander angehende Fülle, es vereinigt alle Genres, es sind Briefe, Gedichte dabei, es sind Zeichnungen dabei, wir haben dann sehr viel gezeichnet, dargestellt, was auch interessant war, als wir versuchten, unsere Thesen grafisch darzustellen und wir aquarellierten sogar."

    "Es ist vielleicht eine persönliche Poetik, wenn man Persönlichkeit eher als einen neutralen Begriff sieht, der für die Eigenheiten eines lyrischen Ichs steht."

    Manifestöses ist den fünf Verfassern dabei gar nicht eigen, in diesem Sinne handelt es sich um ein "post-avantgardistisches" Projekt. Hier soll nichts Gewesenes verdammt, niemand von neuen Positionen überzeugt werden. Hier reflektieren einfach fünf Gedichteschreiber auf ihr Handwerk, und sie tun das auf eine wohltuend unprätentiöse Art, zugleich aber mit hohen Ansprüchen gegen sich selbst. Eine konkrete lyrische Praxis kann man daraus also nicht ableiten, soll man auch gar nicht, aber was dann?

    "Also man kann teilnehmen, weil man sieht, was sich auftürmt, was sich ansammelt, wenn Leute sich intensiv mit Sprache und mit Ästhetik beschäftigen, was hinzukommt, man betritt gewissermaßen einen unbewussten Hobbykeller der lyrischen Produktion. In dem aber auch sehr ansehnliche Sachen herumstehen. Und da kann man schon teilnehmen und ich finde auch genau diese Art der - wie soll ich sagen - Gewissenhaftigkeit, die aber dennoch den Zufall als Produktivelement ernst nimmt, daran kann man schon das sehen, was an der Poetik auch ein Machen ist, also das Machende der Poetik. Insofern ist es eher ein Buch über das Tun als über das Dichtersein."

    Es versteht sich von selbst, dass ein solches Buch nicht gerade leichte Kost ist. So spannend und immer wieder befruchtend die Lektüre auch sein mag, handelt es sich nicht doch um eine Literatur für Experten, andere Autoren, Literaturwissenschaftler? Was wäre der ideale Leser für dieses Buch, diese Poetik?

    "Gleichzeitig unkonzentriert, aber auch bereit sich irgendwo zu fixieren."

    Dieses Schlusswort von Monika Rinck bringt eigentlich alles um den Punkt: Es ist nicht nötig, diesen Text kontinuierlich und mit Aufmerksamkeit zu lesen, eher empfiehlt er sich für eine vagierende Lektüre: Hier einmal innehalten, da einmal blättern. Allein diese Möglichkeit, die letztlich in der Machart angelegt ist, dass dem Leser keine Erkenntnis aufgezwungen, kein poetisches Dogma vorgeschrieben wird, macht die Beschäftigung damit allemal lohnenswert.

    Ann Cotten, Daniel Falb, Hendrick Jackson, Steffen Popp, Monika Rinck: Helm aus Phlox. Zur Theorie des schlechtesten Werkzeugs, Merve Verlag, 317 Seiten, 20 Euro.