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Globale Tendenzen
Populismus - ein weltweites Phänomen

Dass gerade die Präsidentschaft Donald Trumps und der Brexit die spektakulärsten Ergebnisse populistischer Kampagnen waren, ist für Soziologen kein Zufall. Aber auch in Osteuropa, Lateinamerika und in islamischen Staaten haben sich Populisten und Anti-Demokraten als politische Kraft etablieren. Dabei überzeugen sie nicht mit eigenen Konzepten.

Von Andreas Beckmann | 13.07.2017
    US-Präsident Donald Trump im Roosevelt Raum im Weißen Haus.
    Protestplakat einer Demonstration in Koblenz gegen Rechtspopulisten (Consolidated / Pool / Molly Riley)
    Wenn Politiker auf Minderheiten schimpfen, drängt sich die Frage auf: Wie kann eine solch hässliche Sprache populär sein? Weil sie für die Misere im Land Sündenböcke benennt, antwortet der Potsdamer Soziologe Jürgen Mackert. Und dafür seien heute viele Menschen empfänglich, die sich vom Staat im Stich gelassen fühlten.
    "Man darf natürlich keinen Kurzschluss machen und sagen, der Neoliberalismus zeugt Populismus, aber wenn man sich anschaut, die permanente Senkung von Steuern für Wohlhabende und Reiche, und uns dann anschauen, was in den letzten 20, 30, 40 Jahren mit dem Wohlfahrtsstaat passiert ist, nämlich die Auflösung von sozialen Arrangements, die Menschen auch schützen, dann wird deutlich, dass wir Verschiebungen haben, an denen heute rechte Populisten sehr einfach anknüpfen können."
    Der Wohlfahrtsstaat wird immer weiter zurückgedrängt
    Und zwar nahezu weltweit. Die Präsidentschaft Donald Trumps und der Brexit mögen die spektakulärsten Ergebnisse populistischer Kampagnen sein. Und sie zeigen sich nach Meinung von Jürgen Mackert nicht zufällig in den USA und Großbritannien, wo Ronald Reagan und Margaret Thatcher einst als erste der neoliberalen Politik zum Durchbruch verhalfen. Aber selbst in den skandinavischen Ländern, die lange als Model wohlfahrtsstaatlicher Absicherung galten, haben Rechtspopulisten wie die "Schwedendemokraten" oder die "Wahren Finnen" längst den Sprung ins Parlament geschafft.
    "Der Wohlfahrtsstaat in den skandinavischen Staaten hat auch schon mal anders ausgesehen. Und dann kommt es vielleicht nicht mehr so sehr auf die absolute Höhe an, sondern auf das Gefühl, das einem etwas verlustig geht."
    Vom Aufschwung profitierte eine kleine Oberschicht
    Besonders stark ist dieses Gefühl im östlichen Teil Europas verbreitet. Nach den Revolutionen von 1989 hatten die jungen Demokratien dort einen Weg der radikalen Marktwirtschaft eingeschlagen. Der führte auch fast überall zu einem wirtschaftlichen Aufschwung. Von dem profitierte aber in erster Linie eine kleine Oberschicht. Die sozial Benachteiligten suchten in rechtspopulistischen Parteien ein Ventil für ihre Frustrationen. Fidesz in Ungarn oder PiS in Polen eroberten so absolute Mehrheiten in den Parlamenten, erzählt der Politologe Klaus Bachmann von der Universität für Sozialwissenschaften in Warschau.
    "In dem Moment, wo sie die alleinige Macht haben, fangen sie an, die demokratischen Institutionen aufzuheben, zu übernehmen, abzuschaffen oder zu paralysieren. Es gibt zwei Möglichkeiten. Sie ändern die Verfassung, weil sie die entsprechenden Mehrheiten organisieren können, das war Ungarn, das war Türkei mit dem Referendum ..., oder, wo das nicht geht, da sind wir dann in Polen, da wird die Verfassung einfach gebrochen. Den einzigen verbliebenen Bremsklotz, den es noch gibt, das Verfassungstribunal, kann man dann einfach übernehmen."
    Indem man nämlich ordentlich gewählte, aber unliebsame Verfassungsrichter gar nicht erst vereidigt und stattdessen andere beruft, die das Parteibuch der PiS besitzen. Von denen braucht die polnische Regierung dann keinen Widerspruch mehr zu fürchten, wenn sie etwa die Pressefreiheit einschränkt. Als Rechtfertigung für solche Manöver gilt Populisten regelmäßig der angebliche "Wille des Volkes".
    Eine Kategorie zwischen Demokratie und Diktatur
    Der könne am besten durchgesetzt werden, wenn es keine Gewaltenteilung mehr gebe und die Regierung alles allein bestimme. Dafür lassen sich populistische Parteien in bestimmten Abständen gern ein Mandat erteilen durch Wahlen, bei denen die Opposition aber schon deshalb benachteiligt wird, weil die Regierung die Medien kontrolliert.
    "Es ist immer noch möglich, durch demokratische Wahlen so eine Regierung loszuwerden. Es ist viel schwerer als in einer funktionierenden Demokratie, aber es geht. Also können wir nicht sagen, es ist eine Diktatur. Wir können aber auch nicht sagen, es ist eine normale Demokratie. Deshalb hat die Politikwissenschaft da Begriffe eingeführt, die ein bisschen schräg klingen und versuchen, eine Kategorie zu bilden, die zwischen Demokratie und Diktatur steht. Wir nennen das dann die hybriden Systeme, also eine autoritäre Herrschaft, die aber Konkurrenz zulässt."
    Diese politische Konkurrenz gilt den Populisten dann als Ansammlung von Feinden des Volkes, weil sie nur ihre angeblich elitären Sonderinteressen verfolge. Die Existenz einer derart marginalisierten Opposition ist für die Regierung durchaus nützlich, weil sie als Rechtfertigung für eine repressive Politik herhalten kann. Anti-Pluralismus, ein rigides Vorgehen gegen Minderheiten, und Anti-Liberalismus sind geradezu Markenzeichen populistischer Regime, nicht nur in Osteuropa.
    "In Lateinamerika hat der Liberalismus nie wirklich Wurzeln geschlagen. Kaum waren die Länder des Subkontinents im 19. Jahrhundert unabhängig geworden, übernahmen Cliquen von Großgrundbesitzern und Minenbetreibern die Macht, meist im Bündnis mit dem Militär. So etablierten sie eine unheilvolle Tradition der politischen Gewalt und des Autoritarismus."
    Der Subkontinent als Wiege des Populismus
    Nach Ansicht der Lateinamerikaforscherin Jenny Pearce von der London School of Economics kann man den Subkontinent als Wiege des Populismus beschreiben. Denn es waren populistische Bewegungen, die die späte und langsame Demokratisierung dieser Länder vorantrieben. Aber diese Bewegungen hatten ihre politische Heimat nicht im rechten, sondern im linken Lager.
    "Die Attraktivität des populistischen Konzepts für die Linke rührt daher, dass sie stets auf der Suche nach einem revolutionären Subjekt ist. Eigentlich sollte das ja das Proletariat sein, aber selbst in industrialisierten Ländern wie Argentinien oder Brasilien blieben Arbeiter eine Minderheit. Also versammelten sich die Linken vor allem um landlose Bauern und andere Verlierer der ökonomischen Entwicklung. Ernesto Laclau, der führende Theoretiker des Populismus, hat dann im 20. Jahrhundert den moralischen Anspruch formuliert, diese verarmten Gruppen seien das wahre Volk."
    Tatsächlich waren es linke Populisten, die den hungernden Tagelöhnern und Campesinos zum ersten Mal in der Geschichte eine politische Stimme gaben: zum Beispiel Juan Perón in den 40er Jahren in Argentinien, oder die Sandinistas in Nicaragua in den 70ern und wenig später die Zapatisten in Mexiko. Immer wieder gelang es solchen Bewegungen, politische Bündnisse auch mit städtischen Mittelschichten zu schließen.
    "Die Mittelschichten Lateinamerikas haben sich schon immer so wie heute viele Europäer schutzlos dem Auf und Ab der Wirtschaft ausgeliefert gefühlt. Deshalb wandten sie sich etwa zeitweise dem Peronismus in Argentinien zu, der ihnen soziale Sicherheit versprach. So wurde Perón zu einem Vorbild für Offiziere auch in anderen Ländern, die linksorientierte Militärdiktaturen aufbauten, die durchaus Unterstützung im Volk genossen."
    Radikale Programme lateinamerikanischer Populisten
    Einmal an der Macht starteten lateinamerikanische Populisten häufig radikale Umverteilungsprogramme. So nutzte etwa in den Nuller Jahren der ehemalige Offizier Hugo Chávez sein Präsidentenamt, um die ärmeren Schichten in Venezuela mit billigen Lebensmitteln, Wohnungen und Benzin zu versorgen. Finanzieren konnte er das durch sprudelnde Öleinnahmen. Seit die jedoch zurückgingen, verschlechtert sich die Versorgungslage dramatisch und der Nachfolger des inzwischen verstorbenen Chávez sieht sich immer heftigeren Protesten ausgesetzt. Dennoch setzen viele linke Bewegungen weiter auf populistische Strategien, auch in Südeuropa und ganz besonders in Griechenland.
    "Im Mittelpunkt von Ernesto Laclaus Theorie des Populismus steht die Idee, eine zentrale Forderung aufzustellen, mit der sich alle identifizieren können. Syriza, die Partei der Vereinigten Linken, hatte in Griechenland lange vergeblich danach gesucht und bestenfalls 5 Prozent der Stimmen auf sich vereinigt. Doch nach Ausbruch der Finanzkrise hatte sie eine Forderung gefunden, mit deren Hilfe sie eine klare Trennlinie ziehen konnte zwischen uns, dem Volk, und den anderen, der Elite."
    Syriza versprach den Griechen, sie von den erdrückenden Schuldenzahlungen zu befreien, die die Troika aus IWF, EZB und EU ihnen abverlangte, berichtet Yannis Stavrakakis Politologe an der Universität Saloniki. Dabei hoffte die Partei auf die Solidarität der gesamten europäischen Linken. Die wollte sie anfangs mit einem eigenen Reformprogramm gewinnen, das einen effektiveren öffentlichen Dienst und eine bessere Steuermoral in Griechenland bringen sollte. Das aber hätte Beamten und Steuerschuldnern, also Teilen des Volkes, Opfer abverlangt. Syrizas Programm der nationalen Einheit wäre in Gefahr geraten.
    "Weil wir nun mal in Nationalstaaten leben, müssen Populisten auch Nationalisten sein. Wenn sie Politik für oder gegen die Interessen einzelner Gruppen machten, wären sie eine Partei wie jede andere. Wenn Syriza die Partei des Volkes sein will, muss sie alles ablehnen, was irgendwelche griechischen Interessen schädigen könnte."
    Kapitulation - Syriza fehlten die Verbündeten
    Syriza inszenierte sich als die Kraft, die Griechenlands Souveränität gegen die Troika verteidigte. Ihre nationalistische Politik war aber niemals ethnisch oder gar rassistisch begründet wie bei Rechtspopulisten, sondern sollte auf der Einheit aller sozialen Schichten beruhen.
    "Es gibt Grenzen jeder nationalen Politik und als Syriza keine Verbündeten innerhalb der EU fand, musste sie kapitulieren."
    Syriza bedient inzwischen die Forderung der Troika genauso wie ihre Vorgängerregierungen. Doch bisher halten ihre Anhänger still. Populisten verfügen meist über eine sehr treue Gefolgschaft. Das gilt überall auf der Welt.
    "Der islamische Populismus hat seine Wurzeln im Ägypten der 20er Jahre. Damals erfanden die Muslimbrüder das Konzept einer reinen islamischen Politik als Gegenmodell zum westlichen Kolonialismus. Fast alle ihrer Anführer wurden damals gehenkt, aber ihre Ideen finden noch heute Widerhall, etwa im Arabischen Frühling 2011."
    Die iranische Soziologin Haideh Moghissi, die an der York University in Toronto lehrt, beschäftigt sich mit der vielleicht radikalsten Form des Populismus, dem Islamismus. Während die Muslimbrüder die Blaupause für den sunnitischen Populismus liefern, fand der schiitische seinen Höhepunkt 1979 in der Revolution im Iran. Ayatollah Chomeini versprach damals seinem Volk die Befreiung von der Abhängigkeit von den USA, die zuvor den Schah unterstützt hatten. Der Schah hatte alle politischen Parteien brutal verfolgt, so dass sich Oppositionelle nur noch in Moscheen treffen konnten. Doch ihre Hoffnungen auf Freiheit in einer Islamischen Republik zerschlugen Chomeini und seine Revolutionsgarden sehr schnell mit immer neuen Wellen von Repression und Massenhinrichtungen.
    "Wenn es ihnen zu pass kommt, brechen sie jedes Versprechen. Aber genau genommen haben Populisten noch nicht einmal Versprechen zu bieten, sondern nur Nostalgie. Donald Trump will Amerika wieder groß machen und in angeblich goldene Zeiten zurückführen. Die Islamisten wollen den Islam wieder groß machen und die Gesellschaft zurückführen in die Zeit des Propheten Mohammed."
    Machtabgabe unter Populisten nicht vorstellbar
    Bei Wahlen im Iran hat sich sowohl 2013 wie in diesem Jahr gezeigt, dass die Mehrheit der Herrschaft der Kleriker überdrüssig ist. Doch die Macht irgendwann wiederabzugeben, wie es zu einer Demokratie gehört, ist etwas, was sich Populisten kaum vorstellen können. Schließlich vertreten sie doch nach eigenem Verständnis "das wahre Volk". Aber, sagt der Warschauer Politologe Klaus Bachmann, sie haben natürlich auch ganz handfeste Gründe, sich gegen einen Regierungswechsel zu stemmen.
    "In dem Moment, wo man die Verfassung bricht oder ein anderes schwerwiegendes Verbrechen begeht, ist natürlich klar, dass jede Nachfolgeregierung bei Wahlen dafür sorgen wird, dass die Mitglieder dieser Regierung vor Gericht kommen. Das heißt, der nächste Wahlkampf geht dann nicht mehr darum, wer Opposition oder Regierung wird, sondern wer im Gefängnis sitzt oder nicht. Und das ist natürlich ein großes Risiko für das ganze Land, dass die nächsten Wahlen entweder nicht stattfinden oder dass sie so manipuliert werden, dass die derzeitige Regierung die Wahlen gar nicht verlieren kann."
    Doch auch dort, wo Populisten es nie bis in die Regierung schaffen, richten sie schon großen Schaden an, wenn sie mit ihren Kampagnen Ressentiments gegen Minderheiten schüren, ergänzt Jürgen Mackert, Co-Direktor am Centre for Citizenship in Potsdam.
    "Dann bekommen wir oder haben wir eigentlich schon Probleme in der Zivilgesellschaft: Wie gehen Menschen miteinander um? Welche politische Kultur erleben wir eigentlich im Alltag?"
    Erfolgreich durch frische Kräfte wie die AfD
    Populisten sind vor allem dann erfolgreich, wenn sie sich wie hierzulande die AfD als frische Kräfte präsentieren, die die Verhältnisse auf den Kopf stellen können. Mit Bernie Sanders in den USA, Jeremy Corbyn in Großbritannien oder Emanuel Macron in Frankreich haben sich zuletzt aber auch wieder Demokraten als Erneuerer präsentiert. Sie müssen jedoch erst noch beweisen, dass sie wirklich einen Politikwechsel bewerkstelligen können.
    "Ich glaube schon, dass wir tatsächlich eine völlig andere Politik in Europa bräuchten. Sprich: Wir müssten über ein gemeinsames Solidarsystem nachdenken. Das fängt dann an mit Arbeitslosenversicherung und geht weiter mit Rentenversicherung. Der Aufbau eines europäischen Sozialstaates wäre erforderlich und sinnvoll."
    Vielleicht könnte eine solche Politik Populisten den Wind aus den Segeln nehmen, hofft Jürgen Mackert. Denn ihre Stärke besteht nicht in überzeugenden eigenen Konzepten, sondern allein in der Schwäche der etablierten demokratischen Parteien, denen viele Bürger nicht mehr zutrauen, die aktuellen Probleme zu lösen.