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Populismus-Debatte
Gute Realpolitik als Gegenrezept

"Fürchtet euch und folgt uns" - So betitelt der Journalist Michael Laczynski sein Buch über die Methoden und den Erfolg von Populisten in Europa. Dabei vergleicht er rechte und linke Bewegungen. Und er formuliert Gegenstrategien zur Angstpolitik der Populisten - wie etwa ein allgemeines Grundeinkommen.

Von Claus Heinrich | 03.07.2017
    In Koblenz protestieren Tausende gegen Tagung europäischer Rechtspopulisten. (21.01.17)
    In Koblenz protestieren Tausende gegen Tagung europäischer Rechtspopulisten. (21.01.17) (dpa picture alliance / Boris Roessler)
    Anders als manche andere Autoren, die derzeit thesenstark in die Glaskugel blicken, hält sich Michael Laczynski mit Theoriebildung und Prophezeiungen über die Zukunft der derzeitigen populistischen Welle auffällig zurück. Das war und ist klug, denn die wichtigen Wahlentscheidungen in den Niederlanden, in Frankreich und Großbritannien, die Auskunft über den Erfolg und die Folgen rechtspopulistischer Politik in Europa geben, lagen allesamt nach dem Erscheinungstermin dieses Buches im März.
    Die Erkenntnisse, die der in Polen geborene Österreicher aus diversen europäischen Ländern zusammengetragen hat, bleiben gültig und erkenntnisreich. Auch wenn es, wie Laczynski in seinem Nachwort freimütig einräumt, beim Versuch geblieben ist, die vielen Fäden zu einem inhaltlichen Strang zu knüpfen. Die Frage, wie groß der Einfluss der Medien und der sozialen Netzwerke beim Aufstieg der Populisten ist, bleibt ebenso unbeantwortet wie das Rätsel ungelöst, warum im Norden, Osten und Westen Europas rechte Populisten reüssieren, im Süden hingegen linke.
    Was linke und rechte Populisten gemein haben
    Mit anderen Worten: warum tendieren Menschen, die Angst vor einem noch theoretischen sozialen Abstieg haben, nach rechts, während diejenigen, die ihn bereits erlebt haben wie in Portugal, Spanien und Griechenland linke Parteien wählen? Vielleicht ja auch, weil in den mediterranen Ländern die Erinnerung an Militärdiktaturen noch relativ frisch ist, wirft Laczynski ein. Er macht jedoch auch Gemeinsamkeiten zwischen der griechischen Syriza und dem französischen Front National aus, etwa:
    "...dass sie die Schuld für die schlechte wirtschaftliche Lage daheim finsteren, antidemokratischen Mächten in Washington, Brüssel und Berlin geben. [...] Gemeinsamkeit Nummer zwei: Die angebotenen Lösungen sind bestechend simpel. [...] Die dritte Gemeinsamkeit ist, den Wählern soziale Wohltaten zu versprechen."
    Laczynki macht sich auf Spurensuche. Er blickt nach Frankreich in das Milieu von Marine Le Pens Front National. Er erklärt das Votum der Briten für den Austritt aus der EU vor allem mit der Lohnkonkurrenz durch europäische Migranten. Eine Frage, die von den Regierungen sträflich vernachlässigt sei. Er weist auf die Sonderheiten des polnischen Geschichtsbewusstseins hin und auf die fast 30-jährige Tradition rechtspopulistischer Politik in Österreich. Hier hat die FPÖ gute Chancen, nach der Nationalratswahl im Oktober wieder Mitglied einer Koalitionsregierung in Wien zu werden.
    "Selbst, wenn die FPÖ stärkste Kraft werden sollte, sind sie dazu gezwungen, mit einem Partner zu koalieren. Das heißt, sie werden sofort innerhalb der Regierung in die Mangel genommen und müssen sich arrangieren, müssen Kompromisse schließen. Der Populist verliert ganz stark in einer solchen Situation. Das sieht man zum Beispiel in Finnland, wo die Partei der Finnen in der Regierung ist und sie hat wahnsinnig verloren, weil sie eben Teil einer Koalition sind."
    Allein regierende Populisten gilt es zu verhindern
    Wichtig ist, so Laczynski, dass Rechtspopulisten nicht das Ruder komplett übernehmen können, so wie in Polen oder in Ungarn. Dann bekämen die Kaczyńskis und Orbáns die Gelegenheit, an den Schräubchen des Systems zu drehen. Diese Gefahr besteht in Österreich wohl nicht. Die FPÖ profitiere seit vielen Jahren von der Selbstblockade der großen Koalition, so wie der Front national in Frankreich von der Immobilität der dortigen Entscheidungsträger. Marine Le Pen und Heinz-Christian Strache könnten so behaupten, die Eliten seien nur an sich selbst interessiert und hätten kein Verständnis für die Sorgen der einfachen Leute.
    Aber was versteht der Autor eigentlich unter Populismus? Michael Laczynski versucht es zunächst mit einer negativen Annäherung. Populistische Politiker eine der hohe Stellenwert der Rhetorik, ein Hang zum inhaltlichen Opportunismus und der Wunsch zur Gemeinschaftsbildung, der einen mitunter harten exklusiven Charakter hat. Der Werkstoff der Populisten sei die Angst. Die Angst vor Fremden, vor einem vermeintlichen europäischen Establishment, vor dem sozialen Abstieg und dem gesellschaftlichen Wandel. Populismus spreche die Menschen an, die mit der von Internationalität, Ökologie, Feminismus, Globalisierung und Multikultur geprägten Moderne wenig anfangen könnten.
    Die Illusion von einer besseren Vergangenheit
    Deshalb versprächen Populisten die Wiederkehr der guten alten Zeit, zum Beispiel eine Rückkehr zu den "Trente Glorieuses", den angeblich glorreichen 30 Jahren in Frankreich nach dem Krieg,
    "...der imaginierte Zufluchtsort des französischen Prekariats – eine Zeit, in der jeder eine ordentliche Beschäftigung hatte und sich mit seiner Hände Arbeit einen bescheidenen Wohlstand schaffen konnte. Marine Le Pen bietet ihren Wählern einen bis ins Detail ausgearbeiteten, "retropopulistischen" Plan an, mit dem sich die Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte angeblich rückabwickeln lässt."
    Und was hilft nun am besten gegen Populisten jeglicher Couleur? Gute Realpolitik, findet Laczynki. Um den Druck auf die nationalen Sozialsysteme zu senken, müsse es entweder Inländervorrechte gegenüber Migranten geben, besser aber eine regulierte Zuwanderung. Zweitens müsse der Faktor Arbeit angesichts der Digitalisierung der Industrie entlastet werden, etwa durch ein allgemeines Grundeinkommen. Und man sollte drittens trotz der nationalen Welle jenseits von Deutschland und Österreich nicht auf das europäische Ideal verzichten, aber:
    "Wovor wir uns hüten müssten, ist in dieses Europa viel zu viel hinein zu interpretieren. Also auf der rechten Seite wird Europa für alles verdammt. Europa ist pfui, Europa ist für all das Üble verantwortlich, was uns widerfährt. Auf der anderen Seite ist Europa die Erlösung. Jedes Problem, mit dem wir uns konfrontiert sehen, da ist Europa die Lösung. Funktioniert auch nicht so. Ist nicht so einfach."
    Ein vorsichtiger Ausblick
    Der Populismus sei weder auf dem sicheren Durchmarsch in Europa noch endgültig besiegt. Und sein bisher größter Erfolg, der Brexit, lasse sich auch nicht so ohne Weiteres wieder rückgängig machen:
    "Es gab dieses Referendum und ich denke mir, in einer Demokratie ist das Ergebnis zu respektieren. Man muss die Wähler ernst nehmen. Ich glaube, dass die Tories und die Labour-Partei sich dessen bewusst sind, dass das zu respektieren ist und ich glaube, dass der Appetit, um das wieder neu aufzurollen, eher enden wollend ist. Sag niemals nie, aber ich würde keine großen Hoffnungen darauf setzen."
    Michael Laczynski bleibt also zurückhaltend bei Prognosen und auch bei seinen Rezepten gegen den Vormarsch der Populisten. "Fürchtet euch und folgt uns" bietet daher vor allem eine kompetente Übersicht über die Angst-Politik der Populisten in Europa. Stand Anfang 2017.
    Michael Laczynski: "Fürchtet euch und folgt uns. Die Politik der Populisten"
    Verlag Kremayr & Scheriau, 224 Seiten, 24 Euro.