Donnerstag, 28. März 2024

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Globale Umwälzungen
Mut zur Veränderung

So wie die Raupe nicht weiß, dass aus ihr ein Schmetterling wird, weiß momentan niemand, wohin sich die Welt entwickeln wird. Diese und weitere Perspektiven eröffnet der Soziologe Ulrich Beck in seinem letzten, posthum von Co-Autoren vollendeten Buch über die derzeitigen globalen Transformationen. Titel: "Die Metamorphose der Welt".

Von Günter Kaindlstorfer | 16.01.2017
    Der Professor für Soziologie an der Universität München und der London School of Economics and Poltical Science, Ulrich Beck, aufgenommen am 19.11.2006 in der Akademie der Künste in Berlin.
    Der im Jahr 2015 verstorbene Professor für Soziologie, Ulrich Beck, aufgenommen 2006. (Claudia Esch-Kenkel/picture-alliance/ZB)
    Der Brexit war ebenso wenig vorherzusehen wie der Wahlsieg Donald Trumps, als sich Ulrich Beck vor einigen Jahren mit seinem neuen Buch zu beschäftigen begann. Andere Umwälzungen waren jedoch bereits in vollem Gange. Und so eröffnet der prominente Soziologen sein Vorwort mit einem in Krisenzeiten gern genutzten Hamlet-Zitat:
    "'Die Welt ist aus den Fugen'. Nach Ansicht vieler Zeitgenossen trifft das in beiden Bedeutungen des Wortes zu: Ihre äußere Ordnung ist zerbrochen, ihr innerer Zusammenhalt verloren gegangen. Wir irren ziel- und orientierungslos umher, argumentieren für und wider. Die eine Feststellung jedoch, auf die wir uns jenseits aller Unterschiede und über alle Kontinente hinweg zumeist einigen können, lautet: 'Ich begreife die Welt nicht mehr'. In diesem Buch versuche ich zu verstehen und zu erklären, warum wir die Welt nicht mehr verstehen."
    Eine effektvolle Ansage. Zu den Triebkräften des globalen Umwälzungsprozesses gehören Becks Ansicht nach vor allem zwei Faktoren: der Klimawandel und die digitale Revolution; eine nicht zu unterschätzende Rolle spielten aber auch die atemberaubenden Fortschritte in der Nanotechnologie und der Reproduktionsmedizin, so Beck. Und dann, schon auf den ersten Seiten, führt der Soziologe den Begriff ein, der die Transformation der Welt seiner Meinung nach am treffendsten beschreibt:
    Die Gewissheiten der modernen Welt lösen sich auf
    "Die Welt, in der wir leben, verändert sich nicht bloß, sie befindet sich in einer Metamorphose. Wandel impliziert, dass sich manches ändert, während vieles gleich bleibt – so durchläuft der Kapitalismus zwar Wandlungen, aber seine Merkmale ändern sich nicht. Das Wort 'Metamorphose' impliziert eine weitaus radikalere Veränderung: Die ewigen Gewissheiten moderner Gesellschaften brechen weg, und etwas ganz und gar Neues tritt auf den Plan."
    Was dieses Neue ist, vermag Ulrich Beck nur annäherungsweise zu sagen. Dass der Klimawandel einer der zentralen Akteure der von ihm diagnostizierten Metamorphose ist, steht für den Soziologen allerdings fest. So katastrophal die Auswirkungen der Klimaerwärmung in bestimmten Regionen der Welt auch sein könnten, so Beck, sie bringe doch auch Gutes mit sich. Die Klimaerwärmung treibe uns über den nationalstaatlichen Rahmen hinaus und zwinge uns eine kosmopolitische Perspektive auf. Ulrich Becks letztes Buch – sein Vermächtnis – ist vor allem ein Abgesang auf die Gestaltungsmacht des Nationalstaats:
    "Das Klimarisiko sagt uns, dass der Nationalstaat nicht der Mittelpunkt der Welt sein kann. Die Erde dreht sich nicht um Nationen, sondern die Nationen kreisen um die neuen Fixsterne 'Welt' und 'Menschheit'."
    Die nächste Moderne kann nur eine kosmopolitische sein
    Nationalstaatliches Denken ist Ulrich Beck zufolge dem Denken der alten, der "Ersten Moderne" verhaftet. Die "Zweite Moderne", als deren Wortführer Beck sich einen Namen gemacht hat, kann seiner Auffassung nach nur eine kosmopolitische sein. Und so plädiert der 2015 verstorbene Sozialwissenschaftler für einen "methodologischen Kosmopolitismus", wie er es nennt, für eine "kopernikanische Wende 2.0". An Stelle des nationalen habe so etwas wie ein globalisiertes Bewusstsein zu treten. Dass nationalistische Bewegungen in vielen Teilen der Welt derzeit einen Erfolg nach dem anderen feiern, sei eine Regression, die Becks Einschätzung nach nicht nachhaltig sein könne: "Die Renaissance nationaler Sichtweisen ist angesichts der realen Kosmopolitisierung paradox."
    Die Metamorphose der Welt vollzieht sich in atemberaubendem Tempo. Das stellt auch die Sozialwissenschaften vor Probleme. Ihnen fehlt das diagnostische Besteck, um den globalen Transformationsprozess auf den Begriff zu bringen. Da will Beck Abhilfe schaffen, auch wenn er in seinem Buch nur Ansätze zu einer fundierten Diagnose liefert. Aber nicht nur in den Wissenschaften, auch in der öffentlichen Debatte herrscht eine profunde Ratlosigkeit: Was wird die globale Metamorphose bringen? Wie wird sich die Welt, wie wird sich unser aller Leben ändern? Es gibt vorsichtig optimistische und nachhaltig pessimistische Szenarien.
    Dystopien hält Ulrich Beck für problematisch
    Ulrich Beck nimmt diesbezüglich eine Mittelposition ein: Katastrophiker sind dem Münchner Soziologen ebenso suspekt wie beherzte Fortschritts-Euphoriker, die man im deutschen Sprachraum allerdings ohnehin mit der Lupe suchen muss. Dystopien jedenfalls hält Ulrich Beck grundsätzlich für problematisch.
    "Wir alle wissen, dass sich die Raupe in einen Schmetterling verwandeln wird. Aber weiß es die Raupe auch? Das ist die Frage, die man den Katastrophikern stellen muss. Sie gleichen Raupen, die, eingepuppt im Weltbild ihrer Raupenexistenz, keine Idee von Metamorphose haben. Sie vermögen nicht zu unterscheiden zwischen Zerfall und Anders-Werden. Sie sehen die Welt und ihre Werte untergehen, wo nicht die Welt, sondern ihr Weltbild untergeht."
    Das neue Weltbild freilich, das Weltbild des Homo Cosmopoliticus, ist noch nicht ausformuliert. Wie auch, wo der Transformationsprozess doch noch in vollem Gange ist? Letztlich vermag auch Ulrich Beck nicht zu sagen, wohin die Reise geht. Sicher ist nur: Unsere Gewissheiten sind perdu – und neue nicht in Sicht.
    Ulrich Beck: "Die Metamorphose der Welt"
    Suhrkamp Verlag, Berlin 2016. 267 Seiten, 25 Euro.