Michael Köhler: Der langjährige Konzernchef von DaimlerChrysler, Jürgen Schrempp, er tritt vorzeitig vom Vorsitz des größten deutschen Unternehmens zurück - und die Börse jubelt. Das Unternehmen legt von heute auf morgen drei Milliarden Euro an Wert zu, die Aktie explodiert um zehn Prozent - aber all das nicht wegen befriedigender Ertragszahlen. Da kann man sich ja schon mal fragen: Was passiert da eigentlich? Den Wirtschaftswissenschaftler Bert Rürup habe ich einmal nicht nach der Reformierung der Sozialsysteme gefragt, sondern: Professor Rürup, werden wir Zeugen einer sonderbaren Paradoxie der Wirtschaft, nämlich Konjunktur ohne Arbeit?
Bert Rürup: Nein, glaube ich nicht. Schauen Sie, steigende Aktienkurse sind das Ergebnis einer optimistischeren Zukunftseinschätzung hinsichtlich eines zukünftigen Unternehmenserfolges von Anlegern. Und positive Zukunfts-, Erfolgserwartungen führen dann eben zu einer steigenden Zahlungsbereitschaft und damit steigenden Aktienkursen. Ich glaube, das war in der Vergangenheit nicht anders als heute, nämlich der Aktienkurs reflektiert nicht das, was heute ist, sondern die Erwartung von morgen. Und ich glaube, das ist deswegen nicht überraschend. Aber, auf Ihre Frage, ich denke nicht, dass Deutschland die Arbeit ausgeht. Wohl aber können wir einen Wandel in der Organisationsform von Arbeit feststellen: So verliert das so genannte normale Arbeitsverhältnis, das ist die dauerhafte Vollzeitbeschäftigung bei wenigen Arbeitnehmern, schleichend an Bedeutung. Im Gegenzug steigen allerdings die Zahlen der Erwerbstätigen. Und, man muss auch wissen, zu jeder Zeit wurde immer die Art und Organisation von Arbeit von den jeweiligen Rahmenbedingungen geprägt. Das war in der durch klerikale Normen und durch die Zünfte geprägten frühen Neuzeit nicht anders als in klassischen Industriestaaten, in denen Arbeit standardisiert, massenhaft und in Kolonnen organisiert war. Und zu jeder Zeit gab es so etwas wie eine Sehnsucht nach der guten alten Zeit beziehungsweise der guten Arbeit. Und heute leben wir nun einmal - ob wir das wollen oder nicht - in einer Welt, die durch die technologischen Möglichkeiten der Digitalisierung von Arbeit gekennzeichnet ist, wodurch dann Arbeit ihren lokalen Bezug verliert. Und wir leben in einer Welt, die durch einen Druck auf die Arbeitskosten als Folge einer nie gekannten Offenheit der Güter- und Faktormärkte gekennzeichnet ist. Und das erfordert neue Formen von Arbeit, mehr Flexibilität hinsichtlich Arbeitszeiten und Lohnstrukturen. Und deswegen sind so Aussagen: Wir können uns nicht den chinesischen Löhnen stellen, sind abwegig - wir müssen es. Und ein Letztes: Wer stolz darauf ist, Exportweltmeister zu sein, und es gut findet, einen DVD-Player für 69 Euro kaufen zu können, der sollte dann nicht gegen die Globalisierung sein.
Köhler: Nicht die Quartalszahlen bei DaimlerChrysler, sondern das Ausscheiden hat ja der Aktie den Höhenflug bereitet. Sie haben das gerade eingangs erklärt - gleichwohl das in meinen Ohren immer noch im Bereich des Imaginären sich aufhält, denn es arbeitet mit Erwartungen, also nicht mit ...
Rürup: Also, an der Börse werden Erwartungen gehandelt, jawohl.
Köhler: Ja. Obwohl sich in den letzten drei Tagen ja bei DaimlerChrysler tatsächlich fundamental eigentlich nichts geändert hat. Meine Frage: Ist der Ort der Wertsteigerung heute nicht mehr in Industriebetrieben, im Bereich der Produktion, sondern andernorts?
Rürup: Also, ein Teil der Wertschöpfung liegt natürlich im Marketing, in Distribution und - in Deutschland - vor allem in der Entwicklung, im Engeneering. Das hat sich etwas verändert. Konkrete Verarbeitung hat in der Tat eine immer noch große, aber zurückgehende Bedeutung. Das wird man sagen können, ja.
Köhler: Deutschland hat im Moment - ich nenne es mal etwas pathetisch so - im mentalen Kernbereich eine Krise, nämlich im Bereich Sport und Autos. Also, Schmiergeldaffäre oder ökonomisches Doping oder wie immer man das nennen will. Wird also der Mehrwert im Bereich Nichtproduktion im Moment erwirtschaftet? Oder noch dramatischer gesagt: Sind wir dabei, einer Deindustrialisierung Deutschlands beizuwohnen?
Rürup: Das sehe ich nicht. Wir haben einen Rückgang des industriellen Bereichs, das ist völlig richtig. Aber nach wie vor hat Deutschland, nach Italien, den zweithöchsten Industrieanteil in der Welt. Das muss man einfach sehen. Von einer Deindustrialisierung im Vergleich zu anderen Staaten kann man nicht reden. Was möglicherweise der Fall sein kann, dass dieser Rückgang des industriellen Anteils - der in der Vergangenheit in Deutschland außerordentlich hoch war - relativ schnell erfolgt. Aber im Vergleich zu anderen Staaten kann man nicht von einer extremen Deindustrialisierung sprechen. Und auch die These, die in Ihrer Frage so mitschwang, dass durch das, was wir Globalisierung bezeichnen, das heißt, das Outsourcing, die Verlagerung von Wertschöpfung in andere Länder oder der teilweise Ersatz von Exporten durch Direktinvestitionen, hat nicht dazu geführt, dass in Deutschland die - wie der Ökonome sagt - Export induzierte Wertschöpfung abgenommen hat. Diese These, die gelegentlich vertreten wird mit Hinweis auf die in der Tat vielfältigen Verlagerungen, ist falsch. Es ist richtig, dass heute von jedem Euro, der im Export verdient wird, etwa 40 Cents ans Ausland gezahlt werden muss, eben für die bezogenen Vorlieferungen. Das war vor etwa zehn, zwölf Jahren nur 28 Cents. Allerdings muss man wissen, dass in der Vergangenheit der Anteil der Euros, die man im Export verdient hat, sehr viel rasanter gestiegen ist, dass nach wie vor - trotz dieser Phänomene, die wir eben beschrieben haben - der Export ein wichtiger Wachstumsmotor ist. Das heißt, die Export induzierte Wertschöpfung ist noch nicht zurückgegangen. Das Problem, was wir in Deutschland haben, ist kein Problem der Exportwirtschaft, der internationalen Wettbewerbsfähigkeit unserer exportorientierten Firmen, sondern dass wir es eben nicht schaffen, eine binnenwirtschaftliche Dynamik in Gang zu bringen, die dann im Inland die eben auch zum Teil freigesetzten Arbeitskräfte wieder aufnimmt.
Köhler: Ich nehme mal das Ereignis der vergangenen Woche um DaimlerChrysler - manche sprachen von Chaostagen bei DaimlerChrysler - auf, und da wird ja sicherlich noch einiges folgen. Ich will ganz gerne auf die Folgen für den so genannten kleinen Mann mal zu sprechen kommen. Nicht eine neue Baureihe, ein neues Produkt - wir haben es jetzt wiederholt gesagt - hat dafür gesorgt, dass die Aktie raufgeht, sondern der Rücktritt. Also ein Abschied hat für Börsengeschichte und Kapitalisierung der Volksaktie, kann man ruhig sagen, denn der Kleinanlegeranteil ist immerhin bei ein Drittel bei DaimlerChrysler, das ist ganz ordentlich. Früher, da hat man Vorräte auf der Kellertreppe gehortet. Das ist so die Oma-Wirtschaft, sage ich mal. Heute geht man an die Börse, um Vorräte zu horten?
Rürup: Man geht nicht heute an die Börse, um Vorräte zu horten, sondern man geht heute an die Börse, um an zukünftigen Unternehmenserfolgen zu partizipieren. Also eine Börse ist ein Zukunftsgeschäft. Für die Vergangenheit gibt der Börsianer wenig, sondern er gibt nur sehr viel für die Zukunft.
Köhler: Der Mensch ist - und jetzt werde ich mal sonntäglich - kein Homo oeconomicus alleine. Er ist nicht ein rein vernünftig, wirtschaftlich gesteuertes Objekt - das weiß jeder, der mal einen Unsinnskauf auf der Düsseldorfer Königsallee gemacht hat und sich hinterher fragt, warum er dafür so viel Geld ausgegeben hat, womit ich nichts gegen die Kö sagen will. Er wird von Wünschen geleitet, von Streben. Er ist eigentlich kein Homo oeconomicus, sondern - ich erfinde jetzt mal was - ein Homo appetitus. Ist Wirtschaft so gesehen nicht auch ein Stück weit unvernünftig, irrational? Sie kalkuliert - Sie haben es gesagt - mit dem Zukünftigen, also doch mit was Imaginärem, auf das ich mich eigentlich gar nicht verlassen kann?
Rürup: Das ist richtig. Aber das ist nun mal die ökonomische Perspektive. Und es ist völlig richtig, das was Sie sagen. Der Mensch verhält sich nicht eben nur ökonomisch. Und es gibt auch beispielsweise ganz eindeutig Verlierer der Globalisierung. Aber deswegen heißt es doch nicht, dass eben eine nach ökonomischen Rationalitätskriterien geleitete Wirtschaft gleichwohl für die Gesamtwirtschaft etwas Positives ist und es ist dann eben die Aufgabe des Staates, sich den Globalisierungsverlierern zu stellen und die zu kompensieren, nämlich. Nicht die Globalisierung gefährdet den Sozialstaat, sondern meines Erachtens ein konservierendes Festhalten an überkommenen Organisations- und Finanzierungsstrukturen. Die Wirtschaft ist dafür da, damit die gesamtwirtschaftliche Effizienz erhöht wird. Das ist letztlich Aufgabe der Wirtschaft. Und es soll möglichst viele Menschen daran partizipieren. Und wie gesagt, es ist Aufgabe der staatlichen Sozialpolitik, die Verlierer dieses Prozesses abzufedern beziehungsweise zu kompensieren.
Köhler: Immerhin ist mir gelungen, dass Sie mir das erste Mal zugestimmt haben: Der Mensch verhält sich nicht nur ökonomisch. Das heißt, Wirtschaften ist in diesem naiven Sinne alleine nicht mehr die Balance von Einnahmen und Ausgaben oder der Verwaltung knapper Güter, sondern - ich nenne es mal - eine Form der Verausgabung?
Rürup: Das ist natürlich auch richtig. Aber andererseits, schauen Sie: Wir bewegen uns jetzt in einem sehr abstrakt-philosophischen Rahmen. Aber Sie sind ja eingestiegen über die Befindlichkeit der Menschen. Und ich glaube, wir können sehr intensiv philosophieren und räsonieren, aber ich glaube, diese Sinnfragen nützen keinem Arbeitslosen, einen neuen Job zu bekommen. Das heißt, wenn wir den Arbeitslosen helfen wollen, dann müssen wir uns eben auf die Spielregeln der Wirtschaft einstellen und nicht uns überlegen, was denn menschgerechter, was denn schöner, was denn akzeptabler sei.
Köhler: Wir haben in der Vergangenheit heftige Diskussionen in der Öffentlichkeit erlebt um die Person Ackermann, um die Person Esser, um Herrn Kopper, jetzt auch Herrn Schrempp. Denken Sie, das wird auch noch mal die Diskussion um Offenlegung von Managergehältern beflügeln?
Rürup: Also ich verstehe die Debatte nicht. Meines Erachtens hat selbstverständlich jeder Aktionär, sollte ein Recht haben, zu wissen, was jeder Einzelne im Vorstand seiner Firma verdient. Nämlich schließlich sind die Vorstandsmitglieder die Angestellten der Aktionäre. Und deswegen, diese Debatte verstehe ich gar nicht. Für mich ist es selbstverständlich, dass in Publikumsgesellschaften eben diese Managergehälter offen gelegt werden sollten.
Bert Rürup: Nein, glaube ich nicht. Schauen Sie, steigende Aktienkurse sind das Ergebnis einer optimistischeren Zukunftseinschätzung hinsichtlich eines zukünftigen Unternehmenserfolges von Anlegern. Und positive Zukunfts-, Erfolgserwartungen führen dann eben zu einer steigenden Zahlungsbereitschaft und damit steigenden Aktienkursen. Ich glaube, das war in der Vergangenheit nicht anders als heute, nämlich der Aktienkurs reflektiert nicht das, was heute ist, sondern die Erwartung von morgen. Und ich glaube, das ist deswegen nicht überraschend. Aber, auf Ihre Frage, ich denke nicht, dass Deutschland die Arbeit ausgeht. Wohl aber können wir einen Wandel in der Organisationsform von Arbeit feststellen: So verliert das so genannte normale Arbeitsverhältnis, das ist die dauerhafte Vollzeitbeschäftigung bei wenigen Arbeitnehmern, schleichend an Bedeutung. Im Gegenzug steigen allerdings die Zahlen der Erwerbstätigen. Und, man muss auch wissen, zu jeder Zeit wurde immer die Art und Organisation von Arbeit von den jeweiligen Rahmenbedingungen geprägt. Das war in der durch klerikale Normen und durch die Zünfte geprägten frühen Neuzeit nicht anders als in klassischen Industriestaaten, in denen Arbeit standardisiert, massenhaft und in Kolonnen organisiert war. Und zu jeder Zeit gab es so etwas wie eine Sehnsucht nach der guten alten Zeit beziehungsweise der guten Arbeit. Und heute leben wir nun einmal - ob wir das wollen oder nicht - in einer Welt, die durch die technologischen Möglichkeiten der Digitalisierung von Arbeit gekennzeichnet ist, wodurch dann Arbeit ihren lokalen Bezug verliert. Und wir leben in einer Welt, die durch einen Druck auf die Arbeitskosten als Folge einer nie gekannten Offenheit der Güter- und Faktormärkte gekennzeichnet ist. Und das erfordert neue Formen von Arbeit, mehr Flexibilität hinsichtlich Arbeitszeiten und Lohnstrukturen. Und deswegen sind so Aussagen: Wir können uns nicht den chinesischen Löhnen stellen, sind abwegig - wir müssen es. Und ein Letztes: Wer stolz darauf ist, Exportweltmeister zu sein, und es gut findet, einen DVD-Player für 69 Euro kaufen zu können, der sollte dann nicht gegen die Globalisierung sein.
Köhler: Nicht die Quartalszahlen bei DaimlerChrysler, sondern das Ausscheiden hat ja der Aktie den Höhenflug bereitet. Sie haben das gerade eingangs erklärt - gleichwohl das in meinen Ohren immer noch im Bereich des Imaginären sich aufhält, denn es arbeitet mit Erwartungen, also nicht mit ...
Rürup: Also, an der Börse werden Erwartungen gehandelt, jawohl.
Köhler: Ja. Obwohl sich in den letzten drei Tagen ja bei DaimlerChrysler tatsächlich fundamental eigentlich nichts geändert hat. Meine Frage: Ist der Ort der Wertsteigerung heute nicht mehr in Industriebetrieben, im Bereich der Produktion, sondern andernorts?
Rürup: Also, ein Teil der Wertschöpfung liegt natürlich im Marketing, in Distribution und - in Deutschland - vor allem in der Entwicklung, im Engeneering. Das hat sich etwas verändert. Konkrete Verarbeitung hat in der Tat eine immer noch große, aber zurückgehende Bedeutung. Das wird man sagen können, ja.
Köhler: Deutschland hat im Moment - ich nenne es mal etwas pathetisch so - im mentalen Kernbereich eine Krise, nämlich im Bereich Sport und Autos. Also, Schmiergeldaffäre oder ökonomisches Doping oder wie immer man das nennen will. Wird also der Mehrwert im Bereich Nichtproduktion im Moment erwirtschaftet? Oder noch dramatischer gesagt: Sind wir dabei, einer Deindustrialisierung Deutschlands beizuwohnen?
Rürup: Das sehe ich nicht. Wir haben einen Rückgang des industriellen Bereichs, das ist völlig richtig. Aber nach wie vor hat Deutschland, nach Italien, den zweithöchsten Industrieanteil in der Welt. Das muss man einfach sehen. Von einer Deindustrialisierung im Vergleich zu anderen Staaten kann man nicht reden. Was möglicherweise der Fall sein kann, dass dieser Rückgang des industriellen Anteils - der in der Vergangenheit in Deutschland außerordentlich hoch war - relativ schnell erfolgt. Aber im Vergleich zu anderen Staaten kann man nicht von einer extremen Deindustrialisierung sprechen. Und auch die These, die in Ihrer Frage so mitschwang, dass durch das, was wir Globalisierung bezeichnen, das heißt, das Outsourcing, die Verlagerung von Wertschöpfung in andere Länder oder der teilweise Ersatz von Exporten durch Direktinvestitionen, hat nicht dazu geführt, dass in Deutschland die - wie der Ökonome sagt - Export induzierte Wertschöpfung abgenommen hat. Diese These, die gelegentlich vertreten wird mit Hinweis auf die in der Tat vielfältigen Verlagerungen, ist falsch. Es ist richtig, dass heute von jedem Euro, der im Export verdient wird, etwa 40 Cents ans Ausland gezahlt werden muss, eben für die bezogenen Vorlieferungen. Das war vor etwa zehn, zwölf Jahren nur 28 Cents. Allerdings muss man wissen, dass in der Vergangenheit der Anteil der Euros, die man im Export verdient hat, sehr viel rasanter gestiegen ist, dass nach wie vor - trotz dieser Phänomene, die wir eben beschrieben haben - der Export ein wichtiger Wachstumsmotor ist. Das heißt, die Export induzierte Wertschöpfung ist noch nicht zurückgegangen. Das Problem, was wir in Deutschland haben, ist kein Problem der Exportwirtschaft, der internationalen Wettbewerbsfähigkeit unserer exportorientierten Firmen, sondern dass wir es eben nicht schaffen, eine binnenwirtschaftliche Dynamik in Gang zu bringen, die dann im Inland die eben auch zum Teil freigesetzten Arbeitskräfte wieder aufnimmt.
Köhler: Ich nehme mal das Ereignis der vergangenen Woche um DaimlerChrysler - manche sprachen von Chaostagen bei DaimlerChrysler - auf, und da wird ja sicherlich noch einiges folgen. Ich will ganz gerne auf die Folgen für den so genannten kleinen Mann mal zu sprechen kommen. Nicht eine neue Baureihe, ein neues Produkt - wir haben es jetzt wiederholt gesagt - hat dafür gesorgt, dass die Aktie raufgeht, sondern der Rücktritt. Also ein Abschied hat für Börsengeschichte und Kapitalisierung der Volksaktie, kann man ruhig sagen, denn der Kleinanlegeranteil ist immerhin bei ein Drittel bei DaimlerChrysler, das ist ganz ordentlich. Früher, da hat man Vorräte auf der Kellertreppe gehortet. Das ist so die Oma-Wirtschaft, sage ich mal. Heute geht man an die Börse, um Vorräte zu horten?
Rürup: Man geht nicht heute an die Börse, um Vorräte zu horten, sondern man geht heute an die Börse, um an zukünftigen Unternehmenserfolgen zu partizipieren. Also eine Börse ist ein Zukunftsgeschäft. Für die Vergangenheit gibt der Börsianer wenig, sondern er gibt nur sehr viel für die Zukunft.
Köhler: Der Mensch ist - und jetzt werde ich mal sonntäglich - kein Homo oeconomicus alleine. Er ist nicht ein rein vernünftig, wirtschaftlich gesteuertes Objekt - das weiß jeder, der mal einen Unsinnskauf auf der Düsseldorfer Königsallee gemacht hat und sich hinterher fragt, warum er dafür so viel Geld ausgegeben hat, womit ich nichts gegen die Kö sagen will. Er wird von Wünschen geleitet, von Streben. Er ist eigentlich kein Homo oeconomicus, sondern - ich erfinde jetzt mal was - ein Homo appetitus. Ist Wirtschaft so gesehen nicht auch ein Stück weit unvernünftig, irrational? Sie kalkuliert - Sie haben es gesagt - mit dem Zukünftigen, also doch mit was Imaginärem, auf das ich mich eigentlich gar nicht verlassen kann?
Rürup: Das ist richtig. Aber das ist nun mal die ökonomische Perspektive. Und es ist völlig richtig, das was Sie sagen. Der Mensch verhält sich nicht eben nur ökonomisch. Und es gibt auch beispielsweise ganz eindeutig Verlierer der Globalisierung. Aber deswegen heißt es doch nicht, dass eben eine nach ökonomischen Rationalitätskriterien geleitete Wirtschaft gleichwohl für die Gesamtwirtschaft etwas Positives ist und es ist dann eben die Aufgabe des Staates, sich den Globalisierungsverlierern zu stellen und die zu kompensieren, nämlich. Nicht die Globalisierung gefährdet den Sozialstaat, sondern meines Erachtens ein konservierendes Festhalten an überkommenen Organisations- und Finanzierungsstrukturen. Die Wirtschaft ist dafür da, damit die gesamtwirtschaftliche Effizienz erhöht wird. Das ist letztlich Aufgabe der Wirtschaft. Und es soll möglichst viele Menschen daran partizipieren. Und wie gesagt, es ist Aufgabe der staatlichen Sozialpolitik, die Verlierer dieses Prozesses abzufedern beziehungsweise zu kompensieren.
Köhler: Immerhin ist mir gelungen, dass Sie mir das erste Mal zugestimmt haben: Der Mensch verhält sich nicht nur ökonomisch. Das heißt, Wirtschaften ist in diesem naiven Sinne alleine nicht mehr die Balance von Einnahmen und Ausgaben oder der Verwaltung knapper Güter, sondern - ich nenne es mal - eine Form der Verausgabung?
Rürup: Das ist natürlich auch richtig. Aber andererseits, schauen Sie: Wir bewegen uns jetzt in einem sehr abstrakt-philosophischen Rahmen. Aber Sie sind ja eingestiegen über die Befindlichkeit der Menschen. Und ich glaube, wir können sehr intensiv philosophieren und räsonieren, aber ich glaube, diese Sinnfragen nützen keinem Arbeitslosen, einen neuen Job zu bekommen. Das heißt, wenn wir den Arbeitslosen helfen wollen, dann müssen wir uns eben auf die Spielregeln der Wirtschaft einstellen und nicht uns überlegen, was denn menschgerechter, was denn schöner, was denn akzeptabler sei.
Köhler: Wir haben in der Vergangenheit heftige Diskussionen in der Öffentlichkeit erlebt um die Person Ackermann, um die Person Esser, um Herrn Kopper, jetzt auch Herrn Schrempp. Denken Sie, das wird auch noch mal die Diskussion um Offenlegung von Managergehältern beflügeln?
Rürup: Also ich verstehe die Debatte nicht. Meines Erachtens hat selbstverständlich jeder Aktionär, sollte ein Recht haben, zu wissen, was jeder Einzelne im Vorstand seiner Firma verdient. Nämlich schließlich sind die Vorstandsmitglieder die Angestellten der Aktionäre. Und deswegen, diese Debatte verstehe ich gar nicht. Für mich ist es selbstverständlich, dass in Publikumsgesellschaften eben diese Managergehälter offen gelegt werden sollten.