Freitag, 29. März 2024

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Glogowski, Niedersachsen und die Folgen

Heinlein: Am Telefon begrüße ich jetzt den CDU-Fraktionschef im niedersächsischen Landtag, Christian Wulff. Guten Morgen!

26.11.1999
    Wulff: Guten Morgen Herr Heinlein.

    Heinlein: Herr Wulff, warum haben Sie bisher nicht den Rücktritt von Ministerpräsident Glogowski gefordert?

    Wulff: Wir wollen nicht endgültig richten und vorverurteilen, bevor überhaupt die Vorgänge allesamt aufgelistet und ihnen nachgegangen worden ist. Das ist natürlich ein ernster Vorgang, der das Vertrauen in Politik, in Parteien an sich auch erschüttert. Eine Landesregierung mit einem Ministerpräsidenten quasi als Werbeträger, der selbst die eigene Hochzeit zu einer Verkaufsförderungsveranstaltung werden lässt, ist natürlich eine schwere Belastung. Wir haben aber gesagt, der Ministerpräsident soll sich einlassen, er soll alles offen legen. Das ist bis jetzt immer noch nicht geschehen. Es gibt eine Reihe von Widersprüchen. Es wurde anfangs behauptet, die Zeitungen würden lügen, und jetzt hat sich herausgestellt, die Regierung hat die Zeitungen belogen. Das ist schon alles sehr ernst, und vor diesem Hintergrund sind wir der Meinung, dass nur ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss das geeignete Gremium ist, um die Dinge aufzuklären. Es ist auch deshalb schwerwiegend, weil es sich um Wiederholungsfälle handelt, denn Ministerpräsident Glogowski ist vor gut zehn Jahren schon einmal einem Ermittlungsverfahren wegen Untreue im Zusammenhang mit den Stadtwerken Braunschweig unterzogen worden, wo Steuergeld veruntreut gewesen sein soll und dann 12.000 Mark gezahlt wurden, um das Verfahren zur Einstellung zu bringen.

    Heinlein: Glauben Sie denn, Herr Wulff, dass der Rücktritt von Gerhard Glogowski nach bisherigem Kenntnisstand noch zu verhindern ist?

    Wulff: Ich meine, das ist nicht unsere Aufgabe, den Rücktritt zu verhindern, sondern den Rücktritt hinzunehmen, wenn er selber zu diesem Schluss kommt. Es kann natürlich sehr wohl sein, auch schon in diesen Stunden. Nur an diesen Spekulationen möchte ich mich nicht beteiligen. Ich glaube, das Parlament hat eine klare Aufgabe. Die Opposition muss die Regierung kontrollieren. Diesem Dickicht aus Aufsicht, Kontrolle, Verwicklungen zwischen Aufsichtsräten und Politik muss nachgegangen werden. Es darf nicht der Eindruck entstehen und bleiben, eine Hand wische dort die andere und es sei alles miteinander verwoben zum jeweiligen Vorteil des Ministerpräsidenten. Schließlich muss die Bevölkerung das Grundvertrauen haben in die Unabhängigkeit einer Landesregierung und integeres Handeln.

    Heinlein: Was glauben Sie denn ist das Motiv für einen Ministerpräsidenten, sich seine Hochzeitsfeier von einer Brauerei sponsern zu lassen? Ist das die Lust an der gesparten Mark oder einfach politische Instinktlosigkeit?

    Wulff: Ich glaube, es ist die völlig fehlende Distanz zu Sachen, zu Personen, zu Dingen, die man in der Politik braucht, also eine Grundsensibilität, dass man Dienstliches und Privates relativ strikt trennt, dass man fließende Übergänge mit äußerster Vorsicht behandelt. Jeder Polizeibeamte, jeder Beamte eines Staatshochbauamtes, einer Vergabestelle hat natürlich gar kein Problem, Freunde aus der Wirtschaft in seinem Feld zu bekommen und beispielsweise auch Zuwendungen im Zusammenhang mit Festen, Feiern und privaten Dingen. Es darf nur eben nicht sein. Es muss jeder Eindruck von Korrumpierbarkeit schon im Ansatz verhindert werden. Es darf gar nicht erst zur Korruption kommen, sondern es muss der Anschein von Korrumpierbarkeit, von Abhängigkeiten, von Sponsoring von Politik und Politikern vermieden werden. Das ist hier alles völlig fließend, und das über Jahrzehnte in der Heimatstadt des Ministerpräsidenten mit seinem, ihm eigenen Umfeld. Das ist eine schwere Belastung, und aus dem hat er sich nie gelöst. Deswegen fehlen ihm eigentlich die Voraussetzungen - ich würde es hart formulieren wollen -, letztlich auch die Voraussetzungen für die Würde des Amtes des Ministerpräsidenten. Er ist der falsche Mann am falschen Platz.

    Heinlein: Wie stark, Herr Wulff, profitiert denn Ihre Partei, die CDU in Niedersachsen von dieser Affäre?

    Wulff: Man muss ganz klar erkennen, dass erst einmal alle Parteien und Politiker Schaden nehmen, da wir ja auch im Moment mehrere solcher Art von Fällen haben. Das kann nicht gut sein. Wir stehen vor diesen Veröffentlichungen hervorragend da. Wenn Sonntag Landtagswahlen wären, würden wir die absolute Mehrheit der Sitze bekommen, sagen uns die Umfrageinstitute im Auftrag der Rundfunkanstalten. Insofern bedauern wir, dass jetzt am Sonntag nicht Landtagswahl ist, sondern erst 2003, wenn nicht die Wahl wiederholt werden muss, was ja noch beim Staatsgerichtshof anhängig ist. Wir machen unseren Job, und es gilt in diesem Bereich, die Regierung zu kontrollieren und eigene Alternativen aufzuzeigen. Aber die Politik insgesamt nimmt bei solchen Vorgängen und Vorwürfen Schaden. Sie müssen ja die Beamtenfamilie sehen, die mit zweieinhalb Tausend Mark als Familie durchkommen muss und sich auch überlegen muss, wie finanzieren wir denn die Hochzeit und Reisen unserer Kinder und die eigenen. Wenn dann andere Einkommen wie in der Politik vorliegen, die für die Politiker, die Tag und Nacht arbeiten, sicher nicht so hoch sein müssen, dann müssen sie diese dann schon nutzen, um ihre privaten Dinge selber zu bezahlen.

    Heinlein: Sie sagen mit Recht, Herr Wulff, es gibt mehrere Arten von Fällen. Gemeint ist sicherlich auch die Spendenaffäre Leisler-Kiep. Dort gab es heute neue Enthüllungen der "Süddeutschen Zeitung" über schwarze Kassen Ihrer Partei, der CDU. Was wissen Sie über diese Kassen?

    Wulff: Wir haben ja als CDU Deutschlands keine Einsicht in die Unterlagen. Insofern sind wir auf Zeitungsmeldungen angewiesen. Konten und mehrere Konten, die man feststellt, müssen ja keine schwarzen Konten sein. Die können ja ordnungsgemäß geführt und im Rechenschaftsbericht ausgewiesen sein. Uns ist nach wie vor nur dieser Vorgang bekannt geworden vor wenigen Wochen durch die Meldungen aus dem Ermittlungsverfahren, diese eine Million Mark, die geflossen sei, die bei der Partei nie angekommen ist. Weitere Fälle kennen wir nicht. Was jetzt immer wieder aufgebauscht wird aus dem Jahre 1995 mit der Stückelung von Parteispenden, das ist vom Präsidium des deutschen Bundestages geprüft worden und als völlig rechtlich in Ordnung betrachtet worden. Wenn fünf Einzelfirmen fünfmal eine Spende machen, dann ist das anders zu behandeln als eine Spende eines Unternehmens. Schließlich müssen die fünf Teile auch jeweils die Spenden versteuern und haben es offensichtlich auch getan. Hier wird auch mit alten Vorwürfen eine Sache am kochen gehalten. Aber ich finde den eigentlichen Vorgang im Zusammenhang mit der Million so schwerwiegend, dass er restlos aufgeklärt werden muss. Die CDU Deutschlands wird sich in jeder Weise daran beteiligen. Wir müssen dann überlegen und überlegen das ja auch schon im Präsidium, welche Schlüsse wir für die jetzige Zeit daraus ziehen, dass so etwas überhaupt nicht vorkommen kann. Es ist auch versichert worden, es gäbe so etwas heute überhaupt nicht.

    Heinlein: Schließen Sie schwarze Kassen, schließen Sie Treuhandkonten für die CDU-Finanzierung aus?

    Wulff: Ein Treuhandkonto ist ja keine schwarze Kasse, wenn die Zahlen dieses Treuhandkontos allesamt im Rechenschaftsbericht auftauchen. Davon gehe ich aus. Im Präsidium ist versichert worden, von der heutigen Parteiführung, von den Verantwortlichen, dass so etwas ausgeschlossen wird und nicht vorkommt, dass jede eingehende Mark auch ordnungsgemäß verbucht und ausgewiesen wird, dass dies Vorgänge aus Zeiten sind, für die wir heute nicht haftbar zu machen sind, nicht verantwortlich sind, die jetzt die Parteiführung bilden. Ich schließe das aus!

    Heinlein: Die Verantwortung liegt also bei Helmut Kohl, dem damaligen Parteivorsitzenden?

    Wulff: Ich meine, man sollte jetzt nicht richten, wo das Ermittlungsverfahren läuft. Ich gehe davon aus - und das unterstelle ich als sicher -, dass Helmut Kohl von diesen Vorgängen und von diesem Vorgang nichts gewusst hat. Das hat er erklärt, und daran gibt es auch gar keinen Zweifel zu üben. Nur wenn das eben möglich war, dass so etwas jenseits der Partei stattgefunden hat, dann muss man zumindest überlegen, wie man die Finanzordnung - und daran sind wir mit Bundesschatzmeister, Bundesvorstand und Generalsekretärin gegangen - gegebenenfalls so ändert, dass die Bundesschatzmeisterei wieder ganz eng an das Präsidium, an den Vorstand herangeführt wird, damit so etwas eben ausgeschlossen wird.

    Heinlein: Der niedersächsische CDU-Fraktionsvorsitzende Christian Wulff heute Morgen hier im Deutschlandfunk. - Herr Wulff, ganz herzlichen Dank für dieses Gespräch.

    Link: (Willfried Penner, SPD zurParteispendenaffäre der CDU (22.11.99)==>/cgi-bin/es/neu-interview/462.html)