Montag, 13. Mai 2024

Archiv

Glosse
Das Wirken Gottes im Kolosseum

Sprachliche Katastrophen, die schlechtesten Dopingkontrollen und für einige Athleten die generell schlechtesten Spiele - Olympia in Rio hat Jürgen Roth im Kaugummifernsehen gesehen. Allmächd, allmächd, der Sport ist schlecht.

Von Jürgen Roth | 21.08.2016
    Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
    Leere Tribünen beim Turmspringen während der Olympischen Spiele in Rio (Carsten Upadek)
    "Was ist das Beste, was euch hier am meisten gefällt?" fragte im ARD-Morgenmagazin der wie immer irisierend indisponierte Peter Großmann die Wildwasserkanuten Franz Anton und Jan Benzien. Irgendwas Bestes gefiel ihnen am meisten, es ist uns auf Grund von Belanglosigkeit entfallen. Eine Antwort anderer Art gab dann kurz vor dem Abschluß der Festwochen des Sportkapitals Martina Strutz, die Sprecherin der Leichtathleten: "Das sind die schlechtesten Spiele, die wir je hatten." Da hatte die Diskuswerferin Julia Fischer bereits zu Protokoll gegeben, "das ganze olympische Dorf", das mit vermutlich extrasmarten Kondomautomaten bestückte, sei aufs widerwärtigste "mit Werbung zugeklatscht".
    Der ARD-Fachmann Hajo Seppelt sprach gestern von den "schlechtesten Dopingkontrollen, die es jemals bei Olympischen Spielen gegeben hat". Und im ZDF, im Interview mit dem angenehm distanzierten Sven Voss, der über die verlogene "Folklore" rund um Michael Phelps spottete, schilderte Elmar Theveßen, wie sich Sportler und Trainer allenthalben "beschimpfen und beleidigen", weil man "anderen unterstellt, daß sie Dopingtäter sind". Der olympische Geist? In Hochform.
    Auch die ehemalige Testosteronbombe Kristin Otto zog ohne Unterlaß inbrünstig über die von jedermann niedergemachte russische Brustschwimmerin Julia Jefimowa her. "Im Grunde ist das so", hieß es in der taz, "als würde man den Steuerbetrüger Uli Hoeneß als Moderator einer TV-Ratgebersendung über Steuerspartips einstellen." Derweilen grübelte die FAZ, "wie man sich die Dominanz der amerikanischen und der australischen Schwimmer erklären soll". Vielleicht durch das Wirken Gottes, wie etwelche Langläufer und Sprinter beteuerten? Allmächd, allmächd, der Sport ist schlecht. Er ist komplett im Kübel. Er ist eine Ruine vom Ausmaß des Kolosseums.
    Einfältige Viel- und Nachsager
    Die Geher? Man gehe uns weg! Gewichtheben? Ein schauriger Scherz. Radfahren? Hihoha. Die Leichtathletik? Hätte sich am besten, so neuerlich die taz, "selbst als Ganzes von den Spielen ausgeschlossen". Oder von den, wie es eine deutsche Starterin ausdrückte, "sich aufhaxenden" Sportschützen wegballern lassen – die bei uns neben den Judoka und anderen Zentrifugalweltleistern durch vollendete TV-Untauglichkeit punkteten; und die, nebenbei, die guten Reporter abbekamen.
    1908 hatte Pierre de Coubertin gesagt: "Das Wichtigste ist nicht zu siegen, sondern teilzunehmen; wie es im Leben unerläßlich ist, nicht zu besiegen, sondern sein Bestes zu geben." In diesem hehren Sinne freute sich der ZDF-Schwimmexperte Christian Keller, daß irgendwer "die Muskelpakete", die sauber geschnürten, "sehr sensibel ins Wasser bringt", sensibler als Amazon oder wer. Sobald jedoch unsere betörend erfolglosen Stammesbrüder und -schwestern ins Naß hüpften, japste und jaulte der von sich selbst bedröhnte, weidwunde Tom Bartels gleich einem Hund, an dessen Schwanz man ein Feuerzeug hält.
    Anschließend maulte Franziska van Almsick, eine dieser, wie sie Thomas Kapielski charakterisiert, "gut abgerichteten Bekanntgeber und einfältigen Viel- und Nachsager", herum: "Es kann nicht jeder seinen Saft machen"; quetschte allerdings angesichts des erhebenden Besuchs von Maria Höfl-Riesch erregt aus sich heraus: "Wenn du dann so ’nen Winterpeople in die Sommerspiele trägst, das ist schon was Besonderes." Nämlich – läßt man sich den Satz mit van Almsick "ein bißchen auf dem Mund zergehen" – ein besonders eindrückliches Zeugnis der nahezu flächendeckenden Sprachverschrottung durch unsere Rechteverwertungsrepräsentanten in den ideologischen Staatsfernsehapparaten.
    Jessy Wellmer vom "offiziellen Olympiasender" ARD, der gemeinsam mit dem ZDF dreihundert Stunden Kaugummifernsehen zusammenleimte, überzeugte in den dreistündigen "Highlightshows" vermöge ihrer juvenil-dümmlichen, ostentativen Schnoddrigkeit, vermöge ihres pausenlos "rausgehauenen" Gequaddels von wegen "klasse" und "tollen" "Challenges". Im Geiste Wellmers "lustig vor sich hin zu moderieren" vermochte im Rahmen "des größten Liveangebots, das es je gegeben hat", auch der unerträglich prätentiöse Flachjuxbaddel Alexander Bommes (ARD), der mal, zwinker-klimper, "eine ganz schön mörderische Nummer" avisierte, mal die "Absahnersportart" Reiten anmoderierte, mal einen "Vollabschuß der deutschen Handballnationalmannschaft" bejubelte – sofern er nicht was anderes "spektakulär", "super" oder "cool" fand, ganz auf der Linie Thomas de Maizières liegend, der in einer Schalte über die, jawohl: "Spektakularität" des Sports irreredete.
    "Fußballschwermut"
    Leider ist es uns hier nicht vergönnt, den Herrenreiterfreund Carsten Sostmeier zu würdigen, geschweige denn den entfesselt dissoluten Delling, Gerhard, der unterdessen ausnahmslos jeden Halbsatz verpfuscht und das Sportfernsehen auf Kindergeburtstagsniveau heruntergrinst.
    Immerhin loben aber wollen wir Wolf-Dieter Poschmann, dem bei Brasilien gegen den Irak das treffliche Wort "Fußballschwermut" einfiel. Preisen müssen wir Steffen "Mitten im Saft" Simon, der seine Strandaufenthalte durch ausgedehnte, gepreßt-prollige, peinliche Schreiereien legitimierte, zuletzt während des Männerfußballfinales. Und begrüßen möchten wir ohnehin die allumfassende Scheinheiligkeit der gesamten Quatschveranstaltung.
    Und da wir diesmal zudem in den Genuß von Golf und Frauenrugby kamen, treibe man die Versportung der Welt in vier Jahren weiter voran – mit Beachcurling und Autoeinparken.
    Verbindlichen Dank im voraus.