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Glosse
Digitales Logbuch: Hunde-Handy (Teil 3)

Als die SMS kam, dachte ich, ich lese nicht richtig: "Um zwei Uhr unten beim alten Audi an der Birke. Pinscher."

Von Maximilian Schönherr |
    Eine Illustration: Man sieht einen Schattenriss eines Hundekopfes, einen Mann, der vor einem Auto davonläuft  und über die linke Seite des Bildes verteilt den Binärcode der Zahlen 0 und 1.
    "Ich machte Tante Annie vom Phoneshop wochenlang Vorwürfe, meinem Hund ein Smartphone geschenkt zu haben." (Hans-Jörg Brehm / epict)
    Pinscher war mein Hund gewesen, mein verstorbener Hund, der vom 132er-Bus überfahren wurde, als er in der Hunde-VZ auf seinem Smartphone herumsurfte.
    Ich machte Tante Annie vom Phoneshop wochenlang Vorwürfe, meinem Hund ein Smartphone geschenkt zu haben. Völlig unverantwortlich! Sie sagte, auch Haustiere müssten mit der Technik gehen und lieh mir zum Trost eine Smart-Brille aus ihrem Sortiment. "Solche Datenbrillen machen dir bisschen virtuelle Realität und muntern dich auf", sagte sie.
    Im Display dieser Brille blinkte also jetzt oben links kurz nach Mittag die SMS auf:
    "Um 2 Uhr unten beim alten Audi an der Birke. Pinscher."
    Ich kannte die Stelle gut. Pinscher liebte sie, aber mich zog absolut nichts dahin, wo es kein LTE, nicht einmal 3G, höchstenfalls Edge gab.
    Während ich die Straße hinunterging, wurde es so dunkel, dass die Straßenlaternen angingen. Ein Unwetter braute sich zusammen. Als ich mich der Birke näherte, donnerte es gewaltig, und in der Ruhe vor dem großen Regen und dem nächsten Blitz passierte es: Zwei müde, gelbe Scheinwerfer gingen an, ein schwerer Motor startete, eine Handbremse löste sich ächzend. Aus dem Schwarz rollte der alte Audi langsam auf mich zu. Neue SMS: "Einsteigen!"
    Die Fahrt, die nun begann, war rasant. Ich saß auf dem Beifahrersitz, konnte aber wegen der Dunkelheit und wegen des Dampfs, der aus den Sitzen stieg, nicht erkennen, wer am Steuer saß. Ich hörte manchmal von dort ein Heulen, ähnlich wie Pinscher geheult hatte, wenn es ihm besonders gut ging.
    Meiner Vorstellung, untote Hunde könnten Autos steuern, bereitete eine Nachricht auf der Windschutzscheibe ein jähes Ende: "Low Battery". In dem Moment bremste der Wagen so heftig, dass mir die Brille von der Nase fiel – und dann wurde es taghell, ich sah die Küchenmöbel um mich herum, und die Sonne schien zum Fenster herein, als sei nichts gewesen. Die smarte Datenbrille von Tante Annie hatte mich gefoppt. Ich rieb mir die Augen. Natürlich keine Spur von Pinscher. Verdammte Virtuelle Realität.