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Glotz gegen Rauswurf Lafontaines

Stefan Heinlein: Am Telefon ist Peter Glotz, ehemaliger SPD-Bundesgeschäftsführer und heute Professor an der Universität St. Gallen. Guten Tag.

Moderation: Stefan Heinlein |
    Peter Glotz: Ich grüße Sie.

    Heinlein: Was erwarten Sie - wird Lafontaine kleinbeigeben und der SPD Lebewohl sagen?

    Glotz: Das wird er nicht, so ist er nicht gebaut. Aber ich halte es für denkbar, dass er sich einer anderen politischen Gruppierung anschließt und dann eben die SPD verlässt. Das kann ich zwar nicht aus irgendwelchen intimen Kontakten mit ihm sagen, aber wenn man sich die Logik seiner öffentlichen Äußerungen und Aktivitäten in den letzten Wochen ansieht, dann läuft die eher auf eine Konfrontation zu als auf Resignation.

    Heinlein: Welche politische Strategie steckt denn hinter diesem konfrontativen Verhalten? Will er seiner Partei bewusst schaden?

    Glotz: Nein, das glaube ich nicht. Sie müssen einfach sehen, der Mann ist der festen, tiefen inneren Überzeugung, die SPD mache derzeit eine falsche Politik und Schröder führe sie ins Unglück und dieser Überzeugung gibt er Ausdruck. Ich vergleiche ihn für mich selbst gelegentlich mit Karl Schiller, nicht als Person, der war als Ökonom natürlich viel bedeutender, aber der hat irgendwann im Wahlkampf 1972 mit Ludwig Erhard gegen uns Wahlkampf gemacht und irgendwann später kam er dann (übrigens ermöglicht durch Oskar Lafontaine) wieder in die SPD zurück. Also so etwas kann natürlich passieren. Menschen können plötzlich den Eindruck bekommen, meine Partei macht Fehler, das kann ich nicht mehr mittragen und muss mich öffentlich dagegen äußern. Ich bin dagegen, das zu moralisieren, aber es kann natürlich ein Tatbestand eintreten, wo man nicht mehr miteinander Politik machen kann.

    Heinlein: Die PDS in Gestalt von Herrn Bisky wirbt ja sehr offen um Herrn Lafontaine. Könnte das auch eine Möglichkeit sein, dass Oskar Lafontaine gemeinsam mit Gregor Gysi für die PDS bei kommenden Wahlen antritt?

    Glotz: Es gibt ja nur zwei Möglichkeiten: das eine ist die PDS und das andere diese neue Alternative, die irgendwelche bayerischen IG-Metaller gegen die SPD lancieren. Ich kann das nicht beurteilen. Herr Gysi und Herr Bisky sind ja seriöse Leute, aber an der Basis hat er halt viele Altkommunisten, das ist ein gewisses Problem. Im Osten ist diese Partei sehr stark, aber an sich ist er ja als jemand, der sehr kritisch gegenüber der Wiedervereinigung war, nicht gerade der 'geniale Typ für die Ossis'. Bei der Westpartei hat er das Problem, dass sich da alle Verrückten der Nation sammeln und um diese Gruppe herum, ich bezeichne nicht die Gründer als verrückt, aber um sie herum versammelt sich der ganze 'lunatic fringe' wie die Briten sagen. Also alle früheren DKP-Leute, KPD und was es sonst noch an wildgewordenen Idealisten gibt. Und ob er mit so einem Verein auftreten will, muss er sich halt sehr genau überlegen. Was er sich da aber überlegt bei dieser Alternative, das müssen sie ihn schon selber fragen.

    Heinlein: Was überlegt sich denn die SPD, wie lange kann und will sie sich das parteischädigende Verhalten des ehemaligen Vorsitzenden betrachten? Ist jetzt nicht der Zeitpunkt gekommen, Oskar Lafontaine aus der Partei auszuschließen oder muss man tatsächlich warten, bis er selber geht?

    Glotz: Nein, aber man muss warten, bis er sozusagen gegen die SPD kandidiert, öffentlich läuft mit einer anderen Gruppierung. Dann ist er automatisch draußen, das ist satzungsgemäß. Aber ich halte die Politik der Führung für richtig, dass sie mit ihm nicht jetzt ein Ausschlussverfahren inszeniert, denn der Mann hat die Partei ja nicht unflätig beleidigt, Meinungsdelikte gibt es in der SPD nicht, sie müssten durch alle möglichen Kommissionen gehen und ob am Schluss die Bundesschiedskommission ihn ausschließt, wäre völlig offen. Das sollte die Partei nicht auf sich nehmen. Wir haben eine völlig klare Satzung und die sagt, wenn jemand gegen uns Wahlkampf macht, dann ist er draußen, aber die Tatsachen dass er gegen Hartz IV ist …

    Heinlein: Aber der Auftritt in Leipzig war doch, wenn man so will, eine Wahlkampfveranstaltung für die PDS oder zumindest für Kritiker der SPD.

    Glotz: Das finde ich auch, aber so einfach ist das nicht. Die SPD ist mit der PDS auch in bestimmten Landesregierungen in der Koalition und ich sage noch mal: Meinungsdelikte gibt es nicht in der SPD. Daher halte ich die Politik der Parteiführung für vollkommen richtig. Im Übrigen muss man da gar nicht lang rumschwätzen. Das geht jetzt noch zwei oder drei Monate und dann tritt er entweder aus oder das Ganze hat sich überlebt. Wenn er wirklich mit der Absicht ausgeschlossen zu werden jetzt zur PDS oder irgendeiner anderen Partei geht, dann wird er ausgeschlossen. Das kann er sich aussuchen.

    Heinlein: Man kann auch die Frage stellen, ob die SPD Oskar Lafontaine noch ein bisschen als eine Art Sündenbock braucht für Wahlschlappen wie jetzt im Saarland oder in 14 Tagen wahrscheinlich in Brandenburg und Sachsen?

    Glotz: Nein, das glaub ich nun wiederum nicht. Sehen Sie sich mal das Echo aus dem Saarland an. Da wird zwar gesagt, dass das geschadet hat, was man auch gar nicht bestreiten kann, aber es wird nicht so getan, als ob Lafontaine der einzige Schuldige da sei. Also mit Sündenbock ist es nicht so viel und man darf eine Person auch nicht überschätzen. Natürlich ist das sehr schädlich, aber ich halte auch da, muss ich sagen, die Reaktionen von Müntefering und Bennetter für richtig, die waren sehr gemäßigt.

    Heinlein: Dennoch stellt sich die Frage: in der Vergangenheit wurden ja Genossen wie etwa der jetzige Generalsekretär Bennetter wegen vergleichsweise geringer Delikte aus der Partei ausgeschlossen. Ist das nicht eine Frage der Glaubwürdigkeit, dass man Oskar Lafontaine jetzt tatsächlich den Stuhl vor die Tür stellt?

    Glotz: Sie täuschen sich. Herr Bennetter ist jetzt sicherlich ein vollkommen resozialisierter Sozialdemokrat. Ich kenne ihn nicht gut, aber der hat damals mit den Kommunisten paktiert. Das ist viel schlimmer, als wenn man gegen irgendwelche Sozialgesetze ist. Das war auch zu einer ganz anderen Zeit. Also bei Kommunisten vor 1989 haben wir Sozialdemokraten immer ganz klare Striche gezogen und das war auch notwendig.

    Heinlein: Und die Frage einer Resozialisierung von Oskar Lafontaine stellt sich nicht?

    Glotz: Ich nannte Karl Schiller. Irgendwann war der wieder auf unseren Parteitagen und wurde mit freundlichem Applaus begrüßt, wenn auch sehr viel später. Das kann ich nicht vorhersagen. Ich bin eben nur dagegen, Leute, die plötzlich einen Raptus bekommen wie man in meiner Heimat gesagt hat, die plötzlich innerlich der festen Überzeugung sind, sie müssen nun gegen alle ihre Freunde losrennen, so sind Idealisten. Ich behaupte nicht, dass Lafontaine ein lupenreiner Idealist ist, der ist auch gelegentlich ein lupenreiner Populist, da mischt sich vieles, aber den Grundimpetus, er fühlt sich von Schröder betrogen, er ist der Meinung, man muss eine ganz andere keynesianische Politik machen, Albrecht Müller hat gerade das Buch geschrieben zu seiner Ökonomie, das darf man dem Mann nicht abstreiten und deswegen ist das mit dem Ausschließen nicht so einfach. Sie sehen, ich bin nicht immer hundertprozentig einig mit der Führung meiner Partei, aber in diesem Fall halte ich die Verhaltensweisen von Franz Müntefering für angemessen.
    Der ehemalige SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine auf der Montagsdemonstration in Leipzig, 30.8.2004
    Der ehemalige SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine auf der Montagsdemonstration in Leipzig, 30.8.2004 (AP)