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Glotz: Zentrum gegen Vertreibungen muss nicht in Berlin angesiedelt sein

Breker: Der Bundeskanzler ist heute zu einem eintägigen Besuch nach Prag gereist. Bei den Gesprächen von Gerhard Schröder mit dem tschechischen Ministerpräsidenten Spidla dürfte es vor allem um den EU-Beitritt des Landes gehen. Beraten werden soll auch die geplante europäische Verfassung, denn die tschechische Regierung hat hier noch einige Fragen. Ein weiteres Thema dürfte die Vertriebenen-Problematik sein, der Vorschlag, in Berlin ein Zentrum gegen Vertreibung einzurichten. Wir erinnern uns: Gerhard Schröder holt heute einen Tschechien-Besuch nach, den er im vergangenen Jahr abgesagt hatte. Anlass damals waren Äußerungen von Spidlas Vorgänger Zeman, der die Sudetendeutschen als "fünfte Kolonne Hitlers" bezeichnet hat. Telefonisch verbunden bin ich nun mit Peter Glotz. Er ist Initiator und Befürworter dieses Zentrums gegen die Vertreibung. Guten Tag, Herr Glotz.

    Glotz: Guten Tag.

    Breker: Herr Glotz, wie wichtig ist Ihnen der Standort Berlin für dieses Zentrum?

    Glotz: Wenn die Deutschen über und gegen Vertreibungen - nicht nur Vertreibung, denn es geht nicht nur um die von 1945 - kommunizieren sollen, müssen sie das in Deutschland tun, denn sie werden deswegen nicht in ein anderes Land fahren. Dann bin ich für eine Stadt, in der viele Menschen leben und in die auch viele Menschen kommen, sonst brauchen sie gleich mal eine Million Euro Marketing-Etat, um die Leute nach Görlitz oder Wunsiedel oder was man sich noch für Ideen machen könnte hinzuholen. Das ist unpraktisch.

    Breker: Nun gibt es aber Widerstand gegen diesen Standort Berlin. Nicht nur hier bei uns in der Bundesrepublik Deutschland, sondern auch etwa in Polen oder Tschechien. Auch der tschechische Ministerpräsident Spidla ist wie sein Partner Gerhard Schröder, der deutsche Bundeskanzler, gegen dieses Zentrum in Berlin.

    Glotz: Das ist ja im Prinzip sein gutes Recht. Man sieht aber an den Gegenvorschlägen - der polnische Präsident hat Sarajevo vorgeschlagen -, dass das lauter Ideen sind, aus denen nichts werden wird. Auch wenn einer Breslau vorschlägt, muss er erst noch den Widerstand der Polen gegen ein solches Zentrum überwinden. Das ist derzeit alles nicht sichtbar. Eines muss ich schon sagen: Die Deutschen sollten sich von niemandem verbieten lassen, über ihre eigene Vergangenheit nachzudenken und daraus Konsequenzen zu ziehen. Ich würde mir auch nie die Frechheit erlauben, den Polen vorzuschreiben, welche Art von Museen sie machen wollen und wie sie zum Beispiel ihre Vertreibungen, ihr Verhältnis zur Ukraine und zu Litauen und zu anderen Ländern darstellen und wie sie sich damit auseinandersetzen wollen. So weit geht die EU nicht. Sie geht um den Binnenmarkt, um Wettbewerbsrecht und um den Euro in Gottes Namen, aber nicht um Kulturpolitik.

    Breker: Steht aber damit nicht die Gründung des Zentrums unter einem schlechten Stern?

    Glotz: Wir greifen damit ein hochkontroverses Thema auf. Ich sage es noch einmal: Es geht nicht nur um die Vertreibung der Deutschen. Es geht auch um die der Bosnier oder der Kosovo-Albaner oder die der Serben in der Krajina. Es geht auch um die der Armenier im Jahre 1915. Aber dass sie alle aufschreien? Sagen Sie mal in der Türkei: Genozid an den Armeniern. Da werden Sie gleich verhaftet, wenn Sie Pech haben. Sagen Sie im Balkan, in Kroatien, dass da 200.000 Menschen von Tutschman - Serben nämlich - vertrieben worden sind, oder sagen Sie in Serbien was über die Vertreibung von Kosovo-Albanern. Alle sind dagegen. Man soll das höchst allgemein - politisch korrektes Gesäusel nenne ich das - debattieren, aber bitte nicht konkret werden. Da sind wir allerdings anderer Meinung.

    Breker: Die Kritik, Herr Glotz, die an dem Standort geäußert wird, bringt aber doch einen Argwohn zu Tage, der verständlich ist.

    Glotz: Schauen Sie mal auf das reelle Berlin: Regiert von SPD und PDS, bankrott, eher links und grün als irgendetwas anderes. Ich verstehe natürlich die historischen Hinweise. Wissen Sie, mir muss man das ja aber nicht sagen. Ich war immer für Bonn als Hauptstadt. Wenn die Regierung dort residieren darf und das Parlament dort residieren darf, ohne dass ständig an die Wannsee-Konferenz oder an die Germanisierungspolitik Preußens erinnert wird, wird ja wohl auch noch ein kleines Museum dort sein dürfen. Das ist doch inkonsequent. Wo sind denn die Proteste dagegen, dass die Regierung nach Berlin gezogen ist?

    Breker: Herr Glotz, noch einmal: Der Gedanke, die Vertreibung zu thematisieren, ins Bewusstsein der Menschen zu bringen- kann man zulassen, dass der unter der Wahl des Standortes leidet?

    Glotz: Ich sage noch einmal: Ich bin auf Berlin gar nicht festgelegt. Sie können das auch in München machen. Sie laufen natürlich das Risiko, dass sich die Menschen daran erinnern, dass das mal die Stadt der Bewegung war. Verstehen Sie mich richtig: Der Punkt ist gar nicht Berlin. Der Punkt ist, dass in diesem Zentrum auch die Vertriebenen eine Rolle spielen sollen. Es ist der Verdacht gegen den Vertriebenenverband, den ich wieder zurückholen will aus einer Domäne CDU/CSU, aus einer rechten Domäne in die Mitte der Gesellschaft. Ich verstehe ja den Widerstand, denn zwischen 1968 und Anfang der neunziger Jahren haben diese Vertriebenenverbände sicher eine furchtbare Politik betrieben. Im übrigen gibt es auch heute noch den einen oder anderen schlesischen oder sudetendeutschen Funktionär, der Dinge sagt, die ich keineswegs unterschreiben würde. Auf der anderen Seite hat die Debatte, die jetzt begonnen hat, auch durchaus befreiende Wirkungen. Es werden Dinge gesagt, die falsch sind, die aber provozierend sind, auf der anderen Seite wieder etwas provozieren. Dadurch entsteht endlich einmal nicht nur politisch korrektes Gesäusel, sondern wirkliche Auseinandersetzungen.

    Breker: Zum Standort: Sie, Herr Glotz, sind nicht festgelegt?

    Glotz: Nein, ich bin sogar sehr interessiert, dass man mal unter der Moderation von irgendjemandem, den beide Seiten akzeptieren, mit denen, die die Resolution von Markus Meckel unterschrieben haben, redet. Dann muss man auch mit möglichen Financiers reden. Wenn die Bundesregierung sagt: Nicht in Berlin, und sagen würde: in XY ja, müsste man natürlich darüber nachdenken. Genau so könnte man als Financier auch an den Europarat denken. Das ist also eine offene Diskussion, in die ich offen hineingehe.

    Breker: Peter Glotz war das in den Informationen am Mittag im Deutschlandfunk. Er ist für ein Zentrum gegen Vertreibungen, nicht nur in Berlin