Montag, 29. April 2024

Unkrautvernichter
Entsteht Glyphosat in der Kläranlage?

Das Herbizid Glyphosat wird durch den Regen vom Acker in Flüsse und Bäche geschwemmt. Eine Chemikerin aus Tübingen glaubt nun aber, dass es noch eine weitere wichtige Quelle gibt: Kläranlagen.

Von Arndt Reuning | 11.04.2024
    Luftaufnahme einer großen Kläranlage mit den dafür typischen, großen Wasserbecken
    In Kläranlagen könnten große Mengen von Glyphosat entstehen, vermuten Forschende aus Tübingen. (Imago / Markus van Offern)
    Das Herbizid Glyphosat wird bei Regen von den Feldern in die Gewässer gespült. Doch Forschende aus Tübingen haben nun die Theorie, dass die Landwirtschaft nicht die Hauptquelle für die Glyphosat-Belastung in Flüssen und Bächen ist: Verantwortlich dafür sollen vielmehr bestimmte Prozesse in Kläranlagen sein. Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Thema.

    Was ist Glyphosat und wozu wird es eingesetzt?

    Glyphosat ist ein Wirkstoff in vielen Breitbandherbiziden. Es lässt jede behandelte Pflanze absterben, indem es an einer zentralen Stelle in den Stoffwechsel eingreift. Es blockiert ein wichtiges Enzym, so dass die Pflanzen vertrocknen.
    Bei Glyphosat handelt es sich um das weltweit meistgenutzte Herbizid. Allein in Deutschland werden jedes Jahr zwischen drei- und fünftausend Tonnen davon verkauft. Der Großteil davon wird in der Landwirtschaft versprüht, um unerwünschte Gräser und Ackerkräuter zu entfernen.

    Glyphosat zerstört die „grüne Brücke“

    Auf dem Acker ausgebracht wird das Herbizid vor allem einige Wochen nach der Ernte im Herbst. So soll verhindert werden, dass aus zu Boden gefallenen Getreide- oder Rapskörner wieder neue Pflanzen heranwachsen. Glyphosat zerstört diese „grüne Brücke“ und verhindert damit unter anderem, dass sich Pilze oder andere Pflanzenkrankheiten auf dem Acker halten können.
    Das zweitwichtigste Anwendungsgebiet ist die Behandlung der Ackerflächen vor der Aussaat im Frühling. Damit soll der Boden von Unkräutern befreit werden, die das Heranwachsen der Ackerpflanzen stören könnten.
    Früher wurde Glyphosat auch entlang von Bahngleisen versprüht, doch seit 2023 verzichtet die Deutsche Bahn auf diese Methode der Vegetationsbekämpfung.

    Parks, Spielplätze und Schulgelände

    Auf öffentlichen Flächen – wie etwas in Parks, auf Spielplätzen oder auf dem Gelände von Schulen und Sportanlagen – ist es seit 2021 verboten, glyphosathaltige Mittel zu benutzen.
    Auch befestigte Flächen (Gehwege, Autostellplätze, Einfahrten, Hofflächen) dürfen nicht mit synthetischen Pflanzenschutzmitteln behandelt werden. So soll verhindert werden, dass die Wirkstoffe über die Kanalisation in Oberflächengewässer gelangen.
    Für den Privatgebrauch im Garten sollte Glyphosat ebenfalls nicht mehr benutzt werden - nur einige Produkte sind noch zugelassen.

    Welche Auswirkungen hat Glyphosat auf Umwelt und Gesundheit?

    Seit einigen Jahren wird diskutiert, ob Glyphosat Krebs auslösen oder das Wachstum von Tumoren fördern kann. Davon abgesehen ist es nur gering akut toxisch für Tiere und Menschen. Denn weder Tiere noch Menschen besitzen das Enzym, das Glyphosat bei Pflanzen blockiert.
    Indirekt kann das Herbizid aber trotzdem die gesamte Biodiversität schädigen, denn es greift in die Nahrungsnetze ein: Auf den landwirtschaftlichen Flächen vernichtet Glyphosat nahezu alle wild wachsenden Pflanzen. Auf die Vielfalt dieser Ackerkräuter sind aber zahlreiche Insekten angewiesen. Die wiederum dienen als Nahrungsgrundlage für Vögel und andere Wirbeltiere. So verarmt schließlich nicht nur die Flora, sondern auch die Tierwelt in der Agrarlandschaft.
    Relevant ist die Wirkung des Herbizids vor allem auf die Biodiversität an Land. Glyphosat gelangt aber auch in Oberflächengewässer. Zum Beispiel wird es vom Acker durch Regen in nahegelegene Bäche und Flüsse gespült.
    Dort hemmt es vor allem das Wachstum von Algen, die üblicherweise auf Steinen und Sedimenten wachsen. Von ihnen sind Tiere abhängig, die die Algen abweiden: Schnecken, kleine Krebstiere und bestimmte Insektenlarven. Von diesen wiederum ernähren sich räuberische Insekten und Fische.

    Toxische Wirkung auf Amphibien

    Auf Amphibien scheint Glyphosat aber auch direkt toxisch zu wirken. Eine Studie der Universität Ulm hat gezeigt, dass es bei den Embryonen des Krallenfroschs zu Missbildungen des Körpers, der Augen, der Hirnnerven und der Herzen kommt.
    Diese Effekte setzten bei einer Konzentration von 0,1 Milligramm Glyphosat pro Liter Wasser ein. Dies entspricht dem in Deutschland geltenden Grenzwert für Glyphosat in stehenden Gewässern.
    Unterhalb dieser Schwelle werden keine schädlichen Auswirkungen auf Wasserlebewesen erwartet. Der Grenzwert für Glyphosat im Trinkwasser liegt bei 0,1 Mikrogramm pro Liter, also tausendfach niedriger.

    Welche Rolle spielen Kläranlagen bei der Verbreitung von Glyphosat in Gewässern?

    In einer Studie aus dem Jahr 2020 des staatlichen Schweizer Forschungsinstituts Agroscope zeigte sich: In Kläranlagen sammelt sich Glyphosat in höheren Konzentrationen an.
    Erklärt wurde der Befund damit, dass es vor allem aus nichtlandwirtschaftlichen Anwendungen stammt: Privatleute behandeln damit Wege oder Stellflächen für Autos. Der Regen wäscht das Herbizid dann in die Kanalisation.

    Entsorgung über die Toilette

    Auch das Versprühen des Wirkstoffs entlang von Straßen und Schienenwegen könnte einen Beitrag leisten. Möglichweise werden auch Reste der Unkrautvernichtungsmittel über die Toilette entsorgt.
    Kläranlagen halten Glyphosat zu rund achtzig Prozent zurück. Ein Teil der Substanz wird biologisch abgebaut. Dabei entsteht zunächst die Verbindung AMPA, die dann langsam weiter zerfällt.
    Glyphosat wird aber auch am Klärschlamm gebunden. Denn der enthält Eisenverbindungen, an denen Glyphosatmoleküle üblicherweise gut haften. Der Klärschlamm wirkt wie ein großer Schwamm: Er saugt Glyphosat auf, hält es fest und kann es auch wieder abgeben, wenn die Konzentration in der Kläranlage sinkt.
    Unter der Leitung der Chemikerin Carolin Huhn hat eine Arbeitsgruppe an der Universität Tübingen die These aufgestellt, dass Kläranlagen auch noch auf andere Weise als Quelle für Glyphosat in Frage kommen. Demnach könnten große Mengen von Glyphosat erst in der Kläranlage entstehen – und zwar aus bestimmten Inhaltsstoffen von Waschmitteln.
    Diese sogenannten Organophosphonate dienen als Wasserenthärter. Außerdem erhalten sie die Bleichkraft der Reinigungsprodukte. Nicht alle dieser Phosphonate können theoretisch zu Glyphosat abgebaut werden. Das Team aus Tübingen hat vor allem die Substanz DTPMP - das steht für Diethylentriaminpenta(methylenphosphonsäure) - im Blick.

    Warum wird vermutet, dass Glyphosat aus Waschmittel entsteht?

    Die Forschungsgruppe um Carolin Huhn sieht verschiedene Hinweise darauf, die zum Teil in einer noch nicht begutachteten Preprint-Studie veröffentlicht wurden.
    Eine Frau spricht mit einem Mann. Sie stehen vor der Kläranlage von Rübgarten bei Tübingen.
    Carolin Huhn im Gespräch mit einem Mitarbeiter der Kläranlage von Rübgarten bei Tübingen. (Universität Tübingen )
    Obwohl Glyphosat von Kläranlagen relativ gut zurückgehalten wird, finden sich an manchen Bächen und Flüssen hohe Konzentrationen des Wirkstoffs. Das deutet darauf hin, dass noch eine zweite Quelle außer der Landwirtschaft existieren muss.
    Der jahreszeitliche Verlauf der Glyphosatkonzentration in den Oberflächengewässern stimmt außerdem nicht mit der saisonalen Anwendung in der Landwirtschaft überein. Auf dem Acker wird das Herbizid vor allem im Frühjahr vor der Aussaat und im Herbst vor der Ernte versprüht.

    Kein Regen, dennoch hohe Werte

    Die höchsten Konzentrationen in den Flüssen finden sich aber vor allem im Sommer. Das dürfte auch damit zu tun haben, dass der Wasserstand dann besonders niedrig ist.
    Carolin Huhn geht davon aus, dass die Menge an Glyphosat, die monatlich in die Flüsse eingetragen wird, das Jahr über relativ konstant bleibt. Das spricht für eine Quelle, die sich zeitlich kaum ändert. Das trifft auf die Waschmittel zu.
    Im Sommer 2018 regnete es wochenlang nicht. Die Glyphosatwerte lagen trotzdem hoch. Das ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass der Stoff nicht von landwirtschaftlichen Flächen stammt. Denn von dort wird er vor allem vom Regen in die Flüsse geschwemmt, die die Agrarlandschaft durchziehen.

    Medikamentenrückstände aus Kläranlagen

    Es lässt sich auch beobachten, dass die Konzentration von Glyphosat in den Flüssen immer dann steigt, wenn auch andere, langlebige Stoffe in die Höhe schießen, wie etwa bestimmte Arzneimittel. Diese Medikamentenrückstände stammen üblicherweise aus Kläranlagen. Das ist ein Hinweis darauf, dass das Herbizid auch von dort in die Flüsse geschwemmt wird.
    Das Team aus Tübingen konnte zeigen, dass die Konzentration von Glyphosat entlang eines Flusslaufes immer dann steigt, wenn eine Kläranlage eingeleitet hat. In den USA werden die organischen Phosphonate in Waschmitteln nicht verwendet. Dort zeigt sich in den Flüssen ein jahreszeitliches Glyphosatprofil, wie man es aus der Landwirtschaft erwarten würde.

    Gibt es Zweifel an dieser These?

    Für die Umwandlung vom DTPMP zu Glyphosat muss das ursprüngliche Molekül an einer bestimmten Stelle oxidiert werden, es muss dort gleich zwei Sauerstoffatome aufnehmen. Solch eine Reaktion erfordert üblicherweise relativ harsche Bedingungen, zum Beispiel ein starkes Oxidationsmittel und eine saure Lösung.
    Marion Martienssen, Professorin an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg, beschäftigt sich schon seit Jahren mit dem natürlichen Abbau von Phosphonaten. Sie kann sich nicht vorstellen, dass diese Substanzen in der Kläranlage zu Glyphosat umgebaut werden können.
    Auch der Industrieverband Körperpflege- und Waschmittel e. V. (IKW) ist skeptisch. In einer Stellungnahme zur Berichterstattung im Deutschlandfunk heißt es, eine Mitgliedsfirma des IKW habe versucht, die Vorgänge in einer Kläranlage im Labor nachzustellen. Das Phosphonat DTPMP sei zu Klärschlamm hinzugegeben worden. Eine Bildung von Glyphosat wurde dabei nicht beobachtet.