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Glyphosat-Prozess
Monsanto erneut vor US-Gericht

Nach der ersten bitteren Schlappe vor einem US-Gericht muss sich die Bayer-Tochter Monsanto nun erneut gegen angebliche Krebsrisiken seines Unkrautvernichters "Roundup" wehren. Vom Urteil wird eine Signalwirkung erwartet. Auf Bayer könnte eine Prozesswelle mit insgesamt 9300 Klägern zurollen.

Von Jule Reimer | 25.02.2019
Eine Flasche des Unkrautvernichtungsmittel, das den Wirkstoff Glyphosat enthält, ist am 17.05.2016 auf einer Wiese in einem Garten in Briesen (Brandenburg) zu sehen. Foto: Patrick Pleul/dpa
Das Unkrautvernichtungsmittel "Roundup" soll für den Lymphdrüsenkrebs des Klägers verantwortlich sein (Patrick Pleul/dpa)
Verhandelt wird in San Francisco die Klage eines 70jährigen Kaliforniers, Edwin Hardemann, der wie der erste Kläger gegen Monsanto, Dewayne Johnson - der als Hausmeister einer Schule mit der Pflege der Grünanlagen beauftragt war -, an einem Non-Hodgkin-Lymphom leidet. Hardemann gibt an, er habe auf seinem gut zwanzig Hektar großen Grundstück in Kalifornien jahrzehntelang "Roundup" in großen Mengen eingesetzt.
Beide Verfahren unterscheiden sich jedoch. Der Fall Johnson wurde 2018 vor einem regionalen Geschworenengericht des Bundesstaates Kalifornien verhandelt - und Prozessgegner war damals noch Monsanto, da der Kauf durch Bayer noch nicht abgeschlossen war. Jetzt sitzt der Bayer-Konzern als neuer Eigner von Monsanto auf der Anklagebank, und der Fall Hardemann wird vor einem Bundesgericht in San Francisco ausgetragen. Dabei handelt es sich um eine Klage, in der eine größere Zahl ähnlicher Fälle gebündelt wurde, die insgesamt vor Bundesgerichten anhängig sind. Es ist dennoch keine Sammelklage - diese ist bei Erkrankungen nicht möglich, weil jeder Fall einzeln betrachtet werden muss.
Prozess in zwei Phasen - ein Vorteil für Bayer
Das Gericht hat sich auf den Antrag von Bayer eingelassen, das Verfahren in zwei Phasen aufzuteilen. In der ersten Phase geht es nur um die Frage, ob ein begründeter Zusammenhang zwischen Glyphosat und der Krebserkrankung des Klägers besteht. Auch das ist ein Unterschied zum Prozess Johnson gegen Monsanto: Beim Urteil im Fall Johnson 2018 spielten auch interne Monsanto-E-Mails eine Rolle, die kein gutes Licht auf das Unternehmen warfen. Erst wenn das Gericht zu dem Schluss kommt, dass Glyphosat und Krebserkrankung zusammenhängen, geht der Hardemann-Prozess in die zweite Phase, in der nach einem möglichen Fehlverhalten von Monsanto gefragt wird: Hat Monsanto eventuell Behörden und Öffentlichkeit nicht richtig informiert?
Bayer gibt sich bislang betont gelassen. Nach letzten Angaben vom vergangenen November sieht sich der Konzern insgesamt 9300 Glyphosat-Klagen gegenüber. Kommenden Mittwoch steht die Bilanzpressekonferenz von Bayer an: Dort werden diese Zahlen dann erneut bestätigt oder aktualisiert. Für die Zahl kommender Prozesse wird genau dieser jetzt verhandelte Fall Haderman bedeutsam sein: Er gilt als sogenannter "Bellwether-Fall". Dessen Ausgang ist rechtlich nicht bindend für andere Prozesse, gibt aber Hinweise. Das heißt, er kann andere potenzielle Kläger ermutigen oder auch entmutigen. Allerdings wird allein die Anhörung von Experten und Expertinnen vier bis fünf Wochen dauern.
Studien-Schlacht vor dem US-Bundesgericht
Bayer betont stets, dass Glyphosat bei sachgemäßer Anwendung unschädlich sei und dass es daran keinen wissenschaftlichen Zweifel gibt. Dem Gericht in San Francisco steht damit eine wahre Studien-Schlacht bevor, wobei nicht alle Studien zulassen sein werden. Das Verfahren selbst hat der Kläger unter Berufung auf die Warnung der zur Weltgesundheitsorganisation WHO gehörenden Agentur für Krebsforschung (IARC) angestrengt. Diese kam 2015 zu dem Schluss, Glyphosat sei "wahrscheinlich krebserregend für Menschen". Allerdings schreibt die IARC diese Eigenschaft auch beispielsweise rotem Fleisch zu. Denn sie bewertet keine konkreten Risiken, sondern allein die Möglichkeit, dass ein Stoff krebserzeugend sein kann, weil es gewisse Hinweise gibt.
Bayer hingegen bezieht sich einerseits auf existierende Zulassungen durch die Europäische Lebensmittelbehörde EFSA und das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung sowie die US-Umweltbehörde EPA - und andererseits auf die öffentlich finanzierte US-Studie "Agricultural Health Study", in der über 50.000 Farmarbeiter auf die Folgen von Glyphosat-Einsatz untersucht wurden.
Die Kritiker des Glyphosat-Einsatzes werfen wiederum diesen Behörden vor, dass sie gar nicht auf eigene Studien, sondern nur auf Industriestudien zurückgreifen, die zudem nicht im Detail veröffentlicht wurden, sodass Versuche und Erkenntnisse vollständig nachvollziehbar wären. Neue Bedenken bestärkt eine Studie der Wissenschaftlerin Lianne Sheppard von der Universität Washington: Sie hat sechs epidemiologische Untersuchungen ausgewertet und dabei ein erhöhtes Krebsrisiko bei den beteiligten Personen festgestellt, die am stärksten Glyphosat ausgesetzt waren. Sheppard gehört zu der Wissenschaftlergruppe, die als externe Berater bei der Wiederzulassung von Glyphosat durch die US-Umweltbehörde EPA bereits Einwände vorgebracht haben. Kritiker hinterfragen auch, in welcher Anwendungskonzentration Glyphosat in den diversen Studien untersucht wurde. Die französische Verbraucherschutzbehörde Anses hat jetzt jedenfalls angekündigt, mit einer "unabhängigen Studie" über die tatsächlichen Gesundheitsauswirkungen des Unkrautmittels Glyphosat aufklären zu wollen.
Bayer droht Mammutprozess
Für Bayer ist nicht absehbar, wie lange sich die Prozesse hinziehen werden. Allein im Fall des Schulhausmeisters Johnson kann die Berufung über alle Instanzen sieben Jahre und länger dauern, bis ein rechtskräftiges Urteil vorliegt. Klar ist, dass der Aktienkurs des Unternehmens gebeutelt ist, er liegt um fast 30 Prozent niedriger als vor dem Kauf von Monsanto.
Bayer geht davon aus, erfolgreicher als Monsanto vor Gericht eintreten zu können. Tenor: Man kenne sich als Pharmakonzern besser mit Produkthaftung aus als Monsanto. Im September 2018 erklärte Bayer bereits, der Konzern habe ausreichend Rückstellungen für die Verteidigung vor Gericht getroffen. Dies beinhaltet allerdings keine Rückstellungen für Strafen. Die Prozesse werden sich noch über Jahre ziehen. Die Frage wird auch sein, was die Aktionäre und Abnehmer mehr überzeugt: Das bei Monsanto eingekaufte Know-how bei Saatgut und Digitalisierung oder die mit dem glyphosathaltigen Pflanzengift "Roundup" miteingekauften Rechtsrisiken.