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"GM ist wieder auf der richtigen Spur"

Bei General Motors sei Opel "besser aufgehoben", so Stefan Bratzel, Professor für Automobilwirtschaft. In einem solchen Großkonzern könne Opel im Bereich der neuen Technologien stärker profitieren, auch sei GM auf Sanierungskurs.

Stefan Bratzel im Gespräch mit Christoph Heinemann |
    Christoph Heinemann: Rüsselsheim, Bochum, Eisenach, Kaiserslautern - an allen vier Opel-Standorten in Deutschland sind heute Protestaktionen geplant. Tausende Beschäftigte wollen gegen befürchtete Werksschließungen und massive Stellenstreichungen durch den alten und neuen Mutterkonzern General Motors demonstrieren. Sie haben Angst vor härteren Einschnitten, nachdem GM gestern nach monatelangem Poker den Verkauf von Opel an den Autozulieferer Magna und russische Investoren abgeblasen hatte.

    [Beitrag]

    Verständnisvoll und sanft, so beschrieb Anna Engelke gerade die Kommunikationsstrategie. Das ist das Zuckerbrot. Es gibt aber auch die Peitsche. General Motors droht offen mit einer Insolvenz der europäischen Tochter, falls keine Einigung über die Sparmaßnahmen erreicht werde. Entsprechend ist die Stimmung bei vielen der 25.000 allein in Deutschland bei Opel beschäftigten. Mal Hü, mal Hott. Noch im September wollte GM Opel verkaufen, jedenfalls offiziell. Jetzt bleibt das Unternehmen amerikanisch.

    In Berlin und nicht nur dort - wir haben Jürgen Rüttgers eben gehört - löst sich die Schockstarre langsam. Am Telefon ist Professor Stefan Bratzel, Automobilfachmann der Fachhochschule für Wirtschaft im nordrhein-westfälischen Bergisch Gladbach. Guten Tag!

    Stefan Bratzel: Schönen guten Tag.

    Heinemann: Herr Professor Bratzel, mit wem fährt Opel besser, mit General Motors oder mit einem Investor wie Magna?

    Bratzel: Ich glaube langfristig, dass GM die bessere Option ist, gleichwohl GM sich natürlich noch weiter sanieren muss. Aber in einem Großkonzern ist Opel sicherlich besser aufgehoben, weil Opel dann von den enormen Skaleneffekten, die eben ein solcher Großkonzern bietet, insbesondere auch im Bereich der neuen Technologien, profitieren kann.

    Die harten Einschnitte werden bei GM ebenso groß sein wie bei den anderen Investoren, aber GM hat eine lange Erfahrung und ist wieder auf der richtigen Spur, wenngleich noch nicht am Ende.

    Heinemann: Was heißt harte Einschnitte für die Arbeitsplätze?

    Bratzel: Man muss damit rechnen, dass Arbeitsplätze in der Größenordnung 10.000, 11.000 sicherlich wegfallen werden. Ich denke auch, dass der eine oder andere Standort nicht haltbar sein wird. Das kommt jetzt auf den speziellen Sanierungsplan an.

    Heinemann: Welcher Standort?

    Bratzel: Es wird sicherlich der Standort Antwerpen kaum zu halten sein und dann wird die Frage sicherlich verhandelt werden müssen, inwiefern Bochum oder Eisenach zur Disposition steht. Aber ich glaube, das ist Verhandlungssache.

    Betriebswirtschaftlich gesehen wird es sinnvoll sein, Schwerpunkte zu bilden, Das heißt, nicht überall ein bisschen Kapazität vorzuhalten, sondern an bestimmten Orten für eine relativ hohe Auslastung zu sorgen, allein schon, um Logistikkosten zu sparen.

    Heinemann: Herr Bratzel, wieso sagt GM noch Mitte September, Magna sei die beste Lösung für Opel, und im November heißt es dann, April, April, Opel bleibt amerikanisch?

    Bratzel: Da waren verschiedene Fraktionen bei GM, insbesondere im Verwaltungsrat, am Werke, die unterschiedliche Positionen hatten. Im Grunde: Aus Sicht von GM war eigentlich Opel und das europäische Standbein, der europäische Markt eigentlich schon immer wichtig, aber in der Tat hat man nicht geglaubt, dass man eine Sanierung hinbekommt, das heißt, dass man das Geld aufbekommt, um jetzt eine Opel zu sanieren.

    Das scheint sich in den letzten Wochen und Monaten geändert zu haben, insbesondere auch: Vergessen Sie nicht, dass GM aus dem Insolvenzverfahren relativ schnell hervorgegangen ist und da auch die Schulden von einstmals 176 Milliarden auf nur noch 48 Milliarden gesenkt wurden, insbesondere durch Hilfe des amerikanischen Steuerzahlers.

    Heinemann: Aber geht es GM wirklich so gut, wie Sie sagen? Bauen die jetzt schon die Autos, die die Zukunft braucht, die der Markt braucht?

    Bratzel: Nein. Damit Sie mich nicht falsch verstehen: GM geht es noch überhaupt nicht gut. Sie ist mitten in der Sanierung. Allerdings wurden erste wichtige Sanierungsschritte tatsächlich gemacht, insbesondere auf der Kostenseite. Vergessen Sie nicht, dass 17 Werke geschlossen wurden, viele Beschäftigte bereits ihren Job verloren haben.

    Heinemann: Aber damit sind doch die Autos noch nicht besser.

    Bratzel: Völlig richtig, und das ist auch der Grund, warum eine Opel sehr wichtig ist für eine GM. Hier ist das Entwicklungszentrum für die Mittelklasse-Plattform und das ist natürlich für den weiteren erfolgreichen Aufbau oder die weitere erfolgreiche Sanierung von GM unheimlich wichtig.

    Heinemann: Herr Bratzel, die "Bildzeitung" beschreibt die jüngste Entwicklung heute als - ich zitiere - "große Verarsche". Schließen Sie sich dieser Bewertung zumindest sinngemäß an, was die Strategie betrifft?

    Bratzel: In der Tat, den Eindruck kann man schon haben. Den Begriff würde ich jetzt nicht benutzen, aber dass man strategisch nicht besonders sinnvoll und gut vorgegangen ist die letzten Monate bei GM, das ist nun ganz deutlich. Und in der Tat: Es zeugt natürlich davon, wie viel Bewegung im Moment bei GM im Headquarter zu Gange ist. Aber dass Opel für GM wichtig ist, das war eigentlich immer klar.

    Heinemann: Heißt Bewegung Kopflosigkeit?

    Bratzel: Es heißt auch ein bisschen Kopflosigkeit, in der Tat. Mein Eindruck ist schon, dass die Führungspersonen, die im Moment das Sagen in Detroit haben, vielleicht für ein erfolgreiches GM nicht die richtigen sind.

    Heinemann: Herr Bratzel, EU-Kommissar Verheugen warnt heute vor einem Bieterwettbewerb. Besteht nun die Gefahr, dass GM die einzelnen Opel-Standorte gegeneinander ausspielen wird, um möglichst hohe staatliche Hilfen zu kassieren?

    Bratzel: Die Gefahr besteht ganz eindeutig. Das hat man ja auch die letzten Monate gesehen, dass man natürlich auch mit Hilfe der Bundesregierung versucht hat, die eigenen Standorte möglichst zu sichern, und Ähnliches ist jetzt wieder zu erwarten. Hier darf man sich natürlich nicht ausspielen lassen und nicht betriebswirtschaftliche Themen mit politischen zu eng vermischen, weil: Keiner hat was davon, wenn am Ende des Tages Opel nicht wettbewerbsfähig wird, weil: Das ist die Grundvoraussetzung für ein langfristiges Bestehen der Arbeitsplätze bei Opel.

    Heinemann: Herr Bratzel, können Opel-Käufer heute sicher sein, dass sie in fünf oder zehn Jahren für ihren Wagen noch Ersatzteile bekommen?

    Bratzel: Ich glaube schon. Selbst wenn das Schlimmste eintreten sollte, was man nicht hofft, dass eine Insolvenz oder vielleicht eine Liquidation stattfindet, werden sich hier Lizenznehmer finden, die dann für Ersatzteile tatsächlich sorgen, weil sehr, sehr viele Autos hier unterwegs sind. Insofern würde ich hier keine Panikmache vorantreiben. Da braucht man sich, denke ich, keine Sorgen machen.

    Heinemann: Professor Stefan Bratzel, Automobilfachmann der Fachhochschule für Wirtschaft im nordrhein-westfälischen Bergisch Gladbach. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Bratzel: Ich danke Ihnen!