Jochen Spengler: Mein Kollege Jürgen Liminski hat gestern Abend mit Helmut Becker gesprochen, dem Direktor des Instituts für Wirtschaftsanalyse und Kommunikation in München. Auf die Frage, ob die Empörung der Politiker über General Motors berechtigt sei, antwortete der frühere Chefvolkswirt bei BMW folgendermaßen:
Helmut Becker: Die Politik hat sich das selber zuzuschreiben. Sie hat viele Fehler gemacht in diesem Fall. Ich glaube, zum einen hat sie das Ehrgefühl und das Selbstverständnis der Amerikaner tief getroffen, indem man GM-alt im Grunde genommen Opel zwangsweise aus den Rippen geleiert hat, wenn ich das so salopp formulieren darf, um es in die Treuhand zu überführen, um Opel aus der Insolvenz zu halten. Dieses ganze Prozedere war eigentlich sehr erniedrigend, habe ich das Gefühl, für GM, und man hat jetzt offensichtlich eine Gelegenheit gesucht und hat sie auch gefunden, dieses ein bisschen wieder zu korrigieren und das eigene Selbstbewusstsein wieder aufzurichten, denn es wird kein Zufall sein, dass gerade zu dem Zeitpunkt, als die Bundeskanzlerin in Amerika ist und dort mit hohen Ehren und mit allem Drum und Dran empfangen worden ist, dass an diesem selben Tag diese Entscheidung gefallen ist. Das ist kein Zufall, sondern das ist eigentlich eine Ohrfeige für die deutsche Politik.
Jürgen Liminski: GM ist wieder solvent und die Wahlen in Deutschland sind gelaufen. War die Entscheidung von Detroit also zu erwarten? Haben sich die Politiker, wenn ich Sie recht verstehe, grandios blamiert?
Becker: Man muss Folgendes dazu sagen: Durch die schnelle Insolvenz von GM – mit der hat niemand gerechnet und konnte auch niemand rechnen – ist GM plötzlich nach vier Wochen bereits sozusagen völlig saniert und mit einer hohen Option und mit großen Erwartungen der Obama-Administration belastet wieder in den Markt zurückgeschickt worden, sozusagen neu aufgestellt worden. GM ist heute ein Staatsunternehmen, gehört zu 60 Prozent dem amerikanischen Steuerzahler, der Steuerzahler hat 60 Milliarden in die Sanierung hineingesteckt und infolgedessen erwartet die Administration natürlich dort auch einen erfolgreichen Neubeginn dieses Traditionsunternehmens GM. Daran hängt der nationale Stolz und daran hängt auch die nationale Ehre. Ergo ist GM-Neu zum Erfolg verdammt.
Die strategische Ausgangsposition von GM-Neu hat sich eigentlich völlig verändert gegenüber GM-Alt, also vor der Insolvenz, und plötzlich hat man in Detroit erkannt: hoppla, wir haben da in Europa eine Tochter, die heißt Opel und Vauxhall, und die verfügen über die Autos und das technologische Knowhow, das wir eigentlich für eine erfolgreiche Zukunft in Amerika brauchen. Damit erfolgte im Grunde genommen der Kehrtschwenk, abgesehen von den Pingelichkeiten, den ehrenrührigen Dingen, die ich eben am Anfang erwähnt habe, aber da folgte eigentlich der strategische Kehrtschwenk, der in Deutschland weder von der Politik, noch von den Gewerkschaften, von der IG Metall, geschweige denn vom Betriebsrat so nachvollzogen worden ist.
Liminski: Umgekehrt gefragt: Wird Opel nun mit GM-Neu, wie Sie sagen, im Rücken wettbewerbsfähiger?
Becker: Ja. Nicht automatisch selbstverständlich, aber ich gehe davon aus, dass GM-Neu alles daran setzen wird, Opel jetzt in dieser neuen Situation wettbewerbsfähig zu halten und weiter wettbewerbsfähig zu machen. Das heißt, Opel wird in seiner eigenen Stellung innerhalb des GM-Konzerns erheblich nach oben gehoben in seiner Wertigkeit. Opel wird heute von GM in Detroit geschätzt. Früher war Opel eine touristische Anlaufstation für werdende Vorstände bei GM. Die wurden für zwei Jahre hier rübergeschickt, wurden nach Rüsselsheim gesetzt und gingen dann wieder zurück, konnten kein Deutsch, wollten auch nicht und haben von dem Markt in Europa ohnehin nichts verstanden. Das wird sich ändern.
Liminski: Herr Becker, GM will sanieren. Wie bei Magna werden 10.000 Stellen wahrscheinlich gestrichen. Welches Werk in Deutschland wird davon betroffen sein?
Becker: Das ist jetzt schwer zu sagen. Wir gehen immer davon aus, die Rettung von Opel gleich Sanierung, gleich Streichen von Stellen. So war auch die Politik von GM über 30 Jahre. Seit 30 Jahren ist GM dabei, sich zu sanieren, indem es schrumpft. Diese Schrumpfungsstrategie hat irgendwann ein Ende, denn dann ist man irgendwann vom Markt verschwunden. Was Opel also braucht ist eine Offensivstrategie, neue Autos, die in die Zeit passen, und Opel kann das auch und es wird sie auch bringen. Das weiß ich. Das heißt, ob überhaupt ein Werk geschlossen werden muss, ist von vornherein nicht entschieden, um es mal so auszudrücken. Dass jetzt in der aktuellen Situation, in der Krise, wo weltweit Überkapazitäten bestehen, Stellen gestrichen werden, das ist von mir aus einleuchtend. Wir haben Überkapazitäten und die werden im Moment weggebracht. Das wäre aber auch bei Magna der Fall gewesen. Deshalb wundere ich mich über diese Aufregung in der Öffentlichkeit, auch gerade in der Politik. Es hat sich gegenüber dem Magna-Konzept jedenfalls bei GM nichts verändert. Auch Magna hätte 10.000 Stellen gestrichen, hat sich allerdings nicht festgelegt, ob sie ein Werk schließen wollen, aus politischer Klugheit heraus.
Liminski: Was sollte die Belegschaft denn in dieser Situation tun?
Becker: Die Belegschaft sollte kühlen Kopf bewahren und sie sollte realisieren, dass diese Entscheidung, wie sie jetzt sich darstellt, vielleicht gar nicht so schlecht ist, wie ihnen ihr Betriebsrat das suggerieren will, der natürlich tief frustriert ist und sich sicherlich auch in der neuen Gesellschaft mit Magna irgendwelche Hoffnungen gemacht hat über eine Weiterentwicklung, weiß der Teufel. Das will ich nicht ausführen. Aber man sollte im Grunde genommen den kühlen Kopf bewahren und sollte sehen, dass man mit einem Partner oder einer Mutter, muss ich sagen, GM-Neu und 300 Millionen amerikanischen Steuerzahlern im Rücken, die liquide sind, wesentlich besser aufgestellt ist als mit einem sehr kränkelnden Konsortium, bestehend aus einem Automobilzulieferer, dem seine Kunden davonlaufen, weil sie alle sauer sind, dass der sich nun in ihr eigenes Geschäft mit einschaltet, und einem zweiten Partner, einem russischen Automobilunternehmen, das völlig marode ist.
Spengler: Helmut Becker, der frühere Chefvolkswirt bei BMW, im Gespräch mit Jürgen Liminski.
Helmut Becker: Die Politik hat sich das selber zuzuschreiben. Sie hat viele Fehler gemacht in diesem Fall. Ich glaube, zum einen hat sie das Ehrgefühl und das Selbstverständnis der Amerikaner tief getroffen, indem man GM-alt im Grunde genommen Opel zwangsweise aus den Rippen geleiert hat, wenn ich das so salopp formulieren darf, um es in die Treuhand zu überführen, um Opel aus der Insolvenz zu halten. Dieses ganze Prozedere war eigentlich sehr erniedrigend, habe ich das Gefühl, für GM, und man hat jetzt offensichtlich eine Gelegenheit gesucht und hat sie auch gefunden, dieses ein bisschen wieder zu korrigieren und das eigene Selbstbewusstsein wieder aufzurichten, denn es wird kein Zufall sein, dass gerade zu dem Zeitpunkt, als die Bundeskanzlerin in Amerika ist und dort mit hohen Ehren und mit allem Drum und Dran empfangen worden ist, dass an diesem selben Tag diese Entscheidung gefallen ist. Das ist kein Zufall, sondern das ist eigentlich eine Ohrfeige für die deutsche Politik.
Jürgen Liminski: GM ist wieder solvent und die Wahlen in Deutschland sind gelaufen. War die Entscheidung von Detroit also zu erwarten? Haben sich die Politiker, wenn ich Sie recht verstehe, grandios blamiert?
Becker: Man muss Folgendes dazu sagen: Durch die schnelle Insolvenz von GM – mit der hat niemand gerechnet und konnte auch niemand rechnen – ist GM plötzlich nach vier Wochen bereits sozusagen völlig saniert und mit einer hohen Option und mit großen Erwartungen der Obama-Administration belastet wieder in den Markt zurückgeschickt worden, sozusagen neu aufgestellt worden. GM ist heute ein Staatsunternehmen, gehört zu 60 Prozent dem amerikanischen Steuerzahler, der Steuerzahler hat 60 Milliarden in die Sanierung hineingesteckt und infolgedessen erwartet die Administration natürlich dort auch einen erfolgreichen Neubeginn dieses Traditionsunternehmens GM. Daran hängt der nationale Stolz und daran hängt auch die nationale Ehre. Ergo ist GM-Neu zum Erfolg verdammt.
Die strategische Ausgangsposition von GM-Neu hat sich eigentlich völlig verändert gegenüber GM-Alt, also vor der Insolvenz, und plötzlich hat man in Detroit erkannt: hoppla, wir haben da in Europa eine Tochter, die heißt Opel und Vauxhall, und die verfügen über die Autos und das technologische Knowhow, das wir eigentlich für eine erfolgreiche Zukunft in Amerika brauchen. Damit erfolgte im Grunde genommen der Kehrtschwenk, abgesehen von den Pingelichkeiten, den ehrenrührigen Dingen, die ich eben am Anfang erwähnt habe, aber da folgte eigentlich der strategische Kehrtschwenk, der in Deutschland weder von der Politik, noch von den Gewerkschaften, von der IG Metall, geschweige denn vom Betriebsrat so nachvollzogen worden ist.
Liminski: Umgekehrt gefragt: Wird Opel nun mit GM-Neu, wie Sie sagen, im Rücken wettbewerbsfähiger?
Becker: Ja. Nicht automatisch selbstverständlich, aber ich gehe davon aus, dass GM-Neu alles daran setzen wird, Opel jetzt in dieser neuen Situation wettbewerbsfähig zu halten und weiter wettbewerbsfähig zu machen. Das heißt, Opel wird in seiner eigenen Stellung innerhalb des GM-Konzerns erheblich nach oben gehoben in seiner Wertigkeit. Opel wird heute von GM in Detroit geschätzt. Früher war Opel eine touristische Anlaufstation für werdende Vorstände bei GM. Die wurden für zwei Jahre hier rübergeschickt, wurden nach Rüsselsheim gesetzt und gingen dann wieder zurück, konnten kein Deutsch, wollten auch nicht und haben von dem Markt in Europa ohnehin nichts verstanden. Das wird sich ändern.
Liminski: Herr Becker, GM will sanieren. Wie bei Magna werden 10.000 Stellen wahrscheinlich gestrichen. Welches Werk in Deutschland wird davon betroffen sein?
Becker: Das ist jetzt schwer zu sagen. Wir gehen immer davon aus, die Rettung von Opel gleich Sanierung, gleich Streichen von Stellen. So war auch die Politik von GM über 30 Jahre. Seit 30 Jahren ist GM dabei, sich zu sanieren, indem es schrumpft. Diese Schrumpfungsstrategie hat irgendwann ein Ende, denn dann ist man irgendwann vom Markt verschwunden. Was Opel also braucht ist eine Offensivstrategie, neue Autos, die in die Zeit passen, und Opel kann das auch und es wird sie auch bringen. Das weiß ich. Das heißt, ob überhaupt ein Werk geschlossen werden muss, ist von vornherein nicht entschieden, um es mal so auszudrücken. Dass jetzt in der aktuellen Situation, in der Krise, wo weltweit Überkapazitäten bestehen, Stellen gestrichen werden, das ist von mir aus einleuchtend. Wir haben Überkapazitäten und die werden im Moment weggebracht. Das wäre aber auch bei Magna der Fall gewesen. Deshalb wundere ich mich über diese Aufregung in der Öffentlichkeit, auch gerade in der Politik. Es hat sich gegenüber dem Magna-Konzept jedenfalls bei GM nichts verändert. Auch Magna hätte 10.000 Stellen gestrichen, hat sich allerdings nicht festgelegt, ob sie ein Werk schließen wollen, aus politischer Klugheit heraus.
Liminski: Was sollte die Belegschaft denn in dieser Situation tun?
Becker: Die Belegschaft sollte kühlen Kopf bewahren und sie sollte realisieren, dass diese Entscheidung, wie sie jetzt sich darstellt, vielleicht gar nicht so schlecht ist, wie ihnen ihr Betriebsrat das suggerieren will, der natürlich tief frustriert ist und sich sicherlich auch in der neuen Gesellschaft mit Magna irgendwelche Hoffnungen gemacht hat über eine Weiterentwicklung, weiß der Teufel. Das will ich nicht ausführen. Aber man sollte im Grunde genommen den kühlen Kopf bewahren und sollte sehen, dass man mit einem Partner oder einer Mutter, muss ich sagen, GM-Neu und 300 Millionen amerikanischen Steuerzahlern im Rücken, die liquide sind, wesentlich besser aufgestellt ist als mit einem sehr kränkelnden Konsortium, bestehend aus einem Automobilzulieferer, dem seine Kunden davonlaufen, weil sie alle sauer sind, dass der sich nun in ihr eigenes Geschäft mit einschaltet, und einem zweiten Partner, einem russischen Automobilunternehmen, das völlig marode ist.
Spengler: Helmut Becker, der frühere Chefvolkswirt bei BMW, im Gespräch mit Jürgen Liminski.