Donnerstag, 28. März 2024

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Gökay Sofuoglu über Al-Kuds-Märsche
„Ein Sammelbecken islamischer Fundamentalisten“

Al-Kuds-Märsche vereinten islamische Fundamentalisten aller Länder - es müsse aber nicht nur über Antisemitismus aus muslimischen Kreisen diskutiert werden, sondern auch aus der rechten Ecke, sagte Gökay Sofuoglu von der türkischen Gemeinde in Deutschland im Dlf.

Gökay Sofuoglu im Gespräch mit Silvia Engels | 01.06.2019
Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofuoglu.
Gökay Sofuoglu ist Bundesvorsitzender der türkischen Gemeinde in Deutschland und Landesvorsitzender der türkischen Gemeinde in Baden-Württemberg (dpa/picture-alliance/Gregor Fischer)
Silvia Engels: Am Telefon ist nun Gökay Sofuoglu, er ist Bundesvorsitzender der türkischen Gemeinde in Deutschland, er ist SPD-Mitglied und auch Landesvorsitzender der türkischen Gemeinde in Baden-Württemberg. Wir erreichen ihn in Stuttgart, guten Tag, Herr Sofuoglu!
Gökay Sofuoglu: Guten Tag, Frau Engels!
Engels: Die Al-Kuds-Märsche, ich habe es zu Beginn erwähnt, wurden ja vielfach von iranischen Kräften ins Leben gerufen, also schiitischen Gruppierungen, aber die darin verbreitete Kritik an Israel bis hin zu antijüdischen Äußerungen hat in den vergangenen Jahren dann schrittweise teilweise auch andere sunnitische Muslime erfasst. Beobachten Sie, dass das mithin auch in türkische Gemeinden schwappt?
Sofuoglu: Ich war selber vor einigen Jahren als Beobachter bei so einer Demonstration, da habe ich gesehen, dass natürlich diese Demonstration inzwischen ein Sammelbecken von islamischen Fundamentalisten geworden ist. Alle, die jetzt ihre antisemitischen Parolen kundtun wollen, sammeln sich bei diesen Kundgebungen.
Das ist inzwischen ganz offen, dass viele, die jetzt über Israelkritik versuchen, Antisemitismus zu betreiben, bei diesen Demonstrationen teilnehmen. Da sind natürlich auch türkische Islamisten dabei. Also wie man das benennt, Menschen, die islamische Fundamentalisten aus allen Ländern der Erde sind mit dabei.
"Wir dürfen uns nicht auseinanderdividieren lassen"
Engels: Wird das bei Ihnen beispielsweise in der türkischen Gemeinde in Stuttgart diskutiert? Versucht man, dagegenzuhalten, zu überzeugen oder ist das kein Gesprächsthema?
Sofuoglu: Es ist ein Gesprächsthema, weil wir wissen, dass Antisemitismus uns alle angeht. Ich selber bin ja beim Antisemitismus-Beauftragten beim Arbeitskreis mit dabei, beim Begleitkreis mit dabei. Wir setzen uns natürlich mit Antisemitismus auseinander, weil wir denken, wer sich nicht gegen Antisemitismus hinstellt, kann nicht gegen Rassismus vorgehen. Unser Grundsatz ist, Rassismus zu bekämpfen, Islamophobie zu bekämpfen, Antisemitismus zu bekämpfen und Antiziganismus zu bekämpfen. Und wir dürfen uns da an diesen Fragen nicht auseinanderdividieren lassen.
Engels: Erleben Sie denn, dass da eine größere Bewegung entsteht bei Ihnen in der türkischen Gemeinde, die genau diesen Weg von Ihnen gehen will? Denn in der breiten Öffentlichkeit ist ja nicht so viel zu hören.
Sofuoglu: Wir hören natürlich immer mehr von der lauten Minderheit viele Töne, aber die große Mehrheit der türkischen Community ist ruhig. Das kann man positiv und negativ natürlich bewerten, ruhig im Sinne, dass sie sich nicht darum kümmern, ruhig deswegen, weil sie sich mit den Antisemiten nicht solidarisieren wollen.
Aber ich würde mir wünschen, dass natürlich wir unsere Stimme aus der türkischen Gemeinde mehr erheben, weil der Antisemitismus ja nicht nur ein Problem im islamischen Diskurs ist, sondern Antisemitismus ist auch ein Problem, das inzwischen auch in viele Landesparlamente und ins Bundesparlament durch die AfD und Rechtsradikale getragen worden ist. Deswegen ist das eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die wir auch gesamtgesellschaftlich angehen müssen.
Engels: Sie sagen, Sie würden sich da mehr Bewegung wünschen. Erleben Sie es denn auch, in Mithaftung genommen zu werden – eben als Muslim – stärker als früher und möglicherweise auch die Frustration daraus, dass man nicht immer diesen Rechtfertigungsdruck haben will?
Sofuoglu: Ich denke, das muss selbstverständlich sein. Es muss selbstverständlich sein, dass man Diskriminierung, Ausgrenzung und Angriffe von allen Seiten auf Menschen aufgrund ihrer Religion oder ihrer Herkunft, dass man sich dagegen wehrt. Und wenn man immer wieder schweigt oder wenn man eher schweigend manche Sachen zur Kenntnis nimmt, dann ist man auch in Zugzwang, sich immer rechtfertigen zu müssen, weil es wirklich darum geht, dass man die Stimme laut erhebt gegen jegliche Anfeindung.
Engels: Diese Lautheit der radikalen islamistischen Minderheit, die Sie erwähnt haben, wird ja auch dadurch befördert, dass es über soziale Netzwerke viel leichter ist, sich so zu verbreiten. Gibt es hier Initiativen aus Ihrer Gemeindearbeit, gerade auch die sozialen Netzwerke stärker zu nutzen, um dagegenzuhalten?
Sofuoglu: Es gibt verschiedene Wege, es gibt auch verschiedene Initiativen, die dahin gehen. Ich selber habe auch immer wieder bei Gelegenheiten versucht, mich mit Kippa in der Öffentlichkeit zu zeigen, auch auf sozialen Medien zu posten, weil Solidarität kein Lippenbekenntnis bleiben darf, Solidarität muss auch dazu führen, dass man das öffentlich kundtut. Es gibt Initiativen, aber da wünsche ich mir ein bisschen mehr, wobei natürlich ich schon das Problem habe, dass man jetzt Antisemitismus nur noch aus muslimischen Kreisen diskutiert und weniger Antisemitismus aus der rechten Ecke mitdiskutiert.
"Das sind keine Meinungen, das sind Verbrechen"
Engels: Würden Sie sich denn ein strengeres Durchgreifen der Gerichte gegen so etwas wie den Al-Kuds-Marsch wünschen? Das ist ja auch eine Forderung, die wir zuletzt gehört haben, weil dort eben die Meinungsfreiheit in Abwägung dieses Antisemitismus, der da zuweilen zu hören ist, doch nicht so stark wiegen dürfe. Wie urteilen Sie hier?
Sofuoglu: Wissen Sie, Antisemitismus, Rassismus, Islamophobie, Antiziganismus, das sind keine Meinungen, das sind Verbrechen. Und man muss mit solchen Äußerungen, man muss mit solchen Bewegungen auch so umgehen, wie man mit Verbrechen umgeht. Wir haben in der Vergangenheit schon gesehen und wir sehen in der Welt, was gerade solche Bewegungen tun. Und deswegen sollten wir uns ein bisschen mehr damit auseinandersetzen, natürlich im Präventiven daranzusetzen, aber auf der anderen Seite nicht alles zulassen im Namen der Meinungsfreiheit. Wie gesagt: Antisemitismus ist keine Meinung.
Engels: Sie haben es angesprochen, die Zivilgesellschaft bleibt aufgerufen, hier am meisten zu tun. Sie bemängeln ja seit Jahren, dass das Engagement der muslimischen Gemeinden, auch der türkischen Gemeinden, sich hier deutlich auch öffentlich abzusetzen, doch stärker sein könnte. Haben Sie Hoffnung, dass das langsam passiert?
Sofuoglu: Ich habe Hoffnung, dass das langsam passiert. Es wird auch interislamisch Diskurs diesbezüglich geführt. Aber wie gesagt, es muss jedes Mal immer wieder betonen, dass dieser Diskurs innerhalb der muslimischen Gemeinden, was Antisemitismus angeht, muss genauso in anderen Kreisen laufen, wie wir jetzt mit Rassismus, Islamophobie und Antiziganismus umgehen. Deswegen sage ich immer wieder, das ist schwierig, das nur auf eine Bevölkerungsgruppe zu schieben und da das Thema zu diskutieren, sondern Antisemitismus kommt von allen Ecken, und deswegen müssen wir auch mit allen Menschen von allen Ecken dagegen vorgehen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.