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Göring-Eckardt fordert Reform der Pflegeversicherung

Spengler: Die Pflegeversicherung hat zwei Probleme. Problem 1: sie gibt mehr Geld aus als sie einnimmt. Und Problem 2: das Verfassungsgericht hat gefordert, dass ab 2005 Erziehende in der Pflegeversicherung entlastet werden müssen. Beide Probleme wollte Bundesgesundheitsministerin Schmidt durch eine umfassende Reform in einem Aufwasch lösen und dazu sollte auch gehören, dass Kinderlose und Eltern, die keinen Anspruch auf Kindergeld mehr haben, weil zum Beispiel ihre Kinder schon erwachsen sind, monatlich 2,50 € zusätzlich in die Versicherung einzahlen. Doch diesen Plan wischte der Kanzler am Dienstag überraschend vom Tisch. Ist das nun das Ende der Reformen? Wie geht es weiter mit der Pflegeversicherung und wie mit der rot-grünen Koalition? Wie viel Pflege benötigt sie? Das wollen wir wissen von Katrin Göring-Eckardt, der Fraktionschefin von Bündnis 90/Die Grünen. Einen schönen guten Morgen Frau Göring-Eckardt!

    Göring-Eckardt: Schönen guten Morgen Herr Spengler.

    Spengler: Frau Göring-Eckardt, lassen Sie uns zunächst kurz gemeinsam den Worten des Kanzlers lauschen, mit denen er gestern seine Entscheidung von Dienstag klarzustellen versuchte.

    O-Ton Schröder: Unabhängig von den 2,50 €, um die es dabei geht, das ist nicht das zentrale Problem. Das sollte jeder wissen. Aber es ist ein Problem der Würdigung von Lebensleistungen, der inneren Gerechtigkeit also. Deswegen habe ich gesagt ich habe die herzliche Bitte, nicht einen Reformprozess anzuhalten, schon gar nicht ihn insgesamt anzuhalten, aber die herzliche Bitte mit Bezug auf dieses Gerechtigkeitsthema, ist das wirklich angemessen, noch mal nachzudenken. Das geschieht und das ist sozusagen alles, was in diesem Zusammenhang entschieden worden ist.

    Spengler: So weit der Kanzler. – Was aber sagen diese Worte? Wie verstehen Sie die?

    Göring-Eckardt: Es gibt innerhalb der Pflegeversicherung verschiedene Fragen zu lösen. Sie haben das angesprochen. Einmal das Bundesverfassungsgerichtsurteil, was vorsieht, dass Erziehende entlastet werden sollen, und zum anderen die Dinge, die innerhalb der Pflegeversicherung zu besprechen sind. Wenn man über Gerechtigkeit spricht, dann ist das ein Fall, der mir in den letzten Wochen auch sehr häufig begegnet ist, dass gerade ältere Leute, die gesagt haben, natürlich sind bei uns die Kinder aus dem Haus, sich ungerecht behandelt fühlten, wenn man sagt, ihr bezahlt aber 2,50 €, weil ihr keine Kinder mehr erzieht. Die sind ja schon nicht mehr bei euch im Haushalt, weil diese Menschen gesagt haben, wir haben Kinder erzogen, wir haben Kinder bekommen - die Pflegeversicherung ist eine Frage der demographischen Entwicklung – und die dafür kein Verständnis hatten. Häufig sind das ja Frauen, die zum Teil übrigens auch von einer kleinen Rente leben, und zwar deswegen von einer kleinen Rente leben, weil sie zwei, drei, vier Kinder groß gezogen haben. Das ist natürlich etwas, was als ungerecht empfunden wird, und auch etwas, wo wir schon Anfang des Jahres gesagt haben, darüber muss man sprechen, ob man innerhalb der Reform der Pflegeversicherung diese Praxis so vorsieht, oder ob man dafür eine andere Lösung findet.

    Spengler: Heißt das Sie finden es eigentlich gut, dass der Kanzler das erst einmal gestoppt hat?

    Göring-Eckardt: Ich finde richtig, dass wir darüber reden, wie wir die Instrumente einsetzen. Darüber haben wir wie gesagt Anfang des Jahres gesprochen. Ich fände es nicht gut, wenn man sagt, wir wollen die Pflegeversicherung nicht mehr reformieren - das hat ja der Kanzler auch gerade in dem Originalton, den Sie eingespielt haben, nicht gesagt -, weil wir natürlich eine Situation haben, wo viele Pflegende und viele zu pflegende darauf warten, dass sich etwas verbessert. Das ist dringend notwendig. Das ist notwendig für die Demenz-kranken. Es ist notwendig, dass endlich wieder die Pflegestufen etwas angepasst werden. Das ist sehr viele Jahre nicht geschehen. In den Pflegeheimen gehen die Schwestern, geht das Pflegepersonal zum Teil wirklich auf dem Zahnfleisch. Was darüber hinaus glaube ich wichtig ist, dass wir sagen, wir wollen diejenigen stärken, die zu Hause pflegen. Da passiert sehr, sehr viel, viel Arbeit im Verborgenen für die Gesellschaft, wo auch Verwandte pflegen, die wirklich nicht gut ausgestattet sind, und die vor allen Dingen wenig Hilfe bekommen. Das alles muss sich in der Tat ändern.

    Spengler: Das sind ja nun die Einzelschritte, die Frau Schmidt geplant hat. Aber das haut ja dann nicht hin, wenn das nicht finanziert werden kann. Wenn nun jene Menschen, die zwar Kinder haben, aber kein Kindergeld mehr bekommen, diese 2.50 € nicht zahlen sollen, wie wollen Sie dann diese vielen Reformen in der Pflegeversicherung finanzieren?

    Göring-Eckardt: Das ist das, worüber wir jetzt sprechen werden. Darüber haben wir wie gesagt schon Anfang des Jahres diskutiert, dass das ein Punkt ist. Es ist ja der kleinere Teil der Reform. Es ist auch nicht das gesamte Finanzaufkommen. Es ist der kleinere Teil der Reform und bei diesem kleineren Teil muss man darüber sprechen, wie man andere Finanzierungsmöglichkeiten findet.

    Spengler: Welche denn?

    Göring-Eckardt: Ob man welche findet, die erträglich sind. Ich halte relativ wenig davon, jetzt zu sagen, wir müssen die Pflegeversicherung mit Steuermitteln auffüllen. Das wird nicht funktionieren. Aber man kann natürlich über Stufen reden. Man kann darüber reden, wie man die Umverteilung macht zwischen denen, die tatsächlich keine Kinder haben, und denen, die Kinder haben. Über solche Modelle wird man nachdenken. Der zweite Teil der Finanzierung kommt ja daraus, dass ein Teil der Leistungen richtigerweise von der gesetzlichen Krankenversicherung bezahlt werden muss, der heute noch innerhalb der Pflegeversicherung gezahlt wird: die so genannte Behandlungspflege. Die soll eigentlich erst ab 2007 über die gesetzliche Krankenversicherung finanziert werden. Auch darüber kann man sprechen, wie man das macht. Es geht also letztlich nicht darum und es kann nicht darum gehen, dass man die Reform der Pflegeversicherung jetzt auf die lange Bank schiebt, sondern wir müssen schauen, dass wir Instrumente finden und Möglichkeiten finden, das zu finanzieren was notwendig ist, ohne dabei Menschen vor den Kopf zu stoßen, die das nicht verdient haben. Ich meine damit nicht nur die Psychologie, sondern diejenigen, die tatsächlich auch auf Einkommen verzichtet haben und heute noch verzichten, wenn sie Rentnerinnen und Rentner sind, weil sie Kinder erzogen haben.

    Spengler: Nun bleibt trotzdem immer noch unklar, wie denn finanziert werden soll. Sie haben gesagt, man muss darüber reden, aber es gibt doch eigentlich nur zwei Möglichkeiten: entweder per höherer Steuern – das haben Sie eben gesagt wollen Sie nicht -, dann aber innerhalb des Systems, also von den Beitragszahlern selber. Das wäre die zweite Möglichkeit. Eine andere sehe ich nicht, oder sehen Sie eine?

    Göring-Eckardt: Ich habe gesagt das eine ist, dass wir einen Teil des Finanzaufkommens ja durch die gesetzliche Krankenversicherung bekommen, die den Teil wieder übernimmt, für den sie auch zuständig ist, nämlich die Behandlungspflege.

    Spengler: Die speist sich aber doch auch aus Beitragszahlungen?

    Göring-Eckardt: Ja, natürlich, aber wir reden jetzt darüber, was passiert bei der Pflegeversicherung, was passiert bei der Krankenversicherung. Bei der Krankenversicherung sind diese Kosten übrigens auch eingeplant. Das ist nicht eine neue Belastung, die uns jetzt gerade einfällt für die Krankenversicherung, sondern das ist selbstverständlich schon genau so geplant gewesen. Bei der Pflegeversicherung wird man über die Frage reden müssen, wer zahlt wie viel, wie viel zahlen die Kinderlosen und wie viel zahlen diejenigen, die Kinder haben, in die Pflegeversicherung. Das ist ja das, was uns das Urteil vorgibt. Insofern muss man wie gesagt darüber sprechen, wie man diese Leistungen finanziert.

    Spengler: Würden Sie denn so weit gehen wie die SPD, die sagt keine weiteren Belastungen der Menschen?

    Göring-Eckardt: Keine weiteren Belastungen hat ja der Kanzler jetzt gesagt. Es geht um die Frage, ob es ungerecht ist, oder ob es nicht ungerecht ist.

    Spengler: Also ist unklar, wer belastet wird?

    Göring-Eckardt: Es geht um die Frage Kinderlose und diejenigen, die Kinder geboren haben. Keine weiteren Belastungen finde ich kann man so einfach nicht sagen, weil wir natürlich an sehr vielen Stellen in diesem Jahr Reformen vor uns haben, wo man nicht sagen kann, da wird es keine weiteren Belastungen geben. Es geht darum, ob die für die Menschen zumutbar sind. Es geht darum, ob sie gerecht sind und ob man danach schaut, wer belastbar ist und wer nicht belastbar ist. Wir werden dieses Jahr zum Beispiel über eine Erbschaftssteuer reden und das wird natürlich für bestimmte Menschen mit großen Erbschaften auch eine Belastung sein.

    Spengler: Frau Göring-Eckardt, Sie lesen ja auch die Umfragen. Was glauben Sie eigentlich nervt die Leute mehr, dass es an allen Ecken und Enden zu den finanziellen Mehrbelastungen kommt, oder nervt mehr die planlose Politik auf Zuruf, die so was Unberechenbares hat, dass man nicht weiß was eigentlich noch auf einen zukommt?

    Göring-Eckardt: Ich glaube, dass schon ein sehr, sehr schwieriger Umbauprozess stattfindet und dass dies die Menschen auch spüren, dass zwar die Bereitschaft zu Reformen sehr, sehr groß ist, wenn man darüber im Allgemeinen redet, aber wenn es dann tatsächlich passiert und man es natürlich dann auch im eigenen Portemonnaie merkt, dass es dann nicht mehr so leicht ist. Wenn ich mir anschaue, wie die Praxisgebühr beispielsweise wahrgenommen wird, ein Instrument, das die rot/grüne Regierung sehr viel anders vorgeschlagen hatte, nämlich gebunden ans Hausarztsystem, wo wir jetzt durch den Kompromiss mit der Union bedauerlicherweise so eine Art Eintrittsgeld beim Arzt haben, dann kann ich gut verstehen, dass das Leute frustriert, weil das auch nichts mit Steuerung zu tun hat.

    Spengler: Frau Göring-Eckardt, nun werden ja die Grünen manchmal genauso überrascht von der großen Regierungspartei wie die Bürger. Elite-Unis sage ich jetzt mal nur oder eben dieser Stopp der Pflegeversicherung. Mucken Sie eigentlich auch noch mal auf, oder schlucken Sie alles?

    Göring-Eckardt: Sie können sich ganz sicher sein, dass die Grünen im Schlucken nicht besonders gut sind, sondern dass wir das nicht so einfach hinnehmen.

    Spengler: Man hat aber den Eindruck!

    Göring-Eckardt: Nein, den hat man glaube ich nicht. Wir haben gerade in den letzten Tagen ja deutlich gemacht, beispielsweise bei der Pflegeversicherung, hier können wir uns nicht vorstellen, dass man dieses Reformprojekt ausfallen lässt aus den Gründen, die ich genannt habe, weil es wirklich um die Menschen geht, die das dringend brauchen. Auch beim Thema Elite-Uni, darüber werden wir diskutieren, wie das in Deutschland tatsächlich sinnvoll ist. Ich bin sehr dafür, dass man mehr Wettbewerb in die Hochschulen bringt. Dieser Wettbewerb muss aber auf der breiten Fläche stattfinden und dann muss man dafür sorgen, dass man Spitzen-Unis kriegt. Ich denke auch nicht nur fünf, sondern mehr. Man muss natürlich auch vor allen Dingen dafür sorgen, dass besonders gute Studenten besonders gefördert werden, aber dass man dabei nicht vergisst, wie das mit der Breite ist. Wenn die Studierenden auf der Treppe sitzen und keine Bücher mehr zum Ausleihen finden, dann ist das natürlich erst mal ein vordringlicher Reformbedarf und darüber muss man sprechen.

    Spengler: Darf ich noch mal auf die Koalition zu sprechen kommen, Frau Göring-Eckardt. Die "FAZ" schreibt heute, es herrsche bei den Grünen ein umfassendes warmes, beinahe an Mitleid grenzendes Verständnis für die SPD. Ist das eine treffende Beobachtung?

    Göring-Eckardt: Dass es Verständnis dafür gibt, dass innerhalb der SPD diese Schwierigkeiten sehr stark wahrgenommen werden bei den Umfragen, die vorliegen, ist doch klar. Wir sind in einer Koalition. Wir haben gemeinsam einen Reformprozess angeschoben, der gerade für den sozialdemokratischen Partner sehr schwierig ist. Dass wir trotzdem um die richtigen Konzepte, den richtigen Weg, die richtigen Vorschläge streiten ist klar, aber dass es Verständnis dafür gibt, dass dies jetzt kein leichter Weg für die Sozialdemokraten ist, das kann man von einem Koalitionspartner schon erwarten und das ist selbstverständlich auch so.

    Spengler: Ich danke Ihnen herzlich für das Gespräch. – Das war Katrin Göring-Eckardt, die Fraktionschefin von Bündnis 90/Die Grünen.