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Gordimer
Die große Dame der südafrikanischen Literatur

Nadine Gordimer ist eine der bekanntesten Autorinnen Südafrikas. Sie gilt als mutige Chronistin des Apartheid-Regimes. 1991 wurde sie mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet. Pünktlich zum 90. Geburtstag erscheint eine Auswahl ihrer Essays und Erzählungen.

Von Birgit Morgenrath | 18.11.2013
    Wann immer ich an der Gegenwart verzweifle, erinnere ich mich und sage mir: Wenn wir Südafrikaner es am Ende geschafft haben, das Apartheidregime zu überwinden, dann werden wir sicher auch die Korruption irgendwie in den Griff bekommen und auch die Beschädigung der menschlichen Freiheit, so wie sie heute existiert. Wir dürfen nicht aufgeben, wir müssen weiter machen und beharrlich jeden praktischen Schritt tun, um unsere Demokratie vom bloßen Etikett zur Wirklichkeit werden zu lassen."
    90 ehrwürdige Jahre alt – und noch immer ist Nadine Gordimer von demselben leidenschaftlichen Geist erfüllt, mit dem sie ein Leben lang für ein besseres, von der Rassentrennung befreites Südafrika gestritten hat. Obwohl zum Beispiel Korruption und große Defizite im Bildungssystem zu einiger Ernüchterung bei ihr beigetragen haben. Ihre behütete Kindheit habe sie keineswegs auf ein so turbulentes Leben vorbereitet, schreibt sie in einem autobiografischen Essay, der 1954 im "The New Yorker" abgedruckt wurde. Aufgewachsen in einem Vorort der Bergbaustadt Springs erscheinen ihr die "Eingeborenen" irgendwie schmutziger als die Weißen, unreinlich. In den Läden der "Inder" geht man nicht einkaufen. Straßenverkäufer gelten als "Plage". Die Familie des Uhrmachers Gordimer gehört zur weißen Mittelschicht und lebt weit ab von den elenden "Locations" der schwarzen Wanderarbeiter. Dennoch – es gibt Irritationen:
    "In meiner Kindheit und Jugend in Südafrika verwirrten mich die seltsamen Schwankungen – alle ein, zwei Jahre, als ich klein war, dann wöchentlich und fast täglich als Jugendliche – denen mein Bewusstsein und meine Haltung gegenüber den Afrikanern um mich herum unterworfen waren."
    Leider ist dieser Beitrag der einzige autobiografische in der jetzt neu erschienenen Sammlung. Viele andere geben die politischen und poetischen Reflexionen Nadine Gordimers wieder, die nicht voneinander zu trennen sind. In dem Aufsatz mit dem schlichten Titel "Apartheid" schreibt sie schon 1959 hellsichtig:
    "Keiner von uns kann den weißen Südafrikanern versprechen, dass die weiße Vorherrschaft nicht einfach durch die der Schwarzen ersetzt werden wird. Denn das ist die Wirkung von Apartheid: Genau, wie die Weißen, können sich auch viele Schwarze ein Leben nicht vorstellen, das weder das der Weißen noch das der Schwarzen ist."
    Nadine Gordimers Artikel aus den 60er- und 70er-Jahren spüren den politischen Stimmungen jener Zeit nach, etwa nach dem Sharpeville-Massaker und den Aufständen in Soweto. Sie macht sich nicht gemein mit den Opfern; sie stellt sich selbst und den Weißen bohrend die zentrale Frage nach der Verantwortung, wie sie es schaffen, die Gewalt tatenlos hinzunehmen. In einem aufschlussreichen Artikel von 1985 – da ist sie bereits 60 Jahre alt – bezieht sie sich auf den von ihr verehrten Albert Camus und seine Überzeugung von der Verantwortung des Schriftstellers:
    "Der Elfenbeinturm war endlich erstürmt; der Schriftsteller verließ ihn nicht mit einer weißen Fahne, sondern er entrollte ein Manifest und winkelte die Arme an, um sich in die Kette der Menschen einzureihen. Der Vertrag mit ihnen besagt nicht einfach nur, dass er nur ihr Chronist sei. Camus hat ihr Diktum akzeptiert, dass der Schriftsteller eine größere Verantwortung gegenüber der Gesellschaft als gegenüber der Kunst hat."
    "Ich war am Kampf gegen die Apartheid beteiligt - drei meiner Bücher wurden zensiert und verboten. Ich war Mitglied des verbotenen African National Congress, also ich war mittendrin... als Aktivistin."
    Sie hat in allen ihren Büchern mutig das System angeklagt. Von den Essays aus den letzten 25 Jahren beschäftigt sich nur ein einziger optimistisch mit dem Wandel in Südafrika - und das fünf Jahre nach den ersten demokratischen Wahlen.
    "Jetzt, da es um die Schaffung von Südafrika als einem afrikanischen Land statt einem afrikanisierten Außenposten der westlichen Welt geht, kommen die Initiativen und ein Großteil der Erneuerungen des kulturellen Lebens – und so sollte es auch sein – von den Schwarzen, als eine Art inoffizieller, organischer affirmativer Aktion, wodurch ein Gleichgewicht hergestellt wird, das zuvor fehlte. Ich fühle mich – im eigentlichen Sinne – zu Hause wie nie zuvor."
    Heute sieht sie die politischen Entwicklungen – Korruption etwa oder die Armut im Land – viel kritischer. Vielleicht hat sie darum von den Beiträgen nach der Jahrtausendwende nur solche mit programmatischem Charakter ausgewählt. Etwa über die Aufgabe der afrikanischen Schriftsteller im 21. Jahrhundert.
    "Wir dürften uns einig sein, dass die afrikanische Literatur in der Zukunft eine Übereinstimmung mit den Bedürfnissen der Menschen finden muss. Schriftsteller können eine literarische Kultur nicht ohne Leser erschaffen. Ohne angemessene Bildung gibt es keine Leser. So einfach – und so unbarmherzig – ist das."
    Engagiert wie eh und je verlangt Nadine Gordimer, dass Schriftsteller sich auch praktisch mit dem Bildungssystem befassen, dass sie sich zum Beispiel für Bibliotheken einsetzen, und gewährleisten...
    "... dass die uns zugeschriebene Rolle – die kritische Betrachtung der Gesellschaft mit dem Ziel, Verständnis zu fördern und eine Bereicherung zu erzielen -, respektiert wird."
    Der ungebrochen visionäre Blick nach vorne ist ermutigend - und erstaunlich für eine 90-Jährige. Die Frage nach dem Blick zurück findet sie uninteressant:
    "Ich finde, Alter ist unbedeutend. Man macht einfach weiter und schreibt. Eine Rückschau macht man im persönlichen Leben, aber nicht generell. Das ist unbefriedigend. Ich hatte ein bemerkenswertes Leben und ich hatte viel Glück und schätze das sehr. Ich konnte mit einigen sehr besonderen und bemerkenswerten Menschen zusammen sein. Das war sehr inspirierend – und das bleibt."