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"Gott sei Dank bleibt er uns als Bischof erhalten"

Die Grünenpolitikerin Christa Nickels hat den Rücktritt von Kardinal Lehmann bedauert. Lehmann habe als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz "orientierend in die Gesellschaft hineinwirkt". Zur Nachfolge Lehmanns sagte Nickels, es gebe eine ganze Menge gestandener Bischöfe in Deutschland.

Moderation: Christian Schütte |
    Christian Schütte: "Ich bin dankbar, dass ich diesen Dienst so lange und mit den Kräften, die Gott mir geschenkt hat, erfüllen durfte. Jetzt ist aber eine eindeutige Zäsur erreicht." Mit diesen Worten hat Kardinal Karl Lehmann gestern angekündigt, er werde Bischof von Mainz bleiben, aber das Amt des Vorsitzenden der Bischofskonferenz abgeben - aus gesundheitlichen Gründen. Wer mit ihm als Vorsitzenden zu tun hatte, beschreibt ihn als liberal und weltoffen, trotzdem fest verwurzelt in seinem Glauben. Über die Rolle Lehmanns spreche ich nun mit Christa Nickels von Bündnis 90/Die Grünen. Sie ist unter anderem Mitglied beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken. Guten Morgen Frau Nickels!

    Christa Nickels: Guten Morgen Herr Schütte.

    Schütte: Gut 20 Jahre hat Kardinal Lehmann der Bischofskonferenz vorgestanden. Welche Erfahrungen haben Sie mit ihm gemacht?

    Nickels: Ich bin ja Gründungsmitglied bei den Grünen und habe noch die Zeiten erlebt, als gerade die Katholische Kirche und die Grünen in den Schützengräben lagen und sich wie Katze und Hund angekläfft haben. Kardinal Lehmann war eigentlich der Vorsitzende der Bischofskonferenz, der auf der Seite der Kirche die Eiszeit beendet hat. Das war für mich das allerbeeindruckendste. Das waren die Jahre vor 1997, als ich dann zusammen mit Pater Langendörfer ein erstes Spitzengespräche vorbereitet habe, was wir dann 1997 noch kurz vor den Bundestagswahlen gemacht haben. Ich habe ihn auch in vielen anderen Bereichen kennen gelernt. Er war oder ist ja ein Mann - Gott sei Dank bleibt er uns als Bischof erhalten -, der sehr belesen ist, sehr klug, aber dann gleichzeitig auch wirklich eine unglaublich warme Ausstrahlung hat. Er war für mich als eine, die gerne im Dorf lebt, jemand, der eine direkte Herzlichkeit hat wie ein Dorfpatriarch. Dieser Spannungsbogen, auch so direkt zu sein, Orientierung geben zu können, ohne dann gleich den Leuten selbstgerecht vorzukommen, sehr offen zu sein in die Gesellschaft hinein, das ist etwas, was man in so einer Position gerade in der Katholischen Kirche sehr, sehr selten erlebt.

    Schütte: Sie haben gerade das Verhältnis zwischen Kirche und den Grünen angesprochen. Welche Bedeutung hatte Lehmann in seinem Amt für das Verhältnis zwischen Kirche und der Politik insgesamt?

    Nickels: Kardinal Lehmann ist wie ich schon sagte ein extrem kluger, belesener Mann, der auch sehr orientierend in die Gesellschaft hineinwirkt. Er hat eben die ganz besondere Gabe als katholischer Kirchenfürst, nicht als Provokation oder als einer aufzutreten, der die Grundlagen der Gesellschaft um die Ohren schlägt, sondern als tatsächlich für die ganze Gesellschaft wertvoll darzustellen. Wenn ich an seine Position im Bereich der Bioethik denke oder auch wie er den Lebensschutz vertreten hat, das hat er sehr nachdrücklich gemacht, aber doch auch immer auf der Seite der Menschen in ihren Alltagsnöten. Zum Beispiel 1999, als er in Rom voll vor die Wand gelaufen ist, als es darum ging, die Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen in katholischer Trägerschaft zu erhalten, hat er sich zwar letzten Endes gebeugt - das war eine Niederlage -, aber er hat jahrelang darum gekämpft, dass die Laien diesen Dienst für die Frauen, die in extremen Schwierigkeiten und in Notsituationen sind, weiter leisten konnten. Das hat ihn den Menschen unglaublich nahe gebracht. Das ist auch eine besondere Qualität, die man so selten hat, wirklich orientierend zu sein und trotzdem nahe bei den Menschen zu sein.

    Schütte: Die Bischöfe unterstehen eigentlich nur dem Papst. Die Bischofskonferenz ist offiziell nur ein Beratungsgremium. Lehmann hat als dessen Leiter dennoch Einfluss gehabt. Wie hat er das geschafft?

    Nickels: Ich glaube das hat er deshalb geschafft, weil er ein Mann des Dialogs im besten Sinne ist. Für ihn ist Dialog nicht Geschwätzigkeit, sondern tatsächlich auf einem grundsätzlichen festen Boden stehen, dann aber doch nicht eng sich einmauern nach der Devise "eine feste Burg ist unsere Kirche", sondern sehr mutig, offen und auch liebevoll sich den Menschen und ihren Problemen zuzuwenden. Ich glaube das ist eine Fähigkeit, die sein Nachfolger, wer auch immer es wird, dringend nötig braucht. Die Zeiten haben sich massiv geändert. Die Zeit wo die Kirche auch in Deutschland Volkskirche war - sie ist immer noch sehr reich -, die ist vorbei. Es wird immer säkularer, immer pluraler. Es wird darauf ankommen auch im Hinblick, wo wir auf dem Weg zum zweiten ökumenischen Kirchentag 2010 in München sind, dass hier einer das Gespräch pflegt, den interreligiösen und gesellschaftlichen Dialog, aber es auch versteht, die Kirche zusammenzuhalten. Ich glaube sehr wichtig ist auch, dass sein Nachfolger so wie Lehmann das immer konnte gerade den Frauen und den Laien in der Katholischen Kirche wirklich nötigen Respekt entgegen bringt, sie auch wirklich mit einbezieht und sie nicht als Notstopfen braucht, um irgendwelche finanziellen oder anderweitigen pastoralen Löcher zu stopfen.

    Schütte: Sie haben die Nachfolgefrage gerade angesprochen. Welches sind denn konkret die größten Herausforderungen an den künftigen Leiter? Was sehen Sie da als Hauptaufgabe?

    Nickels: Die Katholische Kirche in Deutschland steht ja immer noch hervorragend da, wenn man guckt wie das sonst weltweit so ist, aber wir haben natürlich einen Riesen Einbruch auch in den Finanzen. Die Diözesen haben teilweise wirklich mit der Brechstange saniert, wie man Philipps Lampenladen im Kapitalismus vielleicht sanieren sollte, aber nicht eine Gemeinschaft von Gläubigen. Die Gläubigen werden tendenziell weniger, auch wenn wir immer noch die überwiegende Anzahl der Mitglieder in der Katholischen und Evangelischen Kirche, also Christen haben. Es wird auch einfach hitziger gestritten um Glauben und um Religion. Ich glaube das wird eine Riesen Herausforderung sein, hier den interreligiösen Dialog mit einer guten Position, gut geerdet, aber doch auch offen zu führen, sich nicht zu verbarrikadieren in seinem Glauben, nicht in Fundamentalismen abzugleiten, sondern weltoffen zu bleiben. Ich glaube ganz wichtig ist auch, den Laien, den einfachen Mitgliedern der Kirche wirklich erheblich mehr zuzutrauen, sie erheblich mehr einzubeziehen. Das wird gerade in so einem Kollegium eine sehr große Aufgabe sein. Wichtig ist meiner Meinung nach auch, dass die katholischen Bischöfe viel mehr zusammenarbeiten und man aufhört mit dem, was man teilweise immer noch beobachtet, dass man nach der Devise "jeder für sich und Gott für uns alle" so in seinem kleinen Bistum werkelt und nicht über die Grenzen der Bistümer hinaus auch Gemeinschaftsaufgaben anpackt. Das muss noch erheblich mehr passieren und das wird nicht einfacher werden in der Zukunft.

    Schütte: Also ein ganzes Paket von Aufgaben. Frau Nickels, wem trauen Sie dies zu?

    Nickels: Es gibt eine ganze Menge gestandener Bischöfe in Deutschland. Wir haben ja auch jetzt gerade einen großen Generationenwechsel in der Leitung der Bischöfe. Die neuen Bischöfe sind auch erfahrene, aber frische Bischöfe. Ich sage mal so: Das ist glaube ich bei den Leitungsfunktionen in der Kirche wie in der Politik. Wer am lautesten "hier" schreit, wird es meistens nicht und wen man immer am meisten nennt, der hat auch schon einen Klotz am Bein. Ich will mal einfach zwei Daten nennen. Wir haben dieses Jahr in Osnabrück den Katholikentag. Das ist Bischof Bode, der auch Jugendbischof ist. Und wir haben 2010 in München den zweiten ökumenischen Kirchentag. Da kommt natürlich auf beide Bischöfe in diesen Diözesen eine Menge zu. Sie werden auch im Rampenlicht stehen. Ich denke mal das ist von den Ereignissen und von den Persönlichkeiten her etwas, was man im Blick haben muss. Ansonsten ist alles möglich.

    Schütte: Bischof Marx ist im Gespräch.

    Nickels: Bischof Marx ist ja der neue Bischof von München und 2010 wird in München der zweite ökumenische Kirchentag sein. Die Ökumene ist ja nun bekanntermaßen in der Katholischen Kirche ein bisschen in die Zwickmühle geraten und da muss man einiges machen, um dieses Schiff wieder flott zu kriegen. Das ist eine wichtige Aufgabe.

    Schütte: Sie wünschen sich aber schon eher einen liberaleren Geist, der dort nachrückt an Lehmanns Stelle?

    Nickels: Ich sage mal so: Man hat ja immer so seine Erfahrungen gemacht. Ich selber bin Pax-Christi-Mitglied. Uns hat man vor Jahren Bischof Spital als Präside gegeben, weil man dachte, jetzt werden sich Pax Christi und dieser konservative Bischof so entzweien, dass man Pax Christi die Eigenschaft Katholischer Verband entziehen kann. Das war aber ein wirklich ehrlicher katholischer Bischof, der die Arbeit sehr schätzte und der dann auch sehr gestanden hat, mehr gestanden hat wie mancher ich sage mal lauwarme Liberale. Von daher gesehen denke ich mir hat jeder so ein bestimmtes Etikett, mit dem man ihn dann auch einsortieren will, aber was dann letzten Endes heraus kommt, wenn man in Amt und Würden ist und die Verantwortung tragen muss, das ist vorher immer noch nicht definitiv ausgemacht.

    Schütte: Mitte Februar bei der Frühjahrsvollversammlung der Bischofskonferenz soll dann Lehmanns Nachfolger gewählt werden. Dann werden wir mehr wissen. - Christa Nickels von Bündnis 90/Die Grünen. Sie ist unter anderem Mitglied beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken.