Dienstag, 30. April 2024

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Gottesbezug in einer künftigen EU-Verfassung

Heuer: Was hat Gott mit der europäischen Union zu tun? Viel sagen die einen, denn das christliche Abendland wurzele nun einmal im christlichen Glauben. Die anderen sehen keinen unmittelbaren Bezug zwischen dem Christentum und der Verfassung der Union. Folgerichtig sind sie auch gegen einen Gottesbezug in der europäischen Verfassung. Jetzt wird eine Lösung gesucht, vielleicht ein Kompromiss. Auch dies ist ein Thema beim EU-Gipfel in Brüssel und bei uns heute früh. Beim Katholikentag in Ulm sind wir verbunden mit dem Trierer Bischof Reinhard Marx. Guten Morgen Bischof Marx.

Moderation: Christine Heuer | 18.06.2004
    Marx: Guten Morgen.

    Heuer: Wieso muss das Wort Gott in der Präambel der europäischen Verfassung vorkommen?

    Marx: Ja, wenn man eine Präambel für eine Verfassung schreibt, dann sollte man sich gut überlegen, auf welchen Grundlagen denn das Gemeinwesen ruhen soll. Und da ist eine Erinnerung an das christliche Erbe und nicht nur eine Erinnerung, sondern auch ein Satz, der deutlich macht, dass dieses christliche Erbe auch weiterhin Europa prägt, glaube ich, sehr, sehr wichtig. Wenn wir uns auf Gott beziehen, beziehen wir uns ja auf eine Grenze auch des Menschen, dass der Mensch nicht nur einfach die Welt gestalten kann, wie er will, sondern dass es auch Grenzen gibt und dass die Menschenwürde nicht nur einfach wurzelt im Willen des Menschen, sondern dass die Menschenwürde auch wurzelt, vor allen Dingen wurzelt dadurch, dass er geschaffen ist von Gott. Das glaube ich, das ist nicht nur eine Sache, die das Christentum betrifft, sondern das betrifft auch Menschen, die vielleicht jetzt gar nicht so eng christlich gebunden sind. Die Erinnerung daran und der Bezug darauf können für alle eine wichtige Funktion ausüben.

    Heuer: Wenn diese Funktion auch wichtig ist für Menschen, die, wie Sie sagen, nicht eng christlich gebunden sind, wieso reicht es dann nicht aus, was die irische Präsidentschaft vorschlägt, nämlich die folgende Kompromissformel zu wählen, dass es ein kulturelles religiöses und humanistische Erbe gibt als Quelle der Inspiration für Europa?

    Marx: Ja, man kann über die Formulierung streiten. Ich denke, wir als Kirche haben - und das gilt nicht nur für die katholische Kirche, die evangelische Kirche sieht das ja genauso -, wir haben auch zunächst einmal vor allen Dingen deutlich gemacht, es soll dieses christliche Erbe deutlich werden, wenn ein Gottesbezug hineinkommt, wäre das noch deutlicher, noch klarer. Aber das, was jetzt vorgeschlagen wird, im Grunde genommen doch mehr oder weniger das Erbe des Christentums überhaupt nicht zu nennen, das wäre zu wenig. Insofern sind alle Vorschläge, die jetzt dazu führen, doch noch eine Formulierung zu bringen, wo wir sagen, in Europa haben wir auch diesen christlichen Bezug unter vielen anderen Bezügen auch, aber der christliche Bezug ist schon ein wesentlicher, da wird man auf Kompromisse aus sein jetzt. Da muss man jetzt nicht sagen, nur eine Formulierung sei die absolut einzige, die möglich ist.

    Heuer: Ist denn möglich aus Ihrer Sicht, Bischof Marx, eine Formulierung wie in Verantwortung vor der Schöpfung und den Menschen?

    Marx: Das geht, glaube ich, nicht, denn die Schöpfung ist ja ein Begriff, die setzt den Schöpfer voraus, da muss man den Schöpfer auch nennen. Die Schöpfung ist ja nicht in sich etwas, sondern sie setzt voraus, dass es einen Schöpfer gibt. Sonst ist das Wort Schöpfung, glaube ich, sinnlos. Also insofern ist es viel konsequenter zu sagen: vor dem Schöpfer. Das ist doch ganz klar. Aber wie gesagt, wir haben in Deutschland ja gute Erfahrungen gemacht auch mit dieser Präambel. Denn sie hilft dann auch in der Begründung der Gesetze, sich zu berufen auf eine Grenze der menschlichen Möglichkeiten. Aber wie die Formulierung aussieht, da wird man mal abwarten müssen. Mir wäre schon wichtig, dass man nicht einfach schamhaft dieses Thema ganz beiseite schiebt. Und da bin ich eigentlich ganz froh, dass diese Debatte überhaupt da ist. Wir hätten vor zehn Jahren vielleicht gar nicht gedacht, dass wir uns über diese Frage, eines solchen Gottesbezugs des christlichen Erbes in Europa auch noch wirklich so streiten würden. Also das finde ich erst mal positiv.

    Heuer: Bischof Marx, können Sie mal an einem Beispiel erläutern, was ein Gottesbezug in der Präambel der europäischen Verfassung in der Praxis dann wirklich bewirken würde?

    Marx: Ja gut, die Präambel ist ja immer die Frage, was bewirkt sie in der Praxis. Das gilt für jeden Satz der Präambel.

    Heuer: Ja, Sie haben ja gerade Deutschland erwähnt als Vorbild.

    Marx: Ja, aber wir haben natürlich dann in der Diskussion über die Frage der Bioethik etwa auch immer wieder deutlich gemacht, was ist eigentlich das, was die Würde des Menschen ausmacht. Ist die Würde des Menschen abhängig von der Zustimmung der anderen oder ruht die Würde des Menschen tatsächlich darin, dass er von Gott geschaffen ist. Dass diese Diskussion dann geführt wird, ob es jemand glaubt oder nicht, das hat schon eine Bedeutung. Das meine ich schon.

    Heuer: Der Beitritt der Türkei wäre dann aber keine Option mehr für die Europäischen Union, oder?

    Marx: Nein, das kann man nicht sagen. Wir können ja auch nicht in Deutschland sagen, weil wir den Gottesbezug in dieser Form haben, weil wir sagen in Verantwortung vor Gott und den Menschen, deswegen könnten wir keine muslimischen Mitbürger haben. Das ist eine Konsequenz, die kann man, glaube ich, nicht ziehen.

    Heuer: Viele, Bischof Marx, haben das Gefühl, dass sich die Kirchen, dass sich speziell auch der Vatikan zu spät und zu schwach für einen Gottesbezug stark gemacht hat.

    Marx: Oh nein, das kann ich nun wirklich nicht sagen. Natürlich wird das in den Medien nicht immer wahr genommen. Aber das ist eine Diskussion, die schon sehr lange, auch Bischof Homeier, als Vorsitzender der europäischen Bischofskonferenz, hat sich seit vielen, vielen Monaten, seitdem die Verfassung überhaupt in der Diskussion ist, schon in der Phase davor, intensiv eingesetzt. Und wir sind eigentlich, das darf ich auch einmal an dieser Stelle sagen, froh, dass es überhaupt zu dieser Diskussion kommt. Ich wiederhole mich da, was ich eben gesagt habe. Wir haben am Anfang, vor ein, zwei Jahren, als die Diskussion losging, nicht gedacht, dass man auch noch so viel ja in die Diskussion einwerfen könnte, um deutlich zu machen, dass es nicht hier um irgendetwas geht, was Privilegien der Kirche betrifft, sondern vielleicht doch um eine grundsätzliche Frage, wo es sich lohnt sie aufzugreifen.

    Heuer: Aber was die Privilegien der Kirche angeht, da haben sich die Kirchen in den Verhandlungen durchsetzen können, beim Gottesbezug nicht.

    Marx: Die Präambel ist das eine. Da kämpfen wir um den Vorspann, woher kommen wir, wofür leben wir, was ist es eigentlich, was Europa zusammenhält. Wenn man eine Präambel schreiben will - man muss ja nicht eine Präambel haben in einer Verfassung, aber wenn man eine schreiben will, dann muss man sagen, ja gut, dann sagen wir auch das, wovon wir leben. Was ist eigentlich das, was Europa ausmacht und darüber kann man dann streiten. Wenn es um die einzelnen Artikel der Verfassung geht, muss man natürlich dann noch konkreter werden und sagen, ja was sind die Kirchen, was bedeuten die Kirchen für Europa, sind sie einfach nur private Vereine, sollen sie Ansprechpartner sein, sollen sie in einem konstruktiven Dialog mitgehört werden. Das ist eine Tradition, die in Europa eigentlich in vielen, vielen Ländern selbstverständlich ist, deswegen gehört das dann auch in die Ausformulierung der Verfassung hinein.

    Heuer: Die CSU in Deutschland fordert jetzt einen Volksentscheid über den Gottesbezug, finden Sie das gut?

    Marx: Ja, man sollte das überlegen. Wir haben in der Bischofskonferenz zwar gesagt, wir sind zunächst einmal der Meinung, dass jetzt die entscheiden, die dran sind, auch ihre Diskussion führen sollen aber wir unterstützen durchaus auch Initiativen in diese Richtung. Es ist die Frage, ob das sinnvoll ist. Ich bin da etwas zögerlich muss ich sagen. Denn ich weiß nicht, ob das wirklich dann auch hilfreich ist. Aber ich kann das verstehen, ich kann gut verstehen, das man sagt, wir müssen eigentlich hier für diese Ausrichtung der Präambel, die noch mal deutlich machen soll, was ist Europa, woher kommen wir, wohin wollen wir gehen, da kann man noch mal kämpfen.

    Heuer: Sie haben, Bischof Marx, mehrfach jetzt erwähnt, dass Sie sich freuen über die breite Diskussion über den Gottesbezug. Wir erreichen Sie auf dem Katholikentag in Ulm, dort sind viele tausend Christen, und auch in der öffentlichen Debatte, Stichwort Kopftuchstreit, oder sogar Mel Gibsons Film "Die Passion Christi", spielt Religion wieder eine größere Rolle. Gibt es so etwas wie ein erstarkendes religiöses Bedürfnis der Christen?

    Marx: Es wäre schön. Ich bin jetzt auch da etwas vorsichtig, da zu schnell Schlüsse zu ziehen. Aber ich glaube, dass wir in den letzten Jahren gelernt haben, auch in der Öffentlichkeit gelernt haben, dass Religion nicht einfach verschwindet. Das ist etwas, was auch die Soziologen klar zeigen können. Dass Religion bleibt, viele haben ja gedacht, na ja je moderner wir werden, umso mehr wird die Religion eigentlich aus dem Bewusstsein der Menschen verschwinden. Das ist so nicht festzustellen. Es verändert sich vieles, aber die religiöse Frage, gibt es Gott, woher komme ich, wohin gehe ich, gibt es überhaupt so etwas wie das Geheimnis des Lebens, das stärker ist als der Tod. Solche Fragen sind nicht einfach weg. Und die Diskussionen, die gekommen sind, nach dem Zusammenprall der Kulturen oder nach dem, was man da diskutiert, sind durchaus auch wieder stärker. Auch Dialog mit anderen Religionen, was ist eine andere Religion, warum sind wir Christen, was bedeutet das, Christ zu sein, im Unterschied zum Islam. Das ist etwas stärker geworden, das meine ich schon.

    Heuer: Die Fragen sind nicht weg, das ist sicher richtig, aber es verlassen immer mehr Kirchenmitglieder die Kirchen. Wie verträgt sich das mit Ihrer Analyse, Bischof Marx?

    Marx: Ja, ich habe ja gesagt, die religiöse Frage bleibt, aber ob sie sich immer wieder bezieht nur auf das Christentum, das ist eine andere Frage. Nein, die Religion auch die Sozialgestalt der Kirche wird sich verändern. Viele Menschen sind auch einfach gleichgültig, das ist richtig. Ich kann jetzt nicht einfach sagen, wir haben einen religiösen Boom, die Kirchen sind voll, das wäre ja an der Realität vorbei. Das ist keine Frage. Aber die religiöse Frage bleibt, das kann man unbestritten sagen. Die Bindung an die Kirche nimmt ab. Das hat wiederum auch die Gründe, dass Menschen sich verbindlich auf eine Religionsgemeinschaft, auf eine Gemeinschaft überhaupt, auf eine Beziehung, auf Verlässlichkeit, Verbindlichkeit immer weniger einlassen. Das sind verschiedene sich widersprechende Strömungen in der Gesellschaft. Wir sind ja nicht eine Gesellschaft, die eine Strömung hat, sondern sehr verschiedene, manchmal sich widersprechende, manchmal sich in einer Person widersprechende Strömungen.