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Gottesbild von Religionen
Harte Umwelt, strenge Götter

Was haben Religion und Umwelt miteinander zu tun? Erstaunlich viel - wenn man den Erkenntnissen einer interdisziplinären Forschergruppe glaubt. Denn es gibt Gründe, warum manche Gesellschaften eher an hilfreiche Geister glauben, während andere die Vorstellungen von mächtigen und moralisierenden Gottheiten entwickeln.

Von Lucian Haas |
    Wenn Wissenschaftler unterschiedlichster Disziplinen zusammentreffen, ergeben sich daraus häufig unerwartete neue Fragestellungen. Zum Beispiel, wenn man bei einem Workshop Linguisten mit Evolutionsbiologen, Ethnologen und Theologen diskutieren lässt. Russel Gray, Gründungsdirektor des neuen Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte in Jena, erinnert sich:
    "Wir arbeiteten an einem Projekt über die Vielfalt der Sprachen. In diesem Zusammenhang analysierten wir Daten ethnografischer Studien. Dabei stachen Karten hervor, die die globale Verteilung verschiedener religiöser Glaubensansätze zeigten. Einige Forscher, die sich mit ökologischen Zusammenhängen auskannten, warfen dann die Frage auf, inwieweit Umweltfaktoren kulturelle Praktiken und möglicherweise auch die Religion der Menschen prägen. So kam eins zum anderen, einfach aus der Neugier heraus."
    Einige der an dem Workshop beteiligten Forscher beschlossen, dem gemeinsam auf den Grund zu gehen. Sie machten sich daran, ein globales Modell dafür zu entwickeln, welche äußeren Einflüsse – sowohl kulturell als auch ökologisch – auf die Entwicklung von Religionen einwirken. Vor allem ging es ihnen um die Frage, wann Gesellschaften nicht nur wie Naturvölker an hilfreiche Geister glauben, die die Natur beseelen, sondern Vorstellungen von mächtigen, moralisierenden Gottheiten entwickeln, wie sie beispielsweise auch im Christentum und Islam vorkommen.
    "Moralisierende Götter sind solche, die sich in die menschlichen Angelegenheiten einmischen. Sie bestrafen uns, wenn wir uns schlecht benehmen. Das sind große Götter. Und wir Forscher fragten uns, wie Umweltfaktoren das Vorherrschen eines Glaubens an diese mächtigen Götter beeinflussen könnten."
    Die Frage, welchen Anteil Ökologie und Kultur an der Entstehung unterschiedlicher Formen von Religion haben, wird in Fachkreisen schon länger diskutiert. Bisher fehlten dafür aber belastbare Daten. Russel Gray und Kollegen lieferten kürzlich im Fachmagazin "Proceedings of the National Academy of Sciences" erstmals umfangreiche statistische Analysen der Zusammenhänge. Für ihre Studie entnahmen sie aus einem globalen ethnografischen Atlas die räumliche Verteilung von nicht weniger als 583 traditionellen Gesellschaften, samt Angaben zu den Formen ihrer Religiosität. Diese ortsbezogenen Angaben kombinierten sie mit ökologischen Kriterien wie der lokalen Verfügbarkeit von Ressourcen und lokalen klimatischen Bedingungen. Zudem analysierten sie, welche sozialen Organisationsformen die Gesellschaften besitzen, zum Beispiel ob sie Landwirtschaft betreiben und Privatbesitz erlauben. Im Zusammenspiel all dieser Variablen zeigte sich, dass die Umwelt durchaus eine wichtige Rolle bei der Ausprägung von Religionen spielt. Carlos Botero, Biologe an der Staatlichen Universität von North Carolina und Hauptautor der Studie:
    "Wir haben herausgefunden, dass Gesellschaften, die an Orten mit eher harschen Umweltbedingungen leben, im Durchschnitt eher dahin tendieren, an moralisierende, mächtige Gottheiten zu glauben. Die Genauigkeit unseres Modells lag bei 91 Prozent. Das heißt: In 91 von 100 Fällen konnten wir anhand der kulturellen und ökologischen Faktoren den Religionstyp der Gesellschaften korrekt vorhersagen."
    Kein reiner ökologischer Determinismus
    Demnach wäre es kein Zufall, dass in den Wüstengebieten des Nahen Ostens strenge Religionen wie das Judentum und der Islam ihren Ursprung nahmen. Zu klimatisch begünstigten Regionen wie beispielsweise Indien passt dann wiederum ein Viel-Götter-Glaube wie der Hinduismus. Allerdings zeigt die Studie auch, dass die Entwicklung von Religionen kein reiner ökologischer Determinismus ist. Es spielen noch andere, kulturell vermittelte Faktoren hinein: Mächtigen Gottheiten wird von Gesellschaften gehuldigt, die eher politisch komplexe, hierarchische Strukturen besitzen. Und auch wenn Menschen Tiere besitzen, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie streng moralischen Religionen angehören. Es gibt freilich etwas, das alle untersuchten Einflussgrößen verbindet: Es ist der Zwang zur Kooperation. Unter harten Umweltbedingungen sind Menschen auf Zusammenhalt angewiesen. Und politische Strukturen oder Viehhaltung, bei der es auch um die Einhaltung von Eigentumsrechten geht, funktionieren nur, wenn gemeinsame Regeln befolgt werden. Der Glaube, von einem mächtigen Gott zur Rechenschaft gezogen zu werden, kann dann auch aus biologischer Sicht für das Überleben und den Erfolg einer Gesellschaft hilfreich sein. Darum sieht Carlos Botero einen Platz für Erkenntnisse der Evolutionsbiologie in der Religionsforschung.
    "Es wäre vermessen oder falsch zu sagen, dass wir Biologen jeden Aspekt von Religion erklären können. Aber es könnte einige Aspekte in der Gesamtheit der religiösen Glaubensansätze von Kulturen geben, die im biologischen Sinn anpassungsfähig sind. Sie könnten Gruppen helfen sich den Herausforderungen ihrer Umwelt besser stellen zu können. Und für diese Aspekte von Religion glaube ich, dass die Modelle, die wir in der Evolutionsbiologie entwickelt haben, ideal sind, um erklären zu können, warum wir einige vom Glauben bestimmte Verhaltensmerkmale überall auf der Welt wiederfinden."
    Der Sprach- und Kulturforscher Russel Gray will in Zukunft noch weiter gehen. Mit finanzieller Unterstützung der John Templeton Foundation arbeitet er daran aufzuzeigen, welche zentrale Rolle die Religion für die kulturelle Entwicklung der Menschheit spielte.
    "Wir nutzen die Methoden der Naturwissenschaften – also Biologie, Ökologie und Evolutionslehre – nicht, um gegen Religion zu argumentieren. Wir versuchen darüber nur zu verstehen, welche kausale Rolle die Religion gespielt hat bei der Entwicklung der Vielfalt der menschlichen Gesellschaften, die es heute gibt."