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Graphen als Halbleiter
Zielstrebig zur Kohlenstoff-Elektronik

Kein anderes chemisches Element dürfte unsere Gesellschaft in den vergangen 50 Jahren so verändert haben wie Silizium – Bestandteil fast aller elektronischen Bauteile. Doch nun könnte sein kleiner Bruder aus dem Periodensystem ihm den Rang ablaufen: Auch aus Kohlenstoff lassen sich wohl bald Halbleiter entwickeln.

Von Arndt Reuning |
    Graphen – eine hauchdünne Schicht aus Kohlenstoffatomen, in einem Wabenmuster angeordnet, gerade mal eine Atomlage dick. Physiker der Universität von Manchester waren es, die Graphen im Jahr 2004 erstmals hergestellt hatten, indem sie es mit einem Klebeband von einem Graphitstück abgeschält hatten. Doch das Netzwerk aus Kohlenstoffatomen bietet auch Chemikern eine reizvolle Spielwiese, findet Klaus Müllen.
    "Absolut! Zwar denken manche Physiker, sie hätten das Graphen als flächenhaft ausgedehntes System mit beweglichen Elektronen für sich gepachtet. Aber ich glaube, ich darf mit Recht Graphen als Makromolekül, als zweidimensionales Makromolekül bezeichnen."
    Und so nähert sich der Direktor am Max-Planck-Instituts für Polymerforschung in Mainz dem Graphen eben mit den Werkzeugen eines Polymerchemikers: Er synthetisiert zunächst lange Kettenmoleküle aus Bausteinen, die das Motiv des sechseckigen Benzolrings in sich tragen – und das sich auch in den Waben des Graphens wiederfindet. Werden diese Ketten auf einige hundert Grad Celsius erhitzt, spaltet sich Wasserstoff ab, und lange, schmale Graphenbänder bleiben zurück. Die könnten als Leiterbahnen fungieren in besonders leistungsfähigen Computerchips. Der Vorteil dieser chemischen Synthese von Graphen besteht darin, dass die Bänder äußerst scharfe Ränder besitzen.
    "Und es ist diese Perfektion, die sich nun auf die Elektronenstrukturen auswirkt. Und es sind die Elektronenstrukturen, die für das Bauelementverhalten verantwortlich sind."
    In Form eines dünnen Bandes verwandelt sich der hervorragende Stromleiter Graphen in einen Halbleiter. Das ist die Voraussetzung dafür, dass sich mit diesem Material logische Schaltungen auf einem Computerchip aufbauen lassen. Allerdings hatte die Methode der Polymerchemiker bisher noch einen Haken: Bei der chemischen Umwandlung der Bausteine entstehen recht aggressive Zwischenprodukte. Daher muss die Reaktion auf einer heißen Metalloberfläche durchgeführt werden. Denn das Metall wirkt dabei als Katalysator.
    Lichtstrahl bringt Verknüpfung der Moleküle in Gang
    "Es trägt dazu bei, diese reaktiven Zwischenstoffe, diese Intermediate, wie wir sagen, zu zähmen; sie geringfügig zu stabilisieren, aber sie nicht zu Tode zu stabilisieren. Sie sollen ja immerhin noch in unsere Ketten reagieren und polymerisieren."
    Dioden und Transistoren müssen aber auf einer isolierenden Unterlage aufgebaut werden, um überhaupt funktionieren zu können, nicht auf einem Metall. Die Mainzer Polymerforscher haben sich daher nach einer Alternative umgeschaut.
    Im Syntheselabor steht der Chemiker Xinliang Feng vor einer Vakuumkammer. Darin dampft er die Vorläufersubstanz für die Graphensynthese auf die Oberfläche eines Isolators auf. Die Energie, um die Reaktion anzustoßen, führt der Forscher nicht als Wärme zu, sondern durch die Bestrahlung mit Licht. Das funktioniert auch ohne Metallkatalysator, wie Xinliang Feng herausgefunden hat.
    "Wir benutzen einen Lichtstrahl, um die Verknüpfung der Moleküle miteinander in Gang zu bringen. Wenn das geschehen ist, folgt der zweite Schritt: Wir heizen die Probe hoch auf ungefähr 400 Grad Celsius. Alle Vorläufermoleküle, die wir nicht vernetzt haben, verdampfen dabei. Der Rest wandelt sich um in die Nanobänder aus Graphen. Das ist unser grundlegendes Konzept."
    Mit der neuen Methode entstehen allerdings auch noch Graphenschichten, die übereinander gestapelt sind. Die Forscher aus Mainz glauben trotzdem, dass sie damit den Grundstein für eine zukünftige Kohlenstoff-Elektronik gelegt haben. Denn ihre Methode ähnelt den Standardverfahren aus der Halbleiterindustrie: Auch dort werden die Schaltkreise aufgebaut, indem ihre Architektur einem Fotolack durch die Bestrahlung mit Licht aufgeprägt wird. Und damit dürfte sich die Methode der Max-Planck-Forscher für die Massenfertigung eignen.