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Graphic Novel über Beate und Serge Klarsfeld
Die Nazijägerin mit der spitzen Nase

Beate und Serge Klarsfeld wollten das Vergessen nicht akzeptieren. Ihr Leben widmeten sie der Jagd nach den Kriegsverbrechern des „Dritten Reiches“. Und das mit Erfolg. Jetzt legen die Franzosen Pascal Bresson und Sylvain Dorange die Biografie der Klarsfelds in Form einer Graphic Novel vor.

Von Thomas Linden |
Das Ehepaar Beate und Serge Klarsfeld und das Buchcover zu „Beate und Serge Klarsfeld: Die Nazijäger“
Serge und Beate Klarsfeld bei der Verleihung der Medaille der französischen Ehrenlegion 2014 (Cover Carlsen Verlag / Portrait Ehepaar Klaesfeld picture alliance / dpa | Thomas Padilla)
Am 7. November 1968 ohrfeigte die damals 29-jährige Beate Klarsfeld Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger während des Parteitags der CDU in Berlin auf offener Bühne. Ein Ereignis, das als markerschütternder Skandal in die Geschichte der Bundesrepublik eingegangen ist. Nun haben Skandale die Angewohnheit, den Blick auf etwas zu lenken, das zuvor im Halbdunkel eines Tabus verborgen lag. So schmerzte nicht nur Kiesinger die Wange, sondern die ganze Republik schien getroffen. Indem Beate Klarsfeld die nationalsozialistische Vergangenheit des Bundeskanzlers ins Scheinwerferlicht rückte, stellte sich die heikle Frage, wie es denn der Rest der Bundesbürger mit der deutschen Geschichte hielt.

Eine lebenslange Beziehung

Jetzt rekapitulieren die Franzosen Pascal Bresson und Sylvain Dorange in einer Graphic Novel nicht allein die Umstände der legendären Ohrfeige, sondern entfalten vor unseren Augen die ganze Lebensgeschichte von Serge und Beate Klarsfeld. Die beiden lernten sich 1960 in einer Metro-Station kennen. Beate war Au-pair-Mädchen bei einer Pariser Familie, Serge beendete gerade sein Politikstudium. Er sprach sie auf dem Bahnsteig an, am Ende des spontanen Flirts gab sie ihm ihre Telefonnummer. Das war der Beginn einer lebenslangen Beziehung.
Serge entstammt einer jüdischen Familie, sein Vater wurde in Auschwitz ermordet. In den folgenden Jahren politisierte sich Beate für die jüdische Sache. Ihr unerschöpfliches Empörungspotenzial prädestinierte sie für die Rolle der Aktivistin. Bresson und Dorange schildern, wie sie außer sich geriet, als 1966 die Nachricht von Kiesingers Wahl zum Bundeskanzler in den Zeitungen verkündet wurde.
",Serge! Serge!!! Komm, schnell!'
,Was ist denn los?'
,Es ist schrecklich, schau mal, die Titelseite: Kiesinger wird Bundeskanzler in Bonn. Dieser Mann ist ein alter Nazi, der dem ,Dritten Reich' gedient hat.'"
Die Autoren Pascal Bresson und Sylvain Dorange
Die Autoren Pascal Bresson und Sylvain Dorange (Pascal Bresson © privat / Sylvain Dorange © La Boîte à Bulles)

Markenzeichen spitze Nase

Sylvain Dorange entwirft zwei konträre Charaktergestalten in seinen Illustrationen und überzeichnet kühn die Physiognomien der beiden. Dazu gaben ihm die Klarsfelds ihre großzügige Einwilligung. So wurde aus dem rundlichen, gemütlich wirkenden Serge ein 50er-Jahre Hipster mit imposanter schwarzer Haartolle und kleiner Knollennase. Zur visuellen Attraktion des Buches avanciert Beate Klarsfeld, genauer gesagt ihre Nase. Dorange zeichnet sie lang, messerscharf und spitz. Eine Gestalt, die ihre gefährlichste Waffe gleich im Gesicht trägt. Dazu die geschlitzten Augen einer Katze und ein kurzer, modischer Haarschnitt: Fertig ist die aparte Version einer Superheldin.
Die zielgerichtete Energie einer Jägerin ist offenkundig, und ihr Wild spürt sie im Dickicht des Alltags auf. Kurt Lischka etwa, Leiter der Gestapo in Paris, der verantwortlich für die Deportation 73.000 jüdischer Franzosen war, lebte – ohne dass gegen ihn in Deutschland ermittelt worden wäre - unbehelligt in Köln. Die Klarsfelds versuchten ihn zu entführen. Eine Aktion, die fehlschlug. Aber gerade diesen Umstand wollten sie publik machen. Beate telefonierte vor Ort mit Serge:
"'Hör mal, Serge, wir müssen so schnell wie möglich reagieren: Wir müssen das Problem der Straffreiheit von Lischka und seinen Komplizen lösen.
Ich werde die Journalisten unter meinem wahren Namen kontaktieren, sie über die Einzelheiten der Entführung informieren und über die Identität des vermeintlichen Opfers aufklären.'
'Du hast Recht, es ist die einzige Möglichkeit, uns Gehör zu verschaffen. Die deutsche Polizei glaubt, wir würden ruhig bleiben, um Ärger zu vermeiden. Die kennen uns nicht.'"

Eine weitere Zäsur

Tatsächlich gelang es ihnen, einen Prozess gegen Lischka und seine Helfer Herbert Hagen und Ernst Heinrichsohn in Gang zu bringen, der eine weitere Zäsur in der juristischen Aufarbeitung nationalsozialistischer Verbrechen in der Bundesrepublik darstellt.
Nun kann man sich die Frage stellen, warum eine Graphic Novel die Lebensgeschichte eines Paares verhandelt, dessen Arbeit vor allem in der Recherche bestand. Pascal Bresson betont im Interview zu seinem Buch, dass er in allen seinen Arbeiten "gegen Ungerechtigkeit und für ein Geschichtsbewusstsein" eintritt. Ein hehres Unterfangen, das ihn dazu verleitet, dem Ton seiner Texte oftmals eine unnötig pathetische Note zu geben. Dafür gelingt es ihm, die Recherchen der Klarsfelds informativ in die klug positionierten Panels einzubringen. Zug um Zug ergänzen Text und Bild einander, sodass eine Dramatik entsteht, die den Spannungsbogen über 200 Seiten hält.
Diese Graphic Novel will ein junges Publikum gewinnen. Das könnte aufgrund der von Sylvain Dorange in warmen Braun- und Orangetönen eingefärbten Illustrationen und der sich in ihnen geschmeidig bewegenden Gestalten auch funktionieren. Abgesehen von ein paar grimmigen Nazi-Stereotypen werden die Figuren aus unterschiedlichen Perspektiven und Körperhaltungen gezeigt, sodass sie filmische Unmittelbarkeit erhalten.

Größter Erfolg im Finale

Auf den größten Erfolg im Leben der Klarsfelds steuert das Buch dann in seinem Finale zu. Es gelingt dem Ehepaar, Klaus Barbie, den ehemaligen Gestapo-Chef von Lyon, in Südamerika aufzuspüren und ihn in Frankreich vor Gericht stellen zu lassen. Dabei sah es zunächst nicht so aus, als könnte Barbie zur Verantwortung gezogen werden, wie Beate Klarsfeld 1971 erfahren musste:
",Du wirst deinen Ohren nicht trauen, Serge! Der Münchner Staatsanwalt hat das Verfahren gegen Klaus Barbie eingestellt.'
,Hm. Die deutsche Justiz ist wohl der Meinung, dass Klaus Barbie ein netter Soldat war, der sich nichts hat zuschulden kommen lassen und seine Arbeit in Lyon gut gemacht hat. Voilà!'"
Letztlich konnte man doch beweisen, dass Barbie die Deportation der Waisenkinder von Izieu nach Auschwitz veranlasst hatte. Fast 34 Jahre liegt der Prozess nun zurück. Nichtsdestotrotz partizipieren wir auch heute an gesellschaftlichen Diskussionen, in denen es um die Verantwortung für die Verbrechen des Nationalsozialismus und den inzwischen wieder zunehmenden Antisemitismus geht.

Beate Klarsfeld als heimliche Heldin

Dagegen wollten die Klarsfelds ein Zeichen setzen. Die Überzeugungskraft der Bildgeschichte kommt denn auch in der dynamischen Entschlossenheit zum Ausdruck, mit der Beate Klarsfeld zur heimlichen Heldin dieser Geschichte wird. Das Buch legt sie als Vorbild für eine junge Leserschaft unserer Gegenwart an, indem es zeigt, wie eine Frau mit ihren gewagten Aktionen Europa aus der Lethargie seiner unentschlossenen Vergangenheitsbewältigung aufweckte.
Pascal Bresson und Sylvain Dorange: "Beate und Serge Klarsfeld. Die Nazijäger"
Aus dem Französischen von Christiane Bartelsen
Carlsen Verlag, Hamburg. 208 Seiten, 28 Euro, ab 14 Jahren