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Grass' "Kritik geht an der Wirklichkeit völlig vorbei"

Das Gedicht "Europas Schande" von Günther Grass gehe an der Realität vorbei, findet Gunther Krichbaum, Vorsitzender des Europaausschusses im Bundestag. Entgegen der Darstellung des Literaturnobelpreisträgers sei Griechenland mit europäischen Anstrengungen enorm geholfen worden.

Gunther Krichbaum im Gespräch mit Anne Raith | 26.05.2012
    Anne Raith: Mit letzter Tinte, haben Kritiker vor einigen Wochen geunkt, habe sich der Nobelpreisträger Günter Grass noch einmal zu Wort gemeldet mit seiner Kritik an der israelischen Atompolitik. Doch offenbar war noch ein wenig Tinte im Füller, denn der Schriftsteller hat erneut zu Papier gebracht, was zu Papier gebracht werden musste. Ein Gedicht, dieses Mal ohne Zweifel, ein Gedicht, das den Namen "Europas Schande" trägt und heute in der "Süddeutschen Zeitung" abgedruckt ist. Ein Gedicht, in dem er die europäische Griechenlandpolitik anprangert und Europa direkt anspricht. Wir möchten uns nun knapp eine Minute vierzig Zeit nehmen, der vertonten Fassung einmal zu lauschen.

    Europas Schande (MP3-Audio) "Europas Schande" (mp3-Audio)

    Raith: "Europas Schande" war das von Günter Grass, vertont von unserem Sprecher Ralph Spengler, erschienen heute in der "Süddeutschen Zeitung". Und am Telefon begrüße ich nun den CDU-Politiker Gunther Krichbaum, er ist Vorsitzender des Europaausschusses im Bundestag. Einen schönen guten Morgen!

    Gunther Krichbaum: Schönen guten Morgen, Frau Raith!

    Raith: Herr Krichbaum, hat Ihnen Ihr Frühstück heute Morgen noch geschmeckt bei der Zeitungslektüre?

    Krichbaum: Warum nicht? Weil ich denke, insgesamt sollte man Günter Grass nicht mehr ganz so ernst nehmen, er ist vor wenigen Wochen auf Israel losgegangen, jetzt geht er auf Europa los. Also ich denke, man sollte das, wie gesagt, nicht alles ganz so ernst nehmen, denn seine Kritik geht an der Wirklichkeit völlig vorbei, vor allem an der Wirklichkeit, dass Griechenland enorm geholfen wurde mit enormen Kraftanstrengungen, die aber letztlich ja nicht von den Staaten kommen, sondern von den Bürgern und aus ihrem Portemonnaie. Und es wäre hilfreich gewesen, wenn sich Günter Grass vielleicht etwas vertiefter mit der Situation auseinandergesetzt hätte.

    Raith: Aber es ist ein Aufruf, die Sparauflagen abzuschmettern. Könnte das die Debatte nicht noch einmal befeuern, gerade in Griechenland?

    Krichbaum: Nein. Denn auf der einen Seite übt Europa hier enorme Solidarität. Das darf nicht übersehen werden, und das wirklich schon seit über zwei Jahren. Und diese Solidarität kommt von den Menschen, kommt von den Bürgern und von ihren Steuern und ihrem Fleiß. Und man möchte auch Griechenland helfen. Hätte man dies vor zwei Jahren nicht getan, das Land wäre in ein Chaos hineingeschlittert. Deswegen, bei aller Kritik, die vielleicht an der einen oder anderen Stelle manchmal angebracht wird, man muss eben auch schauen, Griechenland ist selbst gefordert, sich zu helfen und auch das ihm selbst Zumutbare zu tun. Und da ist auch noch enorm viel Spielraum.

    Raith: Aber dieses Chaos, von dem Sie sprechen, sagen nun Kritiker, unter anderem auch eben Grass in seinem Gedicht, dieses Chaos wurde befeuert vom deutschen Spardiktat.

    Krichbaum: Das ist ja so nicht richtig. Denn es ist kein deutsches Spardiktat, sondern es sind europäische Anstrengungen. Und man sieht die ganze Eindimensionalität von Günter Grass, weil er nur auf Deutschland schaut und nicht auf Europa. Denn es übersieht völlig die Diskussionen beispielsweise in einem Land wie der Slowakei, in der die Renten der Menschen nach wie vor niedriger sind als in Griechenland. Und wenn man eben dort die Diskussion verfolgt, was ja immerhin auch zum Bruch einer Regierung dort führte, dann sieht man eben, dass es unheimlich schwerfällt, den Menschen dort zu vermitteln, dass ihre Renten nach wie vor geringere sind und geholfen werden soll, während in Griechenland die Renten dann höhere sind. Deswegen, in Deutschland führt manche Diskussion deswegen manchmal auch an der Realität vorbei.

    Raith: Und doch stößt er ja ins gleiche Horn wie der linksradikale griechische Politiker Tsipras, der immerhin in den Umfragen gerade ganz vorne liegt vor den anstehenden Wahlen.

    Krichbaum: Was die Wahlen angeht, muss sich Griechenland natürlich auch selbst entscheiden. Griechenland ist nach wie vor ein souveräner Start. Und darin zeigt sich ja, die Menschen haben hier selbst in der Hand, über ihre neue Regierung zu bestimmen. Wir haben augenblicklich die enorme Schwierigkeit, dass Griechenland keine Regierung hat. Dass deswegen die Reformmaßnahmen nur sehr schleppend verlaufen, und dann käme es in der Tat darauf an.

    Wenn die Ankündigungen wahr gemacht würden, dass dann die Darlehen nicht weiter bedient werden, dass vor allem aber die Reformen nicht umgesetzt werden, dann gäbe es auch keine Grundlage mehr für weitere Hilfen, denn wir stützen uns in unseren Bewertungen auf die Troika. Die besteht hier aus der EZB und dem Internationalen Währungsfonds beziehungsweise der Kommission. Und auf deren Urteil bauen wir, und bauen wir auch als Deutscher Bundestag.

    Raith: Keine Grundlage für weitere Unterstützung, sagen Sie, was heißt das konkret?

    Krichbaum: Das käme darauf an. Wie gesagt, keine Grundlage hieße, dass erst einmal das Votum dieser Troika voranginge. Und das bedeutet, dass Griechenland gefordert ist, seine Zusagen, die es gegeben hat, auch einzuhalten. Deswegen sind wir auf die neue Regierung gespannt und warten da auch erst einmal ab, was dann das Votum am 17. Juni der Bürger dort ergibt.

    Raith: Reicht das, abzuwarten, wenn man sieht, dass im Moment die griechische Regierung oder die Übergangsregierung absolut handlungsunfähig ist und offensichtlich keine Reform so läuft wie eigentlich abgesprochen.

    Krichbaum: Was das Abwarten ganz konkret angeht, so sieht der Refinanzierungsbedarf des Landes gegenwärtig so aus, dass erst ab der – ich möchte mal sagen, ab August, vorsichtig gesehen, nächster akuter Bedarf da wäre. Das heißt, im Augenblick wäre noch ein gewisser Spielraum vorhanden, aber was natürlich die Umsetzung der Reformen angeht: Hier ist wirklich Gefahr im Verzug, hier ist das Land gefordert.

    Auf der anderen Seite wird auch geholfen. Sie wissen, dass wir hier über Wachstumsimpulse diskutieren, dass auch Vorschläge gemacht wurden und erarbeitet werden auch seitens der Bundesregierung, und man möchte natürlich auch hier das Wachstum ankurbeln. Die Rede war jetzt von Sonderwirtschaftszonen, ob die eingerichtet werden können, aber da steckt der Teufel eben auch im Detail, weil wir sehr leicht hier in Berührung mit Beihilferecht kommen und das könnte eben auch zu Wettbewerbsverzerrungen kommen. Und deswegen muss man hier auch sehr behutsam mit umgehen. Deswegen, diese Maßnahmen gilt es dann auch sehr, sehr klug auszuformulieren.

    Raith: Das heißt, die sogenannten Sonderwirtschaftszonen sind tatsächlich ein Teil eines möglichen Pakets, an dem die Bundesregierung gerade werkelt.

    Krichbaum: Zumindest muss man ja über alles nachdenken können. Aber wie gesagt, hier steckt der Teufel eben doch im Detail, weil der Charme läge darin, dass man hier ausländische Investoren gewinnen kann, in dem Land zu investieren. Genau daran fehlt es ja im Augenblick. Noch tiefer betrachtet, ist aber natürlich auch für Investoren wichtig, dass sie auf verlässliche Rahmenbedingungen stoßen.

    Das legt auch wiederum den Finger in die Wunde. Auf Arbeitsmarktreformen, die dringend notwendig sind, im Übrigen nicht nur in Griechenland, sondern eben auch in anderen Ländern, denken Sie, Beispiel, nur daran, dass wir sehr viele reglementierte Berufe haben, dass eine Taxifahrerlizenz in Athen nach wie vor einen annähernd sechsstelligen Betrag kostet. Das alles ist natürlich nicht hilfreich und da muss noch sehr, sehr viel mehr passieren, deswegen allein mit der Einrichtung von Sonderwirtschaftszonen wäre es natürlich nicht getan. Das wäre aber auch nicht die alleinige Überlegung der Bundesregierung.

    Raith: Sie haben eben gesprochen von einem verlässlichen Partner, der gerade vielen Investoren fehlt. Was macht Sie denn so zuversichtlich, dass zum Beispiel nach den Wahlen Herr Tsipras ein zuverlässiger Partner wäre?

    Krichbaum: Das muss sich weisen. Wenn er seine Ankündigungen wahr machen wollte, dann hieße das eben auch zugleich, also sprich, die Schulden nicht mehr zu bedienen, die Reformen nicht mehr umsetzen zu wollen, dann wäre die Grundlage für weitere Hilfen nicht mehr gegeben. Das hieße, die Zahlungen würden eingestellt, was zu einer Insolvenz des Landes führen würde. Was ja manche auch sehr leichtfertig in den Mund nehmen.

    Ich kann davor nur warnen, denn für das Land selbst würde es verheerende Konsequenzen bringen, wenn immer so getan wird, ja dann kann ja das Land auch zur Drachme zurückkehren. Ich darf nur daran erinnern, alle Rohstoffe werden entweder auf Dollarbasis oder eben auf Eurobasis gehandelt. Und was das allein für Tankstellen et cetera bedeuten würde, das kann sich ein jeder ausrechnen. Deswegen, auch für alle Unternehmen, die dort in dem Land tätig wären, hieße das letztlich eine Herausforderung anzunehmen, die kaum zu bewältigen wäre.

    Raith: Und doch befeuert ja die Europäische Union selbst diese Debatte. Es werden ja in sämtlichen Staaten gerade Notfallszenarien durchgespielt, und alle Regierungen wappnen sich intern für einen möglichen Austritt.

    Krichbaum: Ich glaube, man sollte wirklich darauf hinarbeiten, dass genau diese Situation vermieden wird. Sie wäre nicht zielführend, sie wäre in meinen Augen nicht hilfreich, denn die Botschaft wäre ja auch in die Welt hinein, in die internationale Welt, schaut her, wir schaffen es nicht, ein Problem wie Griechenland zu lösen, ein Land, was gerade mal drei Prozent der Wirtschaftsleistung von ganz Europa repräsentiert.

    Und dann würde eben auch sehr schnell weiter spekuliert, ob das, was mit Griechenland passiert ist, nicht auch für andere Länder gelten müsste und würde. Und wir haben schon heute Länder in der Eurozone, in der Europäischen Union, die unter einem enormen Druck stehen. Siehe Spanien, siehe Portugal. Und das würde auf den Anleihemärkten sofort mit steigenden Zinsen beantwortet.

    Raith: Sagt der CDU-Politiker Gunther Krichbaum heute morgen bei uns im Deutschlandfunk über die Lage in Griechenland. Er ist Vorsitzender des Bundestagsausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union. Herr Krichbaum, haben Sie herzlichen Dank für das Gespräch!

    Krichbaum: Vielen Dank, Frau Raith!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.