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Greenpeace verlangt Überprüfung deutscher Kernkraftwerke

Greenpeace fordert Konsequenzen aus dem Störfall im schwedischen Atomkraftwerk Forsmark. Heinz Smital, Atomexperte der Umweltschutzorganisation, sprach sich für eine Überprüfung deutscher Kernkraftwerke aus. Nur wenn öffentlich nachgewiesen werde, dass ein ähnlicher Fall wie in Schweden nicht eintreten könne, dürften die Reaktoren am Netz bleiben.

Moderation: Klaus Remme |
    Klaus Remme: Was in der vergangenen Woche in einem Atomkraftwerk im schwedischen Forsmark nördlich von Stockholm geschehen ist, das ist noch einigermaßen klar: Nach einem Kurzschluss außerhalb des Kraftwerks ist es zu einer Trennung vom Stromnetz gekommen, und die dann nötige Versorgung mittels Notstromaggregaten fiel teilweise aus. Heftig gestritten wird über das, was hätte geschehen können. Einige Experten behaupten, dass wir alle am vergangenen Mittwoch mit knapper Not, vielleicht nur per Zufall und mit viel Glück an einer atomaren Katastrophe à la Tschernobyl vorbeigeschrammt sind. Andere bestreiten das Ausmaß des Störfalls. Schweden hat infolgedessen vier von insgesamt zehn Reaktoren abgeschaltet, aus Sicherheitsgründen.

    Das Bundesumweltministerium in Berlin will jetzt prüfen, ob sich ähnliche Zwischenfälle auch in deutschen Kraftwerken ereignen können. Am Telefon ist Heinz Smital, Atomexperte bei Greenpeace. Tag, Herr Smital!

    Heinz Smital: Schönen guten Tag!

    Remme: Wie gefährlich war dieser Unfall aus Ihrer Sicht?

    Smital: Dieser Unfall war aus zwei Punkten sehr gefährlich. Das eine ist einmal: Es hat nicht ein System nur versagt - also ein Defekt in einem Generator kann auch einmal vorkommen, darauf sind die Systeme im Prinzip ausgerichtet -, sondern es hat Systemfehler gegeben. Es sind mehrere Linien, also in dem Fall jetzt zwei Linien, ausgefallen, und man weiß nicht genau, warum. Das ist insofern dramatisch, weil es an die Philosophie der Sicherheitstechnik von Kernkraftwerken geht, die sagt: Na, wir machen Redundanz, und einer wird schon gehen. Und wenn das Problem in der Serie liegt, dann kann man das nicht mehr voraussetzen. Das heißt, das Prinzip der Redundanz ist hier gefährdet.

    Remme: Herr Smital, passiert ist nichts. Die automatischen Sicherungen haben gegriffen, insofern hat sich das System doch bewährt?

    Smital: Das ist richtig, dass es sozusagen noch mehrere Ebenen gibt. Aber der Reaktor braucht, auch wenn er abgeschaltet ist, auch noch die Kühlung. Es gibt danach eben noch Zerfallsprodukte, die sehr viel Hitze erzeugen. Das sind einige hundert Megawatt bei der Größe dieses Reaktortyps. Und wenn die Notkühlung nicht funktioniert, kommt es dann trotzdem noch zur Kernschmelze. Und für die Notkühlung ist noch eine Stromversorgung notwendig.

    Remme: Im Mittelpunkt stehende Notstromaggregate von AEG, sind diese auch Teil deutscher Kraftwerke?

    Smital: Leider kann ich das nicht explizit bestätigen, aber ich kann vermuten, dass die deutsche Technologie, die in ausländischen, in dem Fall in schwedischen Atomkraftwerken eingebaut ist, doch selbstverständlich wohl auch in deutschen Atomkraftwerken ihre Anwendung gefunden haben.

    Remme: Warum weiß man so etwas nicht sicher?

    Smital: Es ist so, dass die Handbücher und sehr viele Unterlagen, technische Details von Atomkraftwerken der Geheimhaltung unterliegen. Weil die Atomkraftwerke ein so hohes Risikopotenzial im Prinzip darstellen, werden Atomanlagen auch besonders geschützt. Da hat die Polizei besondere Rechte, Gefahrenabwehrgesetz, die hohen Zäune, aber auch halt die technische Dokumentation ist einfach nicht unumgänglich zugänglich.

    Remme: Der Energiekonzern E.ON, Herr Smital, er hat erste Analysen von deutschen Atomreaktoren vorgenommen und hat gesagt: In deutschen Atomkraftwerken können wir einen Störfall wie jüngst in Schweden ausschließen. Was sagen Sie dazu?

    Smital: Ja, das finde ich sehr interessant, weil: In Schweden weiß man ja noch gar nicht genau, woran der Fehler gelegen hat. Man sieht, die Sache ist relativ kompliziert, und die Untersuchungen sind noch im Gange. Und wenn sich jetzt jemand hinstellt und sagt, das, was ich zwar nicht weiß, was ist, kann aber bei uns nicht sein, ist sozusagen doch auch zu hinterfragen.

    Remme: Was fordert Greenpeace als Konsequenz dieses Unfalls in Schweden?

    Smital: Also wir fordern einerseits, dass tatsächlich nachgewiesen wird, dass so ein Unfall nicht passieren kann. Und wo das nicht öffentlich nachgewiesen werden kann, also auch mit technischen Dokumenten, offen, dann müssten auch diese Kraftwerke vom Netz - so wie in Schweden auch. In Schweden untersucht man ja auch noch, was der Fall ist. Und solange sind die einfach vom Netz. Das könnte man parallel im Prinzip in Deutschland auch machen. Und das andere, was Greenpeace fordert, ist ganz klar: Dieser Vorfall in Schweden zeigt, Atomtechnologie, Atomenergie, ist eine Risikotechnologie und daher auch ein Versorgungsrisiko. Und daher ist am Ausstieg aus der Atomtechnologie nicht zu rütteln, der müsste eher noch beschleunigt werden. Also den zu hinterfragen, wäre falsch.

    Remme: Atomexperte von Greenpeace, Heinz Smital. Herr Smital, vielen Dank.

    Smital: Ja, gerne geschehen.